Dramaturgie eines postmodernen Realismus

Zur Auferstehung von Peter Hacks „Geldgott“

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Postmoderne und Realismus werden gelegentlich in einem Atemzug genannt, doch in der Regel als einander widersprechende und sich sogar ausschließende ideologische Strömungen. Gewiss gibt es hinsichtlich der inhaltlichen Positionen und der formalen Darstellungen deutliche Unterschiede zwischen der Literatur des Realismus und der Postmoderne, doch zugleich beeinflussen heute postmoderne und poststrukturalistische Theorien, Ideen und Schlagworte die zeitgenössische Literatur – und eben auch diejenige, die den Anspruch hat „Wirklichkeit“ abzubilden.

Der 2003 verstorbene Peter Hacks hätte wohl wenig Freude daran gehabt, in Zusammenhang mit der Idee eines postmodernen Realismus genannt zu werden, scheint er jedoch ein in vielerlei Hinsicht lehrreiches Beispiel für einen solchen zu sein. Dass sich Hacks gut als (ungewollter) Vertreter eines postmodernen Realismus eignet, soll hier kurz am Beispiel seines Theaterstücks Der Geldgott und vor dem Hintergrund seiner Reflexionen über das Theater skizziert werden.

Bereits seit den 1950er Jahren beschäftigt sich Hacks mit dem Realismus. Reflexionen erfolgen nicht allein in seinen Theaterstücken, sondern auch auf rein theoretischer Ebene, so beispielsweise in seinem 1957 geschriebenen Artikel Das realistische Theaterstück und den drei Akademiediskussionen Zur Konzeption des sozialistischen Realismus 1934, Zur Realismustheorie von Georg Lukács und Über sozialistischen Realismus heute aus dem Jahr 1978. Neben demInteresse am Realismus beschäftigen ihn Fragen der dramaturgischen Inszenierung, denen er in seiner Doktorarbeit Theaterstück des Biedermeier nachgeht. Als Dreh- und Angelpunkt des Hacksschen Theaters darf die Frage gelten, mit welchen dramaturgisch-ästhetischen Mitteln Realität für das Publikum auf unterhaltsame Weise auf der Bühne repräsentiert werden kann. Das Publikum spielt bei Hacks eine wesentliche Rolle – im wahrsten Sinne des Wortes, wie Der Geldgott zeigt – denn das Theater gilt Hacks als Medium zum Ausüben von Wirkungen.

Doch die Wirkung ist auch Hacks Achillesferse. Er gilt, völlig zu Recht, als einer der bedeutendsten Dramatiker der DDR und die von ihm begründete „sozialistische Klassik“ beeinflusste zahlreiche Künstler – nicht allein östlich der Elbe. Nach der Biermann-Ausbürgerung 1976, die Hacks deutlich befürwortet und verteidigt hat, schwindet jedoch sein Einfluss. Der einsetzende westdeutsche Boykott seiner Stücke wirkt noch weit über die 1990er Jahre hinaus und wird nach dem Fall der Mauer noch einmal unausgesprochen aufgefrischt, da Hacks weiterhin öffentlich zu seiner sozialistischen Überzeugung steht und einem Sozialisten, so mag man es deuten, ohnehin zu Beginn der 90er Jahre niemand eine Kapitalismuskritik zugestehen wollte. Dies mag auch einer der Gründe sein, warum Der Geldgott erst zwei Jahre nach seiner Fertigstellung uraufgeführt wurde und zwar – die Bewohner der schönen Hansestadt mögen es verzeihen – in der Provinz am Greifswalder Stadttheater, denn die Bühnen des wiedervereinigten Berlins interessierten sich nicht mehr für den Autor. Dass das Stück seiner Zeit auf den Leib geschneidert war, trug zu seinem Vergessen bei. Mit der jetzt im Aurora Verlag erschienenen und von Jürgen Pelzer herausgegebenen und aufschlussreich kommentierten Ausgabe ist ein erster wichtiger Schritt für eine Auferstehung des Geldgotts geleistet worden.

Das Theaterstück basiert auf der Komödie Plutos des von Hacks bewunderten griechischen Dichters Aristophanes. Plutos ist in der griechischen Mythologie die Personifizierung von Reichtum und Bodenschätzen. Hacks wählt daran angelehnt als Szenerie seiner dreiaktigen Komödie das antike Griechenland. Auch inhaltlich bezieht er sich deutlich auf sein Vorbild und greift die zu Zeiten Aristophanes verbreitete Vorstellung auf, Pluto sei blind gewesen und wisse gar nicht, wie wahllos er seine Gaben verteile. Die Parallelen zur „Neuverteilung der Gaben“ in der Nachwendezeit mit der Umstellung von Plan- auf freie Markwirtschaft, in der profitorientiertes Handeln keine Rücksicht auf gewachsene soziale Strukturen und Bedürfnisse nimmt und viele Ostdeutsche die neue Zeit als eine „Umwertung der Werte“ erfahren, erscheinen trotz griechischer Kostümierung offensichtlich. Und wenn man mit heutigen Erfahrungen an die Ursachen der Finanzkrise 2007 und ihre Folgen für Griechenland denkt, so scheint die von Hacks gewählte Darstellung selbst in ihrer Szenerie wieder überraschend zeitgemäß zu sein.

