Lechts und rinks

Erich Frieds Gedicht „Links rechts links rechts“

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erich Fried

Links rechts links rechts

Wenn ein Linker denkt
daß ein Linker
bloß weil er links ist
besser ist als ein Rechter
dann ist er so selbstgerecht
daß er schon wieder rechts ist
Wenn ein Rechter denkt
daß ein Rechter
bloß weil er rechts ist
besser ist als ein Linker
dann ist er so selbstgerecht
daß er schon rechtsradikal ist

Und weil ich
gegen die Rechten
und Rechtsradikalen bin
bin ich gegen
Linke
die denken
daß sie besser sind
als die Rechten
Und weil ich gegen sie bin
denke ich manchmal
ich habe ein Recht zu denken
daß ich doch besser als sie bin

Nein, an den ästhetischen Witz des genialen Wortspiels von Ernst Jandl reicht dieses Gedicht nicht heran: „lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern.“ Dort dementiert die Verwechslung von Buchstaben die Behauptung unverwechselbarer politischer Positionen. Mechanismen des Versprechens oder Verschreibens, wie sie Freud in seiner Psychopathologie des Alltagslebens beschrieben hatte, werden hier artifiziell imitiert. Versehentliche wie künstlich erzeugte Fehler können den Sinn einer sprachlichen Äußerung auf überraschende Weise unterlaufen.

Nach Jandls längst zu geflügelten Worten gewordenen Zeilen ließ sich die Erfahrung, dass scheinbar völlig konträre Einstellungen zuweilen erstaunliche Gemeinsamkeiten haben, nicht bündiger formulieren. Erich Frieds Gedicht zum gleichen Thema hat freilich seine eigenen Qualitäten. Die Buchstaben oder Laute belässt der Autor hier wie auch sonst in seiner Lyrik zwar an ihrem richtigen Ort, aber ein geradezu besessener Spieler mit dem Material der Sprache ist auch er. Die Spielregel, die Fried sich beim Schreiben immer wieder selbst auferlegt hat, lautet etwa so: ,Verwende eine begrenzte Menge gleicher oder im Klang ähnlicher Wörter und arrangiere sie in leicht variierten Abfolgen so, dass sich überraschende Sinneffekte ergeben!‘ In diesem Fall gehören zum Spielmaterial neben einigen anderen Wörtern vor allem diejenigen, die schon im Titel stehen. Sie nehmen sich dort noch aus wie Befehle, nach denen man zu marschieren hat. Das Spiel mit ihnen bringt deren stupiden Rhythmus aber durcheinander.

Gewiss, Frieds Spiel nach dieser Regel hat bessere Gedichte hervorgebracht. Doch auch dieses lohnt sich zu lesen. Es ist ein für ihn typisches Gedicht, enthält eine bedenkenswerte Einsicht und bereitet auch deshalb Vergnügen, weil es ziemlich raffiniert gemacht ist.

Es beruht freilich zunächst auf einer fragwürdigen Voraussetzung. Die suggestiven Verführungskräfte der Sprache überspielen sie. „Rechts“ und „selbstgerecht“ scheinen, weil sie dieselben Laute enthalten, auch inhaltlich verwandt zu sein. Diese Suggestion wird bis zum Ende des Gedichts aufrechterhalten und zugleich ad absurdum geführt. Ein Linker, der denkt, besser zu sein als sein politischer Gegner, ist „selbstgerecht“, demnach also selbst ein Rechter. Damit bleibt das Gedicht noch ziemlich simpel und ähnlich plakativ wie das Denken, gegen das es sich richtet. Erheblich raffinierter wird es erst mit den letzten vier Zeilen: Wer derart gegen die Selbstgerechtigkeit der Rechten wie der Linken anschreibt, entgeht damit dem Makel der Überheblichkeit selbst keineswegs. Indem das Ich „ein Recht“ zu haben glaubt, sich besser als die selbstgerechten Rechten und ihre linken Verwandten zu dünken, bleibt es, der sprachlichen Suggestion nach, den Rechten nahe.

Dieses ‚späte‘ Gedicht Frieds erschien 1981, als der „Kalte Krieg“ noch nicht zu Ende war und auch im Inneren Westeuropas die Kämpfe zwischen Links und Rechts, in die der Autor massiv involviert war, mit erstarrter Routine geführt wurden. Die Zeilen lesen sich in der Erinnerung daran wie ein Friedensangebot oder Ausbruchsversuch. Sie waren jedenfalls dazu geeignet, im Spiel mit Denk- und Sprachschablonen die Verhärtungen der Fronten aufzuweichen, und sie verweisen noch heute auf eine Persönlichkeit, zu deren Überzeugungskraft die Zweifel an sich selbst gehörten.

Fried starb im November 1988, als die Epoche, in der er lebte und schrieb, kurz vor ihrem Ende war. Als Text gegen den Dünkel nicht nur politischer, sondern zugleich auch moralischer, religiöser, nationaler oder ethnischer Selbstgerechtigkeit gelesen, vermag dieses Gedicht den Autor und seine Zeit zu überdauern. Vor allem jedoch mit der Einsicht, dass keiner dem Mechanismus der Selbstaufwertung durch Abwertung anderer gänzlich entkommen kann.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag ist zuerst am 23. Juni 2001 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Rahmen der „Frankfurter Anthologie“ erschienen und wird hier zum 100. Geburtstag Erich Frieds am 6. Mai 2021 erneut veröffentlicht. Das Gedicht ist u.a. erschienen in Erich Fried: Gedichte. Hg. von Klaus Wagenbach. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. S. 75.

 

Titelbild

Erich Fried: Gedichte.
Ausgewählt und herausgegeben von Klaus Wagenbach. Mit einem Nachwort des Herausgebers.
14. Aufl. 2009.
dtv Verlag, München 1997.
144 S. , 8,90 EUR.
ISBN-10: 3423122560
ISBN-13: 9783423122566

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