Goldrausch in Ardnakelty
Tana Frenchs Roman „Feuerjagd“ setzt die Geschichte um den Ex-Polizisten Cal und die inzwischen 15-jährige Trey aus dem letzten Buch der irischen Autorin fort
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZwei Jahre sind vergangen, seit der Chicagoer Ex-Cop Cal Hooper sich in ein kleines Cottage in der westirischen Gemeinde Ardnakelty zurückgezogen hatte, um hier ein neues Leben zu beginnen. Die gerade 13-jährige Theresa Reddy, die alle Trey nannten, rückte ihm damals auf den Pelz, damit er, der erfahrene Kriminalist, etwas unternahm, um ihren verschwundenen Lieblingsbruder Brendan aufzuspüren. Dass das nicht allen in dem dörflichen Flecken passte, bekam Cal schnell mit. Und als er der Lösung des Rätsels um das Schicksal des jungen Mannes immer näherkam, wuchsen auch die Gefahren, denen er sich ausgesetzt sah.
Was die 1973 in den USA geborene und heute in Dublin lebende irische Schriftstellerin Tana French in ihrem Roman Der Sucher (2021) – das Original erschien unter dem Titel The Searcher ein Jahr früher – beschrieb, findet nun, in Frenchs aktuellem Roman Feuerjagd, seine Fortsetzung. Cal und Trey haben inzwischen ein kleines Geschäft daraus gemacht, für Leute in Ardnakelty und seiner unmittelbaren Umgebung Möbel zu restaurieren. Nach wie vor fühlt sich das Mädchen, das Cal anfangs lange Zeit für einen Jungen gehalten hatte, wohler in der Gesellschaft des Mittfünfzigers als bei ihrer alleinerziehenden Mutter Sheila und den drei jüngeren Geschwistern zuhause. Doch plötzlich erscheint nach vier Jahren, in dem es kein Lebenszeichen von ihm gab, ihr Vater Johnny Reddy wieder im Ort. Und alle, die ihn kannten, bevor er über Nacht nach London verschwand und seine Familie allein zurückließ, ahnen sofort, dass mit dieser Rückkehr nichts Gutes für den kleinen Ort verbunden sein wird.
Frenchs Romane überzeugten seit dem Erscheinen ihres Erstlings In the Woods (2007, auf Deutsch unter dem Titel Grabesgrün 2008) durch raffiniert ersonnene, verwickelte und oft in die Vergangenheit zurückweisende Plots, psychologische Tiefe und Figuren jenseits des in Kriminalromanen häufig vorherrschenden Schwarz-Weiß-Schemas. Die einst auch als Schauspielerin für Film und Fernsehen tätige Tochter eines amerikanischen Ökonomen und einer Italienerin begann ihre Schriftstellerkarriere mit realistischen Polizeiromanen. In deren Mittelpunkt standen zunächst verschiedene Angehörige der Dubliner Mordkommission und deren akribische Aufklärungsarbeit.
Mit dem Roman Der dunkle Garten (2018, Originaltitel The Wych Elm) schlug French dann eine neue Richtung ein. Sie passt zu dem Vorhaben, welches die Autorin in einem SPIEGEL-Interview 2017 einmal dahingehend formulierte, dass es ihr Ziel sei, die Mauer zwischen Kriminal- und sogenannter „großer“ Literatur genauso zu pulverisieren wie das ihre literarischen Vorbilder, zu denen sie damals Dennis Lehane und Donna Tartt zählte, bereits getan hatten. „Ich finde es spannender, über die großen Wendepunkte im Leben von Figuren zu erzählen“, lautete ein Kernsatz dieses aufschlussreichen Gesprächs. Und sowohl Cal Hooper wie auch Trey Reddy darf man als literarische Antworten auf diese These begreifen.
Was freilich Johnny Reddy betrifft, Treys mit einem windigen Begleiter aus London nach Irland zurückkehrenden Vater, so ist bei ihm keine Spur davon zu entdecken, dass er in der Fremde ein anderer geworden sein könnte. Im Gegenteil: Er ist immer noch der alte, schmierige Charmeur, ein Mann, „dessen Masche es ist, an einem neuen Ort aufzutauchen und sich als irgendwas auszugeben, was ihm gerade nützlich erscheint“, um dann schnell seinen Schnitt zu machen und wieder zu verschwinden. Was die Dorfbewohner bei aller Distanz, die sie schon immer zur Reddy-Familie hatten, zunächst freilich nicht daran hindert, seinen Versprechungen Glauben zu schenken. Gemeinsam mit seinem Londoner Bekannten Cillian Rushborough sorgt er nämlich schon bald dafür, dass in ganz Ardnakelty eine veritable Goldgräberstimmung Einzug hält.
