Erlebnisdichte und Ereignisfülle
Hartmut Geerkens found footage memorabilia „hart im raum“
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / Literaturhinweisedie beschreibungen von frühesten erinnerungen ergeben bilder von horizontalen erscheinungen. die Inhalte sind weit weg & kaum noch erkennbar. die formen sind starr. ich höre die detonationen sehr deutlich, aber ich kann dieses geräusch nicht rekonstruieren. ich schreibe zeile unter zeile über oft kaum ausmachbare sachverhalte, die jedoch so hart sind, dass sie in mir anecken & schmerzen. kleine wildgewordene katzen & morgensterne belästigen mein hirn, aber ich will nicht mehr mit mir diskutieren, was ist oder was sein sollte oder was hätte sein sollen oder gar was war. dem innen dicht vollgeschriebenen subjekt soll man es äusserlich nicht ansehen.
Die Bücher Hartmut Geerkens sind allesamt, auf die eine oder andere Weise, Erinnerungsbrocken. Sie sind zugleich Erzählexperimente, die an die Snapshot-Technik Arno Schmidts und an dessen Prosatheorie der „Berechnungen“ gemahnen. Geerkens Brocken sind im Laufe der Jahre immer größer, schwerer und dicker geworden, und auch die Schreibanlässe sind vielfältiger und vielgestaltiger als in den formstrengen Anfängen dieses Allrounders – dieses Schriftstellers, Musikers, Tonkünstlers, Schauspielers, Filmemachers, Sammlers, Herausgebers.
In dem obigen Eingangszitat blitzen Aspekte der ecriture automatique auf, Momente einer ergebnisoffenen Selbsterkundung und Selbstvergewisserung, aber auch die Reizüberflutung des selbstbewussten Geistes und die Sehnsucht nach einer Gelassenheit des Alters.
Wenn sich diese Memorabilia so gut, süffig und voraussetzungslos lesen lassen, so liegt dies sicherlich auch an den vom Autor beargwöhnten „Trivialitäten“: Hier wird eben von allem und jedem berichtet, was einem im Leben begegnen kann, ob es wichtig oder unwichtig war, alltäglich oder exzeptionell, und so mag auch die Manifestation des Trivialen notwendig sein, um uns ein Gespür für das Außergewöhnliche zu vermitteln. Ich habe ohnehin nichts gegen das Triviale – wie könnte ich sonst Karl-May-Leser sein, dem ich meine Sprache verdanke?
Die Sprachskepsis zieht sich durch alle Bücher Hartmut Geerkens, und auch hart im raum ist voll davon. Zugleich zeigt sich der Verfasser fasziniert vom Satz als syntaktischer Einheit, und so manche Beobachtung zum Satz und Satzgefüge ließe sich zu einer Satzlehre zusammenstellen:
das unbewusste bringt bilder & gesten, aber die syntax schafft solche nie. ich erfinde nicht meine ereignisse, ich formuliere meine existenz. es geht überhaupt alles ganz anders viel besser. ich will über alle buchstaben hinweg das papier wiederfinden. bei der grammatik gilt, was man im kopf hat, mit den füssen zu tun. & immer wieder fülle ich eine zeile. so einfach & frei steht dann so ein satz da. das möge man mir verzeihen.
Oftmals lässt sich solch ein freistehender Satz, „aus dem traumzusammenhang gerissen“, als Aphorismus begreifen („in der zugtoilette, nicht auf der zugspitze“; „auf jeder seite geht neben mir ein traum“), doch wird hier keine Bedeutungshuberei getrieben, sondern es geht darum, etwas aus der kontinuierlichen Fortschreibung des Lebensvollzuges herauszulösen – um es anzuschauen wie ein fremdes Tier. Denn wie alle großen Schriftsteller lässt sich auch Hartmut Geerken vom Vertrauten in Erstaunen versetzen, von Fauna und Flora (die Nachtkerze, die blaue Schwertlilie), von Berg und Tal, Stadt und Land, Sprache und Wort: „ich lese ein wort & falle auf die nase“.
Die Erlebnisfülle des Sprachlehrers und Kulturvermittlers, der das Goetheinstitut in Kabul leitete, der mit Sun Ra und Famoudou Don Moye musizierte und konzertierte, der mit Achternbusch Filme und Bühnenstücke realisierte, der Hörspiele schrieb und vergessene Autoren der Moderne herausgab (die 38-bändige Mynona-Ausgabe rundet und vollendet sich gerade), gibt Einblick in ein bewegtes Leben: Bereits früh war es vom Bombenkrieg überschattet, doch bald nach dem Studium folgte der viele Jahre währende Aufbruch in exotische Weiten und ferne Länder, bevor Wartaweil am Ammersee zum Altersunruhesitz auserkoren wurde – übrigens aus einem Versehen und aus einer Weißbiertrübung heraus.
hart im raum ist die Erzählung eines geglückten Lebens: oft fehlte nicht viel, und dieses Leben wäre vorzeitig gewaltsam verdorben worden – im Bombenkrieg, vor dem Tauerntunnel, im klapprigen Flugzeug, infolge Gasvergiftung oder durch einen ,rolling stone‘ –, doch immer war ein Schutzengel auf Geerkens Seite und bewahrte ihn mit Nachdruck. Dadurch konnte die Lebensenergie dieser rastlos tätigen Natur in zahllose produktive Projekte geleitet werden. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten, dieses Leben nachzuvollziehen: lesend, denn die meisten seiner Bücher legen Zeugnis ab (beispielsweise kant, phos und mappa), aber auch hörend, denn die Hörspiele, Platten und sonstigen Tonträger markieren Wegstationen ebenso wie die Filme und Filmdokumentationen. Sie lohnen sich alle.
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