Der Sound des Zauberers

Eine 20-stündige Hör-Edition der Familie Thomas Mann

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum immer wieder „Die Manns“? Zuletzt in Heinrich Breloers gleichnamigem Film (2001), dann in Tilmahn Lahmes Geschichte einer Familie (2015), nun auch in einer Sammlung von 17 Dokumenten im Originalton, herausgebracht vom Hörverlag. Warum also gab es im 20. Jahrhundert dem Wort eines berühmten Kritikers zufolge „keine bedeutendere, originellere, interessantere Familie“ als die Manns? Thomas Manns Lieblingsenkel Frido Mann hatte darauf eine vierfache Antwort parat: Die Manns sind Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, sie waren politisch auf der richtigen Seite, von ihnen ist so viel dokumentiert worden wie sonst von kaum einer anderen Familie, und diese Dokumente sind auch noch gut geschrieben.

Man muss ergänzen: und auch gut zu hören. Gut 21 Stunden lang dauert es, sich durch die Sammlung von Tondokumenten hindurchzulauschen, die von Robert Galitz und Kurt Kreiler mit ersichtlicher Lust an der Komposition zusammengestellt worden sind. Galitz und Kreiler haben bereits Hör-Editionen von Gottfried Benn, Elias Canetti und Kurt Schwitters fabriziert. Diese Hör-Cassette ist eine Krönung. Die Beispiele umfassen die Münchner Zeit, das Exil in der Schweiz und in den USA, die Nachkriegszeit, die Rückkehr nach Deutschland (mit Auszügen aus Thomas Manns Schillerreden in Stuttgart und in Weimar 1949) und die postume Mann-Rezeption. Hörbar gemacht werden literarische und politische Vorträge, Radioansprachen, Interviews, Rundfunkgespräche, Gedenkreden, Nachrufe, Porträts, Erinnerungen, ein Füllhorn der Gattungen von Tag und Stunde, einschließlich die Beispiele aus den Radioansprachen an die Deutschen aus den letzten Kriegsjahren.

Hier seien nur zwei Beispiele erwähnt. Einmal Erika Manns Reportage über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse vom 19.12.1945, die vom Westdeutschen Rundfunk aufgenommen wurde. Erika Mann berichtet sachlich, genau, deeskalierend, mit Sinn für die historische Stunde: „Der Prozess ist kein Sensationsprozess, so sensationell sein Gegenstand zweifellos ist, er soll keiner sein. Er ist weniger zur Aufregung und Unterhaltung der Gegenwart als zur Belehrung für die Zukunft und für die Geschichte gedacht.“ Sie beobachtete die Angeklagten im Lesesaal, ohne dass diese es merkten, und berichtet, dass sie fieberhaft an ihren Verteidigungsschriften und an sinnlosen Briefen an den amerikanischen Präsidenten schrieben, eine bunte Schar, ein Drittel von ihnen in Uniform, ohne Hosenträger, ohne Gürtel, ohne Abzeichen, ein Drittel in Zivil, ein Drittel in Kriegsgefangenenanzügen. Der Reporter, der voller Ernst die amerikanische Korrespondentin „Mrs Erika Mann“ interviewt, ist ihr jüngerer Bruder Golo Mann.

Das andere Beispiel ist ein Radiogespräch mit Erika Mann, geführt von Marcel Reich-Ranicki und Hans Mayer, produziert in der Reihe „Das literarische Kaffeehaus“ für den NDR am 10. Mai 1967. Kann man sich vorstellen, wie die etwas ältere Mann-Tochter dem Kritiker und dem Germanisten den Schneid abkaufte, indem sie unverdrossen auf das literarische Vermächtnis des Vaters pochte, eine Schatzhüterin vor den Hauptdrachen der Gruppe 47. Hans Mayer, profunder Kenner der Mann-Werke, hatte sich in seinem Buch Zur deutschen Literatur der Zeit (1967) despektierlich über Thomas Manns Alterswerk geäußert. Das sei eine „Literatur nach dem Geschmack der ganz alten Herrn“, „Rollenprosa wie zu einer Schulaufgabe“, „Abbröckeln“ statt „krönender Werkabschluss“. Und wie reagiert Erika Mann? Souverän und gelassen lässt sie die Kritik abprallen, hebt auf das Gesamtwerk ab, konzediert einen ungeschickten Umgang ihres Vaters mit der Kritik, duldet aber keinen Denkmalkratzer – und biegt dann in die Kurve zu einem literarhistorischen Vergleich ab (mit Döblin, mit Musil, vor allem mit Hauptmann), aus dem kein anderer als Sieger herausgehen kann als Thomas Mann. Wir wissen, dass Thomas Mann Dritten gegenüber nicht so freundlich über Hans Mayer gesprochen hat wie zu ihm selbst. Da war er wiederum nicht alleine. Theodor W. Adorno regte sich in seinem Brief an Mann vom 6.7.1950 darüber auf, dass Hans Mayer ihn, Adorno, im Doktor Faustus-Kapitel seines Thomas Mann-Buches „zum physischen Vorbild“ des Teufels habe avancieren lassen, mit dem er „doch kaum mehr als die Hornbrille gemeinsam habe“.

Thomas Manns Stimme klingt übrigens merkwürdig weit weg, nicht nur aufgrund der Hintergrundgeräusche der alten Tonaufnahmen, sondern auch durch die Gesetztheit seiner Rede, das mechanische Englisch und die betont feierliche Sprechart, den hohen Ton. Anders gesagt: Diese Hör-CDs haben eine Aura im Sinne von Walter Benjamin, als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“. Ein akustisches Erlebnis, ein medienhistorisches Ereignis und eine reiche Beute für die Mann-Forschung.

Titelbild

Robert Galitz / Kurt Kreiler (Hg.): Der Kreis des Zauberers. Thomas Mann und Familie. Gesammelte Ton- und Filmdokumente.
Der Hörverlag, München 2017.
17 CDs (1320 Min.), 99,00 EUR.
ISBN-13: 9783844523669

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