Mit festem Schuhwerk und Ausdauer

Über Dirk Heißerers Buch „Thomas Manns Zauberberg“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Zauberberg und das asiatische Prinzip, elektrische Grammophonmusik auf dem Zauberberg, Zauberberg und Erotik, Zauberberg und Krankheit. Seit dem Erscheinen von Thomas Manns Der Zauberberg im Jahr 1924 wurden zahlreiche Aspekte des voluminösen Sanatorium-Stoffes untersucht. Die Bibliographie der Deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft verzeichnet mehr als 400 Bücher und Aufsätze unter dem Stichwort „Zauberberg“. Tut da ein weiteres Buch zum Thema Not? Kann eine Monografie auf 130 Seiten – wie Thomas Heißerers Thomas Manns Zauberberg – hier überhaupt noch einen Erkenntniszuwachs bringen?

Die Antwort lautet: Ja, unbedingt! Immerhin stapft der ausgewiesene Thomas Mann-Experte Heißerer nicht auf ausgetretenen Pfaden. Der Untertitel Einstieg. Etappen. Ausblick verrät einiges über das Konzept des gut lesbaren Bandes: Heißerers Zauberberg-Buch will ein (Zauber-)Bergführer sein und ist das im besten (und pragmatischsten) Wortsinn.

„Auf der Landkarte des Geistes erhebt sich Der Zauberberg als beachtliches Massiv“, bemerkt Heißerer in seiner mit „Annäherung“ überschriebenen Einführung in den Zauberberg-Stoff. Zur erfolgreichen Besteigung des Zauberbergs benötigt man – so Heißerer – Ausdauer und festes Schuhwerk. Dem kann man zustimmen, auch wenn Thomas Mann selbst eher von einem „Eindringen in Berg“ und nicht von einer „Gipfelforcierung“ sprach.

Der Zauberbergführer ist übersichtlich gegliedert und hilft dem Zauberberganfänger bei einer Erstbesteigung (beziehungsweise einem ersten Eindringen in den Stoff), dem Wiederholungsleser bietet er einiges an Informationen zur Werkgeschichte des Romans, zu biografischen Hintergründen und Vorbildern für Figuren und Schauplätze.

Kapitel für Kapitel fasst Heißerer knapp die Handlung von Thomas Manns rund 1.000-seitigem Werk zusammen und übernimmt dabei die Abschnitts-Überschriften des Originals, was bei der Lokalisierung von Textstellen (für Wiederholungsleser und Kenner) durchaus hilfreich ist. In die Chronologie der inhaltlichen Zusammenfassung werden immer wieder Faksimiles der handschriftlichen Manuskriptseiten eingestreut, die Thomas Manns Ringen mit den Formulierungen eindringlich vor Augen führen.

An passender Stelle schiebt Heißerer – typografisch abgesetzt – Bonusmaterial ein: Man liest einen Ausschnitt aus Bertolt Brechts Rezension von 1920 (der Zauberberg zeige „eine Art raffinierten oder naiven Guerillakrieg gegen den Tod“). Außerdem werden Selbstkommentare aus den Tagebucheintragungen Manns und Passagen aus dem Roman selbst eingestreut. Die Leseproben bereiten den unbedarften Zauberbergbezwinger gut auf das vor, was ihn zwischen den Buchdeckeln erwartet: das Schleichen der Zeit im Sanatorium („die Zeit hat in Wirklichkeit keine Einschnitte“), Hofrat Behrens verstörende Drastik („Sie liegen da auf Ihren Hobelspänen und Ihrem Sägemehl, und die Gase, verstehen Sie, treiben Sie auf, sie blähen sich mächtig […] und dann hält die Bauchdecke die Hochspannung nicht mehr aus und platzt. Pardauz“).

Gekonnt ist die Zusammenfassung der Handlung gelungen, immerhin dampft Heißerer Manns 1.000 Seiten auf gute 100 zusammen. Sie liest sich keineswegs spröde; Zitate aus dem Roman bringen den Original-Sound nahe, Verweise auf andere Werke Thomas Manns regen zur Kontextualisierung an und Hinweise auf den Forschungsstand ermöglichen dem ehrgeizigen Leser, einzelne Details zu vertiefen.

Die Gespräche zwischen Naphta und Settembrini erfahren durch Heißerers Hand eine Straffung, die der Leser gerne entgegennimmt. In der Tat sind ja gerade dies die Passagen, die Ausdauer und festes Schuhwerk fordern – um im Bild zu bleiben. Aber Heißerer hat Verständnis für den erschöpften Zauberbergneuling und nimmt ihm die Freude und Erleichterung darüber, dass die „unaufhörlichen Duelle“ der beiden Widersacher sich ins „Desparat-Unendliche“ verlieren und vom Erzähler nicht vollständig wiedergegeben werden können, nicht übel.

Abgerundet wird die Führung auf und in den Zauberberg mit einigen Hinweisen auf aktuelle Ausgaben des Romans (in erster Linie sei hier die Große kommentierte Frankfurter Ausgabe genannt), auf Hörbücher, Verfilmungen Theateradaptionen und Ausstellungen. Heißerer beschließt die Tour mit einer (sehr komprimierten) Wirkungsgeschichte des Buches und einer (ebenso komprimierten) Zusammenstellung des Forschungsstandes.

Titelbild

Dirk Heißerer: Thomas Manns Zauberberg. Einstieg, Etappen, Ausblick.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2018.
130 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783826065903

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