Ein Swimmingpool voller Geschichten

Das Erstlingswerk „Swimmingpool am Golan“ von Esther Zimmering nimmt sich einiges vor

Von Lisa-Marie KrosseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie Krosse

In einer Zeit, in der die Filmlandschaft alles schon einmal abgehandelt zu haben scheint, in der ein Sequel das nächste Prequel jagt und Romanverfilmungen als innovative Abwechslung vom Marvel-Universum gelten, sind Dokumentarfilme eine angenehme Alternative. Streaming-Anbieter wie Netflix und Co. haben längst verstanden, dass das Genre boomt, und passen ihr Angebot entsprechend an.

Es scheint daher erstaunlich, dass auf dem Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen 2018 die Dokumentarfilme nicht einmal als eigene Kategorie vertreten sind. Blättert man durch das Programmheft, muss man aufmerksam lesen, um die vier Dokumentarfilme zu entdecken. Bei insgesamt 78 Filmen eine ernüchternde Zahl.

Umso schöner ist es, dass Esther Zimmering, die vor allem als Schauspielerin aus verschiedenen Fernsehproduktionen bekannt ist, auf dem Festival ihren Dokumentarfilm Swimmingpool am Golan (2018) vorstellt, der die Suche nach der eigenen Identität innerhalb ihrer Familiengeschichte beleuchtet. Es ist der erste Film Zimmerings. Neun Jahre brauchte sie, um dieses sehr persönliche Werk fertig zu stellen. Aus mehr als hundert Stunden Material entstand ein Film, dem man seinen Erstlings-Charakter zwar anmerkt, der jedoch durch sonst seltener beleuchtete Themen, wie das Verhältnis zwischen der DDR und Israel, interessante Aspekte beinhaltet.

Esther wuchs in der DDR auf. Ihr Großvater hatte als ständiger Vertreter des Staats bei der UN-Wirtschaftskommission ein hohes Amt inne, und auch ihr Vater hatte eine Anstellung bei der Regierung. Als Arzt beim militärischen Abschirmdienst war er der Verschwiegenheit verpflichtet und durfte seinen Kindern erst nach der Wende verraten, was sein genauer Beruf war. Mit dem Mauerfall eröffnete sich für Esther schließlich eine ganz neue Welt. Nicht nur die Gesellschaft um sie herum veränderte sich, sondern auch ihre Familie: Sie erfuhr, dass sie Verwandtschaft in Israel hat. So wird in dem Film Esthers Familiengeschichte, die voll von interessanten politischen und ideologischen Zusammenhängen ist, aufgerollt.

Im Zweiten Weltkrieg flohen Esthers Großmutter und deren Cousine, Esthers Großtante, vor den Nationalsozialisten. Die Großtante verschlug es nach Israel, wo sie dabei helfen wollte, einen neuen Staat auf Basis sozialistischer Denkweisen aufzubauen. Seit den 1920er Jahren gab es dort die sogenannten „Kibbuze“, Kollektivsiedlungen, deren Grundidee eine genossenschaftliche Lebensgemeinschaft darstellt. Mit der Flucht der europäischen Juden wuchsen diese Gemeinschaften. Esthers Großtante verbrachte ihr Leben in einem Kibbuz und gründete dort eine Familie. Nach der Wende besuchte Esther sie häufig und war begeistert vom Land und dem dortigen Leben. Sie glaubte, hier ihre Identität gefunden zu haben.

Esthers Großmutter wählte einen anderen Lebensweg. Sie zog es nach der Flucht und dem Exil wieder zurück nach Deutschland. Ganz ähnlich wie ihre Cousine, wollte sie sich an dem Aufbau eines „besseren“ Landes beteiligen, in ihrem Falle der DDR. Ihr Mann war überzeugter Kommunist und wurde deswegen im Dritten Reich verfolgt. Er glaubte fest an die Neugründung eines antifaschistischen, sozialistischen Staates. Doch Juden waren auch bei den Kommunisten nicht beliebt und im Zuge der Judenverfolgung durch Stalin distanzierte sich Esthers Großvater von den „Zionisten“ und bekannte sich ausschließlich zum Kommunismus.