Die hervortretenden Gemeinsamkeiten zwischen den Stücken sind jedoch auf die Hauptmotive beschränkt, am augenscheinlichsten ist das Motiv des blinden Pluto. Ihm begegnet der arme Töpfer Chremylos, der sich für seine harte Arbeit nicht ausreichend entlohnt sieht und deshalb das Orakel von Delphi aufsucht. Dieses rät ihm, sich nach Verlassen des Tempels an den ersten Menschen zu halten, dem er begegnet, dieser würde ihn mit Reichtum überschütten. Chremylos begegnet dem blinden Puto und erhofft sich von ihm den in Aussicht gestellten Reichtum – denn wenn dieser wieder sehen könne, so Chremylosʼ Kalkül, müsse er ja die ungerechte Verteilung der Reichtümer erkennen und sie gerecht umverteilen. Doch darin irrt der arme Töpfer und muss erfahren, dass in einer Welt, wo der Schein über dem Sein steht und der Kredit über dem Vermögen, harte Arbeit, Ehrlichkeit und Entbehrungen nichts wert sind. Am Ende verliert er alles Hab und Gut und muss seine Sklavin und Geliebte Fifine verkaufen und sich selbst prostituieren.

Beachtenswert sind außerdem die Abweichungen von der Vorlage, die Jürgen Pelzer in seinem Kommentar prägnant aufzeigt, denn gerade sie zeigen das Postmoderne im Hacksschen Theater: So hat der Autor und Dramaturg den in der Antike und auch bei Aristophanes üblichen griechischen Chor durch einen Herrn Kohr ersetzt, der gleich mehrere Funktionen innehat. Einerseits ist er der einzige reale Besucher des gerade inszenierten Theaterstücks Der Geldgott, der somit für die Illusionsdurchbrechung im Sinne eines „Theaters im Theater“ sorgt und zugleich zur satirischen Kritik am immer kommerzieller werdenden Theater herangezogen wird. So sitzt zwar der opportunistische Herr Kohr allein im großen Theater, doch winkt er den Schauspielern auf der Bühne mit den 400 verkauften Platzkarten, als diese mangels eines sichtbaren Publikums das Spiel einstellen wollen. Herr Kohr ist Mitglied im Betriebsrat eines Industriekonzerns und die Veranstaltung erweist sich als eine gesponserte – dass die anderen 399 Plätze nicht belegt sind, liegt am gleichzeitig stattfindenden Fußballspiel.

Auch die Figur des Geldgotts wird nach den anfänglichen Parallelen zur Vorlage im Kontext des Kapitalismus aktualisiert. So behauptet diese zwar, Zeus habe ihn aus Neid mit Blindheit gestraft, da er zu viele Menschen reich gemacht habe, doch die Sklavin Fifine, die die intelligenteste, doch zugleich aufgrund ihrer sozialen Stellung schwächste Figur des Stücks ist, durchschaut den Geldgott, der den Reichtum „an einige Bevorzugte und Lieblinge“, nicht aber an „die Befugten und Würdigen“ verteilt hat. Dazu passt, dass der Geldgott nach seiner Heilung den armen Chremylos nicht mehr erkennen will (denn schließlich war er blind und konnte ihn nicht sehen) und wie ein zynisch-autoritärer Manager spricht und agiert. Ungeschönt äußert er seine Vorliebe für reiche „Schmarotzer“, die bei Hacks die sprechenden Namen „Lüsterblick“ und „Beutelrock“ tragen. Die Verteilung des Reichtums ist mit der Heilung des Geldgotts nicht gerechter geworden, im Gegenteil, der Kapitalismus erscheint in seiner rücksichtslosen Brutalität und moralischen Verkommenheit entfesselter denn je.

Neu eingeführt wird von Hacks auch die Glücksgöttin Fortuna, die entgegen der griechischen Mythologie als Mutter von Pluto und seiner Schwester Paupertas, der Armut, vorgestellt wird. Bezeichnenderweise steht Paupertas, so wie ihr Pendant Penia bei Aristophanes, für die enge Verbundenheit von Arbeit und Leistung als Lebensinhalt. Besonders für die Schlussszene ist die Figur der Fortuna beziehungsweise ihr Füllhorn von Bedeutung, das aufgrund der reichhaltigen Verzierungen, die Bilder von idyllischer Natur mit arbeitenden, tanzenden und liebenden Menschen zeigen, Fifines Aufmerksamkeit erregt. Diese idyllisch-göttlich anmutenden Szenen werden jedoch banal-grotesk gebrochen als Fifine in das Horn hineinklettert und Bierdosen, Pralinen, Kondome und allerlei Zivilisationsmüll findet, die sie unwissend für Dinge hält, „die über alle Vorstellung wunderbar sind“. Im Glückshorn festklemmend und so weder vor noch zurück könnend, erscheint auch Chremylos der Weg zum Glück verstellt zu sein – es sei denn „durch sie durch“. Mit dieser sexuell zu deutenden Ankündigung fällt der Vorhang des letzten Akts.

Bei allen Katastrophen dieses Stücks und dem grotesken Ende bleibt doch als roter Faden die nie aufgegebene Glückssuche des Menschen, der sich jedoch auf seiner Suche leicht vom vermeintlichen Glück blenden und vom Weg abbringen lässt. Die Glückssuche birgt jedoch nicht allein die Gefahr, sich von falschen Glückvorstellungen und -versprechungen ins Unglück zu stürzen, sondern zeigt auch die treibende Kraft, die aus dem Wunsch nach einem besseren Leben – wie auch immer dieses definiert wird – entspringt. Allein ein Blick in die Abendnachrichten zeigt uns die Aktualität dieses viel zu wenig beachteten Stücks. Der Geldgott gehört wieder auf die Bühne, die Zeit ist reif.

Titelbild

Peter Hacks: Der Geldgott. Komödie in drei Akten. Nach Aristophanes.
Herausgegeben von Jürgen Pelzer. Kommentierte Werke in Einzelausgaben.
Aurora Verlag, Berlin 2018.
96 Seiten, 7,99 EUR.
ISBN-13: 9783359025412

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