Er wollte noch fliegen lernen

Zum Tod des provozierenden Multitalents Herbert Achternbusch

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

„Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!“ Mit diesen typischen, schelmisch-provokanten Sätzen hat Herbert Achternbusch vor einigen Jahren sein eigenes Leben beschrieben. Zugespitzt, drastisch, gegen den Strom – so wie sein gesamtes künstlerisches Werk.

Herbert Achterbusch ist immer frech, immer provozierend und oft für handfeste Skandale gut gewesen. So wie 1977, als er während der Petrarca-Preisverleihung den Scheck mit dem vom Verleger Hubert Burda gestifteten Preisgeld verbrannte und die Veranstaltung unter Protest verließ.

Ob als Schriftsteller, Maler, Dramatiker oder Regisseur – Herbert Achternbusch, der 2010 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet worden ist, hat sich nie verbiegen lassen, hat nie nach dem Mainstream geschielt und kein Fettnäpfchen ausgelassen. Als 1999 die ganze Republik Schlange stand, um Günter Grass zum Literaturnobelpreis zu gratulieren, gab es verbales Störfeuer aus Bayern: „Das Mittelmaß setzt sich durch, da kannst´ nichts machen.“

Mit Mitte Zwanzig veröffentlichte das in München als uneheliches Kind eines Zahntechnikers und einer Sportlehrerin geborene und bei der Großmutter in der Provinz des Bayrischen Waldes aufgewachsene Multitalent seine ersten Gedichte, 1974 entstand (nach einigen Schmalfilmexperimenten) der erste Kinofilm „Das Andechser Gefühl“ – geprägt von Werner Herzog und Volker Schlöndorff. Mehr als zwei Dutzend Filme (zumeist nur in Programmkinos zu sehen) folgten, und für „Das letzte Loch“ erhielt Achternbusch gar das deutsche Filmband in Silber und den Preis der deutschen Filmkritik.

Seinen großen Bekanntheitsgrad verdankt Achternbusch, der abwechselnd in der Münchener Burgstraße und in Niederösterreich lebt, seinen mehr als 30 Theaterstücken (u.a. „Sintflut“, „Weg“, „Auf verlorenem Posten“ und „Letzter Gast“), obwohl er sich stets abfällig über die Bühne geäußert hat: „Wer nichts zu sagen hat, kann immer noch Theater machen.“

Mit der CSU und der katholischen Kirche ist Achternbusch aufgrund provozierender Äußerungen (wie z.B. in seinem Band „Wohin“: „Die Religion ist so dumm wie das Wasser, weil es unfähig ist, seinen Kreislauf zu durchbrechen.“) und fragwürdiger künstlerischer Verzerrungen immer wieder aneinander geraten. Gott als Schokoladenosterhasen und sich selbst in der Rolle des Papstes inszenierte er 1978 im Film „Der junge Mönch.“

Achternbuschs ständiges Pendeln zwischen Film, Theater, Literatur, Malerei und Schauspielerei ist Ausdruck einer permanenten Suchbewegung nach künstlerischen Ausdrucksmitteln. Richtig heimisch geworden ist er in keinem Genre. Vielmehr versucht er sich als Gesamtkunstwerk zu inszenieren. Im Band „Hundstage“ (1988) ernannte er sich in einem Anflug von Größenwahn selbst zum „drittbesten deutschen Maler“, vom Wunsch beseelt, „in München noch ein Museum einzurichten.“ Dieses ambitionierte Anliegen ist zwar gescheitert, doch Achternbuschs Affinität zur provozierenden Selbstinszenierung hat darunter nicht gelitten. In seinem opulenten „Bekenntnis“-Band „Der letzte Schliff“ (1997) schrieb er: „Ich bin ein Genie/ Ich falle vom Himmel.“

Es war in den letzten Jahren ruhig geworden um ihn. „Jetzt mag ich nicht mehr malen, mir fällt nichts mehr ein. Ich habe kein Geld für einen Film. Schreiben tue ich auch nicht mehr, nicht einmal mehr Briefe. Da bin ich ganz widersetzlich. Jetzt muss ich noch das Fliegen lernen, damit ich bis zur nächsten Häuserzeile komme und nicht gleich auf die Straße falle, falls ich mich mal umbringen will.“ So hatte Achternbusch seinen Rückzug erklärt.

Herbert Achternbusch – eine anarchisch-funkelnde Mischung aus einer Prise Büchner, einer kleinen Portion Beckett und ganz viel Karl Valentin – ist bereits Anfang der Woche in München gestorben.