Denn Rushborough, der sich als Nachkomme einer einst fest mit dem Ort verwurzelten Familie einführt, behauptet, von seiner Großmutter ein uraltes Geheimnis erfahren zu haben, wonach sich ganz in der Nähe Ardnakeltys genug Gold im Boden finden lässt, um jeden einzelnen seiner Bewohner reich zu machen. Man müsse ihm halt nur die Erlaubnis erteilen, an den ihm bekannten Orten mit finanzieller Unterstützung durch die Dorfbewohner zu graben. Wer jetzt nicht geizig sei und genug investiere, habe für seine und die Zukunft seiner Familie ausgesorgt und erhalte, sobald der Schatz gehoben sei, das Vielfache jener Summe zurück, die er im Voraus für das Unternehmen aufbringe.
Natürlich steckt hinter dem ganzen Plan nichts als eine große Gaunerei. Gold im Nordwesten Irlands? Cal Hooper hat schon bessere Witze gehört. Und auch die Männer, die sich regelmäßig in der einzigen Kneipe des Ortes versammeln, um über Gott, die Welt und ihre Nachbarn herzuziehen, sind lange nicht so einfältig, wie es sich der Londoner Rushborough und sein Gefolgsmann Johnny Reddy wohl erhofft hatten. Immerhin: Ein paar hundert Euro bringt man zusammen, ist in dem langen und heißen Sommer, in dem der Roman spielt, doch absehbar, dass die Schafzucht, mit der sich die meisten hier kümmerlich ernähren, wohl in den zunehmend regenarmen Jahren immer weniger abwerfen wird. Und irgendwie erwartet man von der Unternehmung, wie es ein Nachbar von Cal Hooper gleich zu Anfang ausdrückt, auch nichts weniger als „interessante Zeiten“, ein kurzweiliges Schauspiel, bei dem man am Rande stehen und sich amüsieren kann, nicht wissend, ob das Ganze als Komödie, Farce oder Tragödie enden wird.
Feuerjagd ist ein Roman, der langsam in die Gänge kommt. Aber diese Gemächlichkeit des Erzählens ist nicht seine Schwäche, sondern eine literarische Stärke, über die auf dem Gebiet der Spannungsliteratur wohl nur die wenigsten Autoren verfügen. Dass im letzten Drittel des Romans auf einem der staubigen Wege Ardnakeltys ein Toter liegt, ein mit allen Wassern gewaschener Dubliner Detective unter den Einheimischen einen Mörder zu suchen beginnt, ein gefährliches euer ausbricht und für kurze Zeit sogar das tiefe Vertrauensverhältnis zwischen Cal Hooper und dem Mädchen Trey auf dem Spiel zu stehen scheint, weil die unbedingt ihre Rache haben will für den Tod des großen Bruders – vielleicht wird man sich an diese inhaltlichen Einzelheiten eines Tages gar nicht mehr erinnern.
Was aber mit Sicherheit im Gedächtnis bleiben wird, weil es einen festen Bestandteil von Tana Frenchs handwerklichem Arsenal in all ihren Romanen darstellt, ist die geniale Dialogkunst dieser Autorin. Bei ihr enthält nahezu jeder Satz eine versteckte Botschaft, etwas Unausgesprochenes, ein mitschwingendes Geheimnis, das aber deutlich zu spüren ist. Erinnern wird man sich auch an die großartigen Landschaftsbeschreibungen, die viel über die Menschen aussagen, die in und mit diesen Landschaften leben müssen. Und wer anders als French brächte wohl die erzählerische Raffinesse auf, die vergebliche Jagd von Cals Hund Rip auf ein paar ihm immer wieder entwischende Schwalben parallel zu einem Gespräch zwischen dem amerikanischen Ex-Polizisten und dem Dubliner Ermittler zu beschreiben, in dem es auf der menschlichen Ebene fast um das Gleiche, nämlich das Erjagen der Wahrheit hinter einem aufzuklärenden Mordfall, geht.
Am Ende von Feuerjagd fällt der langerwartete Regen auf Ardnakelty wie der Vorhang am Ende des letzten Akts auf eine Bühne. Er sorgt nicht nur dafür, dass das ausgebrochene Feuer keine größeren Schäden mehr anrichten kann, sondern verwischt auch alle Spuren, die auf eine andere Wahrheit hindeuten könnten als jene, auf die das Dorf sich geeinigt hat. Dass da freilich unter der wieder zur Ruhe gekommenen Oberfläche noch schwelende Konflikte existieren, macht es fast notwendig, dass Tana French noch ein weiteres Mal an diesen Schauplatz zurückkehrt – für die Leserinnen und Leser dieser großartigen Autorin sicher ein Anlass zur Freude.
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