Du, Mein

Über Else Lasker-Schüler: Mein Volk und Meine Mutter

Von Kerstin PreiwußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin Preiwuß

Else Lasker-Schüler

Mein Volk

Meinem geliebten Sohn Paul

Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe …
Jäh stürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk,
Zu Gott schreit.

* * *

Ein Volk
(„Ja Jung, so kann dat jemeint gewesen sein!“)

Die Terz ist hoch
die sie erzwingt
mit sotto voce in die Worte bringt …
Unstet und zäh bewegt sie sich
anstelle eines Riesentanz’ ums Tier
seltsam vorbei an allem Selbstmitleid
ins Eingeborensein.

Sie hat sich nie daran gestört
inmitten stupender Gehässigkeit
allein zu sein.
Tut’s immer wieder doch es hallt
ihr nach
wenn säuerlich trotz Kost
entherrscht im Verein
ein Volk
nur noch schreit.

Was soll man mit Else Lasker-Schülers Gedichten anstellen? Der einzigen Frau, die in Kurt Pinthus’ Anthologie Menschheitsdämmerung vertreten ist; der Dichterin, für die Fühlen gleich Schreiben war und die mit viel Liebe ihr Kind allein großzog; der Vagantin, die für ihre Freunde bis nach Moskau zog, um sie aus dem Gefängnis zu befreien; der Ikone, die mit „Ich räume auf“ ihren Verlegern eine bittere Anklage ihrer Armut vorhielt; der Bürgerin, die sich nicht scheute, sich an die Administrationen zu wenden, um etwas zu tun für ihre Leute; der Hebräerin, die antisemitische Beleidigungen quittierte mit: „Ich bin Jude. Gott sei Dank.“; der Religiösen, die sich ein harmonisches Verhältnis von Juden, Christen und Arabern wünschte; die in den Dreißigern in Berlin auf offener Straße überfallen und geschlagen wurde; der die Gestapo 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannte mit der Begründung: „Sie war die typische Vertreterin der in der Nachkriegszeit in Erscheinung getretenen Frauen. Durch Vorträge und Schriften versuchte sie, den seelischen und moralischen Wert der deutschen Frau verächtlich zu machen.“; die 1939 in der Schweiz nicht mehr geduldet war („vorsorglich aus armenpolizeilichen Gründen, – Überfremdung“); für die das Jerusalemer Exil auch bedeutete, daß man sie jahrelang nicht beim Vornamen nannte und einmal ein Hund sie nicht mehr von einer Hauswand unterschied.

Man mag es mit dem Fühlen als Motor für Dichtung halten, wie man will, es kommt auf die Gedichte an. Würde man Else Lasker-Schülers Gedichte nachahmen, glitte man in den Kitsch, den sie nicht enthalten. Das ist die schlichteste Begründung ihrer Kunst. Einzigartig ist sie, wenn sie gänzlich von sich absieht und andere in den Mittelpunkt rückt – sei es in den Widmungsgedichten, den Anverwandlungen biblischer Mythen oder in den Ansprachen an ihre Mutter und ihr Kind.

Obwohl Martin Bubers Wissenschaftlichkeit ihrem Verständnis von Dichtung als Offenbarung fremd war, hat sie sein dialogisches Prinzip verinnerlicht, ihre Dichtung sucht Nähe, auch für das Ich. Es sind bis ins Alter innige Widmungen einer Tochter an ihre Mutter, einer Mutter an ihr Kind, und sie sind schlicht. Es macht ihr nichts, in der Reihe derer zu bleiben, die vor ihr waren und nach ihr sind. Sie entzieht sich ihren Bindungen nicht: „Meine Freiheit soll mir niemand rauben, – sterb ich am Wegrand wo, liebe Mutter, kommst du und trägst mich hinauf zum blauen Himmel. Ich weiß, dich rührte mein einsames Schweben und das spielende Ticktack meines und meines teuren Kindes Herzen.“

Wollte man dem Gedicht „Mein Volk“ etwas Ebenbürtiges zur Seite stellen, würde es abgeschmackt. Ich habe mich entschieden, ihm einen Umhang anzulegen, der schäbig ist. Spricht sie von „ihrem Volk“ und vollzieht auf kurzem Sprachweg Jahrtausende, umgebe ich sie mit dem Volk, das sie verscheuchte. Ein farbloses Deutsch als Gegensatz zu ihrer Selbstgewißheit; verkrüppeltes Echo des Sinns wie des Klangs. Keine Übersetzung, sondern eine Verzerrung, Verarmung dessen, was sie erfand. Als das, was sich um sie verengte, sie jedoch nicht beirrte. „– Ihr verhöhntet meine Lippe / Und redet mit ihr. –“

Was muß man noch wissen? Die Elberfelderin sprach Platt. Und wenn man von ihr spricht, läßt man nie ihren Vornamen weg.

 

Else Lasker-Schüler

Meine Mutter

War sie der große Engel,
Der neben mir ging?

Oder liegt meine Mutter begraben
Unter dem Himmel von Rauch –
Nie blüht es blau über ihrem Tode.

Wenn meine Augen doch hell schienen
Und ihr Licht brächten.

Wäre mein Lächeln nicht versunken im Antlitz,
Ich würde es über ihr Grab hängen.

Aber ich weiß einen Stern,
Auf dem immer Tag ist;
Den will ich über ihre Erde tragen.

Ich werde jetzt immer ganz allein sein
Wie der große Engel,
Der neben mir ging.

* * *

Hol mal das Knochenritual.
Der Setzkasten ist voller Mundwerkzeuge.
Das Sprechbesteck kommt nicht weg.

So wie das Meer Steine bewegt
so wie das Meer Steine ablegt
wächst das geordnete Gerippe
und es bildet sich Fleisch
das lebt und heißt bald Mama, Mamuśka, Mamuś –

Manchmal muß ich in deinen Knochen wandern
manchmal wandern sie in mich
und auf den Feldern liegt’s dann
aufgerollt in weißen Säcken unter Misteln.

Lauter Ernten die wir wenden.
Grünes Wasser in den Bäumen
samt der späten Frucht in ihnen.

Ob in ihnen Nadeln stecken.
Ob sie wandern oder liegen bleiben.
Nicht zu fassen wo es hingeht
wenn sie treiben.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur, Nr. 92, Februar 2019. Für die Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung  danken wir Kerstin Preiwuß und dem Herausgeber der Zeitschrift Norbert Wehr. In der Druckfassung der Erstveröffentlichung sind die  beiden Gedichte von Else Lasker-Schüler und  die Verse, die Kerstin Preiwuß ihnen „zur Seite“  stellt, nebeneinander platziert. Sie konnten in der erneuten Veröffentlichung hier nur untereinander gesetzt werden.