Die Gabe zur Mitarbeit

Sophia Ebert untersucht die Co-Autorschaft von Walter Benjamin und Wilhelm Speyer

Von Alexandra RichterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Richter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht in allen Ländern besteht für Dissertationen Publikationspflicht. Das kann man befürworten oder bedauern, Tatsache bleibt, dass sich Form und Ziel einer wissenschaftlichen Arbeit selten mit denen einer Veröffentlichung decken. Während eine Dissertation Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Darstellung, Quellenstudium, Forschungsbilanz und eine eingehende Analyse von Details erfordert, wünscht sich der wissenschaftlich interessierte Leser einen stringenten und leicht fasslichen Überblick über eine Frage oder ein Themenfeld. Diese Diskrepanz zwischen den akademischen Anforderungen ans Schreiben und den Bedürfnissen der lesenden Öffentlichkeit hat Walter Benjamin in einer „Lehrmittel“ überschriebenen Glosse seiner Einbahnstraße auf den Punkt gebracht, indem er sieben „Prinzipien der Wälzer“ formulierte, konkrete Anleitungen, wie sich Bücher massiv mästen und unnötig aufblasen lassen. Diesen Maßstab an Sophia Eberts Dissertation anzulegen, wäre unfair. Gleichzeitig lässt sich nicht ganz davon abstrahieren, zum einen weil die „Popularisierung“ Thema ihrer Dissertation ist, zum anderen weil Benjamins Kritik an der universitären Produktion unverdaulicher Wälzer nichts an Aktualität verloren hat.

Der von Ebert zur Darstellung gebrachte Forschungsgegenstand ist neu: Es geht um die Wiederentdeckung Wilhelm Speyers, eines der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Weimarer Republik, den die Germanisten Helga Karrenbrock und Walter Fähnders 2008 erstmals mit Beiträgen zu seinem Werk aus der Vergessenheit zurückgeholt haben. Seither hat sich auch Sophia Ebert selbst, teilweise zusammen mit Thomas Küpper, um die Edition von Texten dieses Autors verdient gemacht, sodass derzeit die Romane Charlott etwas verrückt (2007) und Ich geh aus und du bleibst da (2011), die Erzählungen Wie wir einst so glücklich waren (2012) und Sommer in Italien (2014), die für Hollywood geschriebenen Texte Das faule Mädchen (2014)  sowie ein Band mit Gesellschaftskomödien (2016) wieder erhältlich sind.

Allerdings verdankt sich das Interesse an Speyer weniger der Qualität seiner Texte als dem Umstand, dass Walter Benjamin mit dem Autor befreundet war und bei einem Roman und drei Komödien als Co-Autor in Erscheinung getreten ist. Die Dissertation möchte diese „Kollaboration“ nicht nur rekonstruieren, sondern auch wissenschaftlich einholen und das zweihändige Schreiben, die doppelte Autorschaft theoretisch fassen. Dabei wird aus einer kreativen Mücke ein theoretischer Elefant, wenn sich zum Beispiel ein simples Gespräch als begrifflich unnehmbare Hürde erweist:

„Die Integration des kommunikativen Prozesses in die Betrachtung kollektiver Literaturproduktion legt die Betonung auf das interaktive Moment künstlerischer Zusammenarbeit und trägt somit der Einsicht Rechnung, dass sich Gedanken, Positionen, dramaturgische Entscheidungen häufig nicht zweifelsfrei einer der beteiligten Personen zuordnen lassen, weil sie sich aus einer Gesprächssituation ergeben haben.“

Auch suggeriert die Darstellung eine Co-Autorschaft, ein gemeinsames Schreiben. Erst gegen Ende der Arbeit und nach eigenen Nachforschungen wird klar, dass Benjamins Mitarbeit auf einer klaren Rollenaufteilung beruhte und sich auf seine Funktion als Kritiker bezog. Also kein gemeinsames Schreiben (wie beispielsweise am geplanten Kriminalroman mit Bertolt Brecht), sondern ein vorgreifendes Eingreifen des Kritikers, wie es in einem gemeinsam konzipierten Gespräch für den Rundfunk von Benjamin und Speyer humorvoll inszeniert und vorgeführt wird. Das Spektakuläre dieser Arbeitsteilung kommt bei Ebert nicht in den Blick, nämlich der Versuch, aus der bisher immer nachträglichen Kritik eine den Schriftsteller während der Entstehung seines Werks beratende und begleitende Instanz zu machen. Eine so konzipierte Kritik hätte sich zugleich auch selbst von ihrem Fluch – Goethe verglich sie mit der dem Schriftsteller immer nur hinterherhinkenden Schicksalsgöttin Ate – erlöst.

Als drittes Ziel geht es Sophia Ebert im Hinblick auf Speyers kommerzielle und fürs breite Publikum konzipierte Literatur auch um eine Theorie der „Popularisierung“, die sie aus Benjamins Texten zu rekonstruieren versucht. Dabei unterschiebt sie Benjamin ein herkömmliches Verständnis von Popularisierung. Das von ihr angewandte Modell entpuppt sich als stereotypes Lektüremuster. Es ergibt keinen Sinn, ja es verstellt geradezu das Verständnis, wenn Benjamins Gedanken und Ideen zum Rundfunk mit einem Sender-Empfänger-Modell analysiert werden. Dieses hatte Benjamin in seinem Aufsatz zur Aufgabe des Übersetzers explizit abgelehnt und gar die Nichtbeachtung des Aufnehmenden gefordert, dem keinerlei Rücksicht geschuldet sei. Auch sein Anspruch nach einer dem technischen Stand der Zeit und den mit ihr einhergehenden Veränderungen der Wahrnehmungsmöglichkeiten Rechnung tragenden Kunst hat mit Popularisierung nichts gemein. Der lange, Benjamin gewidmete Mittelteil verliert sich in paraphrasierenden Zusammenstellungen und lässt problemgeschichtliche Zusammenhänge, Diskussionen mit verwandten Problemstellungen in Übersetzung, Literaturkritik, Film, Theater oder Zeitschriftenprojekten, aber auch literatur- und philosophiegeschichtliche Kontexte vermissen.

Von den gesteckten Zielen darf die Rettung Speyer mittels einer Aufarbeitung des über ihn bekannten Materials wohl als die gelungenste Leistung dieser Arbeit gelten. Sophia Ebert hat gewissenhaft recherchiert und die Darstellung im ersten Kapitel gibt ein vollständiges und umfassendes Bild dieses Autors. Der literaturwissenschaftliche Versuch der theoretischen Erfassung der Co-Autorschaft muss als ebenso gescheitert gelten wie die Konstruktion einer Benjaminschen Theorie der Popularisierung. Die von Benjamin als „Gabe zur Mitarbeit“ bezeichnete Fähigkeit, Freunde in ihren Projekten kritisch zu unterstützen und zu begleiten, wurde hier erstmals angeschnitten und ins verdiente Licht gestellt. Nun gilt es, ihrer Leuchtkraft zu folgen, so weit das Auge der Forschung reicht.

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Sophia Ebert: Walter Benjamin und Wilhelm Speyer. Freundschaft und Zusammenarbeit.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2017.
319 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783849812317

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