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Harald Gröhler hat Dichter besucht und die Begegnungen aufgebauscht

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wir alten Prager – ich darf Sie wohl dazu rechnen – haben durch den ungeheuren Ruhm Kafkas eine Art mysteriöser Wichtigkeit bekommen“, schrieb Willy Haas am 13. März 1948 an Paul Wiegler, der Anfang des 20. Jahrhunderts Feuilletonredakteur der Prager Tageszeitung Bohemia war. „Ruhmschnorren“ ist ein weitverbreitetes Phänomen. So nennt es Harald Gröhler. Er praktiziert es in einem Sammelband voller Rapporte über Dichterbegegungen. Dichter! Dichter! ist ein problematisches und prekäres, aber keineswegs unnötiges und eigentlich ein beispielhaftes Buch. Es demonstriert, wie man von der Aura bekannter Autoren profitieren und an der Patina berühmter Werke auf der Grenze zum Indiskreten kratzen kann. Es  hängt das Bild des gerühmten Autors etwas tiefer und wertet weniger bekannte Schriftsteller auf. Das kann interessant sein, ist aber doch im Einzelnen eine zwielichtige Angelegenheit.

Im Kulturbetrieb hat Harald Gröhler zweifellos Verdienste. Bis 1995 realisierte und moderierte er als „literar. Eventservicemanager, leitend“ – so der am 29.10.2019 zuletzt aktualisierte Wikipedia-Artikel über ihn – 950 Schriftstellerveranstaltungen, darunter eine „Antigolfkriegsveranstaltung mit Exilautoren aus dem Irak und Iran, eine Podiumsdiskussion (u.a. mit dem Kultusminister von NRW und dem VS-Bundesvorsitzenden)“, und „er leitete eine zweisprachige Autorenveranstaltung des Goethe-Instituts in Ankara“. Da erlebt man einiges, was vielleicht überlieferungswürdig und erzählenswert erscheint. Warum aber gehört das in ein Buch?

Man mag dem Projekt zugutehalten, dass es zumindest streckenweise eine gemeinsame Arbeit Gröhlers mit der Autorenfotografin Brigitte Friedrich dokumentiert. Sie hat ihn zu den Autoren begleitet und war, so darf vermutet werden, wohl manchmal der Türöffner, so bei Erich Kästner, den die beiden 1973 in München unangemeldet aufsuchten. Kästner wies sie mürrisch ab. Gröhlers Kommentar ist nicht beleidigt und tut wichtig: „Schnoddrigkeit und Scharfsinn, auf den falschen Anlass gemünzt.“ Ansonsten erfährt man nur, dass Kästner ein „eindeutig hervorragend gebügeltes Oberhemd trug“. Na, so was! In Sven Hanuscheks Kästner-Biographie (1999) hätte er nachlesen können, wie der Autor in seinen letzten Lebensjahren Opfer seiner eigenen Popularität geworden war: „er erhielt Briefe von Lesern, Fans, verkrachten Nachwuchsschriftstellern und Dilettanten, die ihre Gedichte beurteilen lassen wollten“.

Ebenso wenig aussagekräftig sind die Homestories über Peter Handke und Peter Rühmkorf. Von Handke erfährt man, dass er im Dezember 1975 in seiner Pariser Wohnung am Port d‘Auteuil geschickt zwischen seinen Gästen lavierte und gerne „satten“ Widerspruch übte. In Rühmkorfs privaten Garten kam der Besucher nicht hinein, aber seine Erzählungen wurden von Rühmkorf (in einem hier mutvoll abgedruckten Brief vom 29.10.1975) nicht eben schmeichelhaft beurteilt. Etwas Anekdotisches haben die Begegnungen mit Hans Magnus Enzensberger, der so luftig durch seine Wohnung schwirrte, dass es unmöglich war, ein ruhiges Foto von ihm zu schießen, die Besprechung mit Heinrich Böll, der Harald Gröhler am 12.7.1978 in Köln listigerweise einem Leverkusener Kleinverleger anempfahl, und der Besuch im Haus Kreienhoop bei Walter Kempowski, der seine Gäste in ein Zimmer lotste, in dem ein Mikrofonwald von der Decke baumelte, und sie zu Beethovenklängen nach ihrer musikalischen Meinung befragte.

Wer noch nicht weiß, welche Autoren grämliche und garstige und welche zuvorkommende oder entgegenkommende Lesungsgäste sind, kommt hier auf seine Kosten. Aber das um den Preis von Informationen, die sich bestenfalls zu Anekdoten aufschwingen, viel zu oft aber ein löchriges Fangnetz für Homestories bilden. Nahezu peinlich wirkt die Begegnung mit Hilde Domin, die Harald Gröhler 1984 bei einer Heidelberger Lesung, es war seine eigene, mit ihrer „jungmädchenhaften Unbekümmertheit“ die Show stahl.

Es bleiben eine Handvoll netter Begebenheiten, die sehr wenig über den besuchten Autor, viel mehr aber über den „mysteriös wichtigen“ Reporter sagen. Auf der Meister-Schüler-Bühne wirkt das wie eine Posse. Literaturgeschichtlich ist es eine Marginalie. Und als Lesestoff aus der Schlüssellochperspektive nicht unbedenklich.

Titelbild

Harald Gröhler: Dichter! Dichter! So begegneten sie mir. Mit Fotografien von Brigitte Friedrich.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
307 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783826068843

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