Eric Clapton, Paganini, Väter und Söhne

Theres Essmanns gelungenes Erzähldebüt „Federico Temperini“ über die aufkeimende Freundschaft zwischen einem Taxifahrer und einem Stargeiger

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marcel Reich-Ranicki wird der Spruch zugeschrieben „Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn“. Anders als die meisten ihrer Gäste gelten Taxifahrer gemeinhin als finanziell eher klamm, gleichwohl aber auch als kluge Ratgeber, als Weltversteher, schlicht als Menschen, die viel sehen und hören, die viel erfahren. Schließlich treffen in Taxis für kurze Zeit Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Schichten aufeinander. Denn ein Taxi als ein intimer, geschlossener Raum, als ein geschützter, mobiler und gleichzeitig anonymer Ort erleichtert Kommunikation – gerade zwischen einander fremden Menschen. Als Motiv wird es daher im Film wie auch in der Literatur immer wieder zentral in Szene gesetzt: Taxidriver von Martin Scorsese und Jim Jarmuschs Night on Earth seien auf cineastischer Seite als herausragende Beispiele genannt, während Karen Duves Roman Taxi oder Cemil Sahins Debüt Taxi als gelungene literarische Inszenierungen des Taxi-Motiv in jüngster Zeit von sich Reden machten.

Theres Essmann, Jahrgang 1967, knüpft mit ihrer Novelle Federico Temperini an diesen Motivkomplex an. Jürgen Krause verdient, seit er vor 15 Jahren sein Studium an der Verwaltungshochschule nicht zuletzt wegen Prüfungsangst abgebrochen hat, seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer in Köln. Und das entgegen dem Rat seines verstorbenen Vaters Gustav, der als Chauffeur seine Familie mit Autogrammen berühmter Fahrgäste wie Reinhard Mey oder Eric Clapton versorgt hatte und dem Sohn die Lebensweisheit mitgab: „Junge, sieh zu, dass du später gefahren wirst und nicht fährst!“

Jürgens Ex-Frau Irene lebt mit dem gemeinsamen 16-jährigen Sohn Leo und ihrem neuen Partner Ulrich längst in Augsburg. Krause sorgt sich, seinen Sohn, den er in der Regel nur noch zwei Tage im Monat sieht, vollends an Ulrich zu verlieren, scheint Leo doch auf Distanz zu seinem Vater zu gehen. Ab und an ein Badminton-Spiel mit den zwei alten Kumpels Klaus und Wolfgang und das eine oder andere Bier in der Kneipe der Griechin Maria bestimmen neben den Taxifahrten und der Lektüre von Biografien, insbesondere von „erfolgreich gescheiterten“ Musikern wie Eric Clapton, Krauses Alltag. In diesen bricht eines Morgens der Anruf von Federico Temperini ein, der einen Chauffeur sucht: „Sie holen mich zu Hause ab, fahren mich irgendwo hin, warten dort und bringen mich wieder nach Hause“. Krause übernimmt: Meist geht die Fahrt, deren Termine Krause ein paar Tage vorher erfährt, zur Philharmonie:

Irene hatte immer gewollt, dass ich wenigstens als Chauffeur arbeitete wie mein Vater, wenn ich schon unser Geld mit Autofahren verdiente. ‚Lieber großkotzige Generaldirektoren als Fußballfans, die auf den Rücksitz kotzen‘, hatte sie einmal gezetert.

Die bestimmende, schroffe und abweisende Art seines regelmäßig ganz in Schwarz gekleideten Gastes stört Krause anfangs. Doch da die Konditionen stimmen und die Geldscheine immer schon auf der Hinfahrt im „Umschlag aus Büttenpapier“ vom Rücksitz nach vorne wandern, lässt sich Krause weiter darauf ein. Zumal er zunehmend fasziniert von und interessiert an Temperini ist, den ein Geheimnis zu umwehen scheint. So erzählt er auf den Fahrten stets – beinahe wie besessen – vom italienischen Geigenvirtuosen Niccolò Paganini. Der von Legenden umrankte Teufelsgeiger aus dem 19. Jahrhundert, bei dessen Spiel die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen, ist quasi der unsichtbare Dritte, der mit im Taxi sitzt. Immer mehr und mehr lässt sich Krause in das Leben Paganinis und Temporinis ziehen, der fast wie ein Wiedergänger des berühmten Superstars erscheint.

Krause und Temporini, die beiden so verschiedenen Männer, nähern sich einander im Laufe der neun Monate an, in denen der Chauffeur seinen Gast zu Konzerten, aber auch zu Besuchen auf dem Friedhof Melaten und zu einzelnen Ausflügen ins Grüne abholt: Federico Temperini, der Einzelgänger und Sonderling, der scharfe Konzertkritiker und ehemals berühmte Geiger und sein Fahrer Jürgen Krause kommen behutsam zueinander. Schließlich verbindet sie beide in gewisser Weise das Scheitern von Lebensentwürfen; beide treten sie auf der Stelle und doch entwickeln sie Vertrauen zu einander.

Theres Essmann hat mit Federico Temperini eine berührende Erzählung über Freundschaft, über die Beziehung von Vätern und Söhnen geschrieben: „Was wissen Söhne schon über ihre Väter“, heißt es gegen Ende, als klar wird, dass auch Gustav Krause, der etwa so alt wie Temperini ist, den Geiger einst gefahren hat – ohne an dieser Stelle das Ende der Geschichte zu verraten. Eric Claptons Tears in Heaven für seinen mit vier Jahren verunglückten Sohn oder sein My Father’s Eyes geben ebenso den Grundakkord vor wie Paganinis geheimnisumwitterte Lebensgeschichte, nicht zuletzt sein Kampf um den Sohn Achill wie auch sein Tod. Klug komponiert, mehrfach gespiegelt und gebrochen, erzählt Essmann in ihrem gelungenen Debüt in ruhigem Ton, verknüpft mit einer Portion Nonchalance und Humor, von Einsamkeit, von gescheiterten Plänen, aber auch von neuem Halt und Aufbruch.

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Theres Essmann: Federico Temperini.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2020.
163 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783749610266

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