Die Architektur des Lebens

Theresia Enzensbergers Debüt „Blaupause“ erzählt vom Leben am Bauhaus

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Weimarer Republik gehört wohl zu den spannendsten Etappen in der deutschen Geschichte. Sie existierte zwar gerade einmal knapp 15 Jahre, aber sie ist das erste demokratische Experiment auf deutschem Boden gewesen, welches in letzter Konsequenz krachend scheiterte. Diese Zeit war stark geprägt von politischer Unruhe, Experimenten und polarisierenden: Kommunistische, nationalsozialistische, demokratische und monarchistische Ideen kämpften um die politische Vorherrschaft, daneben gab es allerlei reformatorische Leitideen. Auch kulturell war die Weimarer Republik eine bewegte Zeit: Die Menschen suchten nach Zielen und einem Halt nach dem verlorenen Weltkrieg. Sie fanden ihn unter anderen in reformpädagogischen Theorien etwa eines Rudolf Steiner oder in den esoterisch-religiösen Geheimlehren von Madame Blavatsky. Der Mensch sollte in dieser umtriebigen Zeit neu erfunden werden: Die Rolle der Frau und des Mannes wurde neu bewertet, das Theater reformiert, die Literatur in eine neue ästhetische Form gekleidet und auch die Architektur neu erfunden. Wenn man spezifisch an die Ästhetik der Weimarer Republik denkt, wird einem die Neue Sachlichkeit einfallen: Man versuchte, die Wahrnehmung mittels Sachlichkeit, Distanz und Kälte  zu rationalisieren und zu schärfen. In der Architektur steht hierfür das von Walter Gropius erdachte Bauhaus, wo Theresia Enzensbergers Debütroman Blaupause spielt.

Luise Schilling reist 1921 nach Weimar, um dort an Gropiusʼ berühmter Schule Architektur zu studieren. Dort lernt sie Jakob kennen, der ein Anhänger von Johannes Ittens Mazdaznan-Religion ist. Luise schließt sich aus Liebe ebenfalls Ittens Gemeinschaft an. Als die Beziehung zu dem sprunghaften Jakob in die Brüche geht, flieht sie aus Weimar, nur um Jahre später an das Bauhaus in Dessau zurückzukehren und sich dort sofort in Hermann zu verlieben, der mit rechten Ideen sympathisiert. Doch auch diese Beziehung nimmt ein unvermeidliches Ende.

Mehr Handlung steckt tatsächlich nicht in Blaupause. Das Buch ist in zwei Teile untergliedert, die 1921 in Weimar und 1926 in Dessau am Bauhaus spielen, und die beide aus der Sicht von Luise geschildert werden. Die Grundidee, dass aus der Perspektive einer Frau, deren allgemeine Rolle sich in diesen Jahren stark gewandelt hat, die turbulenten Ereignisse geschildert werden, ist grundsätzlich gut, die Umsetzung jedoch ist Enzensberger nicht gelungen. Warum? Weil dem Leser die Ereignisse eben lediglich aus der Sicht von Luise vermittelt werden – und die hat kein Interesse für Politik oder Kultur oder gar für das Studium. Sie schmachtet lieber ihren Angebeteten Jakob an, der so schöne Haare hat, oder schwärmt von dem erfolgsorientierten Hermann, der alles so gut im Griff hat. Die Liebe und die Männer stehen für Luise im Mittelpunkt, und nichts anderes. Damit hat Enzensberger enormes Potenzial verschenkt, denn anstatt dass sie ihre Protagonistin in das turbulente Leben der „Goldenen Zwanziger“ wirft und sie die neuen Entwicklungen reflektieren lässt, bleibt Luise am Rockzipfel der geliebten Männer hängen. Darüber hinaus ist die Figur der Luise so charakterlos entworfen, dass sie eigentlich keine eigene Persönlichkeit hat und ihr Leben und Person nur nach den Männern ausrichtet; damit bleibt sie dem alten Rollenbild der Kaiserzeit verhaftet.

Über große Strecken des Romans wirkt es so, als lese man keinen Roman vor dem Hintergrund der Weimarer Zeit, sondern halte einen Roman von Enid Blyton oder von Emmy von Rhoden in Händen. Die Probleme der Weimarer Republik spielen kaum eine Rolle, die ganz allgemeinen Zeiterscheinungen werden nur am Rande erwähnt: Mal wird darauf hingewiesen, dass es Arbeiter und Kommunisten in Luises Umfeld gibt, die sich Straßenkämpfe mit der braunen Gefahr liefern, mal wird auf den Lebenshunger der Menschen anhand von Transvestiten hingewiesen, mal fällt der Name Walther Rathenau und dessen Ermordung am Rande eines Gespräches. Enzensbergers Hinweise auf die Zeit der Weimarer Republik sind zwar korrekt dargestellt, wirken aber oberflächlich und fast schon klischeehaft – tiefere Reflexionen oder Zeiterscheinungen, die man außerhalb von Schulbüchern findet, sucht man vergebens. Die Autorin hätte sich lieber die Zeitromane der Weimarer Republik von Hans Fallada, Vicki Baum oder auch Arnolt Bronnen zum Vorbild nehmen sollen, um zu lernen, wie man den Geist und die Zeit dieser Epoche wiedergeben kann. Auch die historischen Persönlichkeiten sind konturlos, da sie lediglich erwähnt werden und damit bloße Schatten bleiben. So raunt es finster um Namen wie Paul Klee, Wassily Kandinsky, Ludwig Mies van der Rohe oder auch Bruno Taut, die am Rande erwähnt und auch mal kurz auftreten dürfen, aber in letzter Konsequenz keine Funktion erfüllen. Es artet zu einem reinen Namedropping aus. Nur Gropius erhält etwas Kontur, aber hier darf man sich darüber streiten, warum er als Plagiator dargestellt werden musste. Dass die Handlung am Bauhaus spielt, verliert sich über den mädchenhaften Schwärmereien der Protagonistin. Das Thema wirkt eher aufgesetzt, und nur an einigen wenigen Stellen, besonders gegen Ende des Romans hin, spielt die Bauhausästhetik eine Rolle.

Theresia Enzensbergers Roman krankt in erster Linie an der begrenzten Perspektive, die sich die Autorin selbst auferlegt hat, indem sie sich für diejenige Luises entschieden hat – in solchen Fällen steht oder fällt der Roman und seine Handlung immer mit der Ausgestaltung der Protagonisten. Hier misslingt er ganz klar, denn die Protagonistin ist selbstfixiert und unfähig, ihre Zeit, in der sie lebt, wahrzunehmen.

Titelbild

Theresia Enzensberger: Blaupause. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
256 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446256439

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