Der Film zeigt einzelne Aspekte dieser gespaltenen und doch zusammenhängenden Familiengeschichte. Zuletzt erfährt man außerdem, wo Esther schließlich ihr Zuhause gefunden hat. Filmisch wird dies durch Interviews mit Familienmitgliedern, alte Schriftstücke und Fotos, sowie Esthers Kommentar aus dem Off umgesetzt. Es entsteht dadurch ein gewisser Tagebuch-Charakter, der dem Film eine besonders persönliche Note verleiht.

Ein Problem gibt es jedoch: Es sind weder Esthers Leben noch ihre Geschichte, die den Film spannend machen. Die eigentlichen Protagonistinnen müssten ihre Großmutter und ihre Großtante sein, die die Wurzel dieses verzweigten Familienbaums bilden. Leider sind beide schon verstorben und so bleibt Esther Zimmering nichts anderes übrig, als die noch lebenden Zeitzeugen zu interviewen, um die Familiengeschichte zu rekonstruieren. Hieraus ergibt sich ein weiteres Problem: Der Film ist so persönlich, dass es für den Zuschauer wirkt, als sei es Esther unangenehm, die wirklich kritischen Fragen zu stellen. In einer Szene beispielsweise zeigt sie ihrem Großonkel die Stellungnahme, die ihr Großvater in der DDR verfasste, in der er sich gegen die zionistischen Juden ausspricht. Die Reaktion des Onkels ist gereizt und aufgeregt und so lässt es Esther einfach gut sein. Auch eine Konfrontation mit ihrem Cousin wirkt gehemmt. Sie spricht ihn darauf an, ob er sich ein Leben in Deutschland vorstellen könne, worauf er erwidert, dass er in Israel bleiben müsse, weil man als Jude die Verpflichtung dazu habe. In diesen Situationen scheint es so, als hätte Esther Fragen, die sie sich nicht zu stellen traut. Einzig mit ihrem Vater geht sie härter ins Gericht. Sie will von ihm wissen, wieso er an die DDR glaubte und warum er nie über seine israelische Familie gesprochen hat.

Was die Komposition angeht, weist der Film ebenfalls Schwächen auf. Die Fülle an Themen und Geschichten ist einfach viel zu groß. Es gibt die DDR-Geschichte, die Israel-Geschichte, die aufmüpfige Tante, die das DDR-System hinterfragte, den staatstreuen Vater, die Großtante, die fest an das System der Kibbuze glaubte. Ebenfalls angerissen werden Konflikte mit Arabern, das Selbstverständnis der israelischen Jugend, der Zionismus an sich, der Sozialismus, die Besiedelung Israels in Kooperation mit den Nationalsozialisten, die jüdische Widerstandsbewegung im Dritten Reich und schließlich Esthers eigener Lebensweg. In Swimmingpool am Golan steckt Stoff für zahlreiche Dokumentarfilme.

Der technischen Umsetzung des Films merkt man außerdem an, dass er als kleines privates Projekt startete und mit der Zeit, auch dank Fördermitteln, an Qualität gewann. So wirken die Aufnahmen zu Beginn, als wären sie mit einer Urlaubskamera gefilmt. Die Bilder, die offenbar später entstanden, wirken hingegen qualitativ hochwertiger.

Trotz dieser Überladung und der kleinen technischen Unstimmigkeiten ist Esther Zimmerings erstes Werk ein guter Film, der mit etwas mehr Distanz und Fokus ein sehr guter hätte werden können. Er ist eine Empfehlung für jeden, der in Dokumentarfilmen eine Alternative zu aktuellen Kinotrends für sich entdeckt hat. Es ist besonders bedauernswert, dass der Film bis jetzt keinen Verleih gefunden hat, weil Swimmingpool am Golan etwas schafft, womit sich Spielfilme häufig schwertun: Er erzählt sehr persönliche Geschichten, ist lebensnah und überrascht den Zuschauer mit neuen Zusammenhängen, die direkt aus dem Leben gegriffen sind.

Swimmingpool am Golan
Deutschland 2018
Regie: Esther Zimmering
Spieldauer: 88 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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