Wien, selbstironisch

In „Zum Weinen schön, zum Lachen bitter“ präsentiert André Heller Prosaskizzen aus mehreren Jahrzehnten

Von Martin SchönemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Schönemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

André Heller kennt man als wichtige Figur des öffentlichen Lebens in Österreich, als erfolgreichen Kulturmanager so unterschiedlicher Projekte wie der Gründung des Zirkus Roncalli, der großen Show Afrika! Afrika! oder des kulturellen Begleitprogramms der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006. Vielleicht erinnert man sich auch an seine Erfolge als Chansonnier in den siebziger Jahren. Er betätigte sich ebenso als Schauspieler und Filmemacher und er hat auch immer geschrieben. Jetzt ist unter dem Titel Zum Weinen schön, zum Lachen bitter. Erzählungen aus vielen Jahren ein Buch mit Hellerschen Texten erschienen, das einen guten Überblick über diese weniger bekannte Seite des Multitalents gibt.

Dass dieser Band gerade jetzt erscheint, steht sicher im Zusammenhang mit einer Wendung, die der mittlerweile 70-jährige Künstler vor einigen Jahren nahm: Der „Feuerkopf“ (so bezeichnete ihn sein Biograf Christian Seiler) kommt allmählich zur Ruhe. 2016 erschien sein seit Jahrzehnten geplanter Roman Das Buch vom Süden, für den er zuvor nie Zeit gefunden hatte; 2017 das intime Dialogbuch Uhren gibt es nicht mehr, in dem er sich mit seiner über hundertjährigen Mutter versöhnt; 2019 nach einer Abstinenz von mehreren Jahrzehnten wieder eine CD, Spätes Leuchten, in der er an den Ton der herzzerreißend melancholischen, oft etwas überspannten Chansons seiner Jugend anknüpft, diesen aber ins Gelassene, Altersweise abmildert.

Zum Weinen schön, zum Lachen bitter hat ebenfalls etwas Abschließendes, Resümierendes. Es versammelt fast ausschließlich Texte, die Heller zwischen Ende der sechziger und Anfang der zweitausender Jahre geschrieben und auch schon vor Jahren veröffentlicht hat. Jeweils am Ende des Textes ist das Entstehungsdatum vermerkt. Das Buch versteht sich ausdrücklich als Auswahl aus einem schon vorhandenen literarischen Lebenswerk, als „Gesammelte Erzählungen“.

Die Anordnung ist allerdings nicht chronologisch, sondern so, dass jeder Text ein Motiv des jeweils vorherigen aufnimmt. Dadurch verbinden sich die thematisch recht unterschiedlichen, zu ganz verschiedenen Zeiten entstandenen Texte auf elegante Weise zu einem harmonisch wirkenden Ganzen.

Es gibt da zum Beispiel eine jugendlich empörte Geschichte über einen autoritären, prügelnden Vater. Heller schrieb sie 1969 mit Anfang Zwanzig, seine Sprache wirkt da noch unausgegoren und bemüht artifiziell: Autos nennt er „Kraftfahrzeuge“ und ein plötzliches Schneetreiben beschreibt er mit „Schnee durch den Fleischwolf gedreht. Erbrochene Wolken.“ Direkt danach folgt eine Jahrzehnte später entstandene heiter-ironische Skizze, die eine vergleichbare Vaterfigur der Lächerlichkeit preisgibt: Diese lässt die Familie am 1. Mai vormittags in verdunkelten Zimmern sitzen, da sie sich vor der 1.-Mai-Demonstration fürchtet, und feiert nachmittags das Wiederauferstehen ihrer absurd-reaktionären Welt: „Es wurde Eierlikör ausgeschenkt, und Tristan und Isolde, die beiden Wellensittiche, durften einige Stunden frei in der Bibliothek herumfliegen.“ Mit dieser kleinen Satire nimmt Heller die eigene Ernsthaftigkeit wieder zurück und bindet sie an den nonchalant Wienerischen Plauderton, der die meisten Erzählungen des Bandes prägt.

Verstärkt wird der Eindruck von Harmonie und Versöhnlichkeit durch den letzten Text, der kein Entstehungsdatum trägt, auch noch nicht veröffentlicht wurde. Offenbar ist er der einzige, den der Autor seiner Sammlung aktuell hinzugefügt hat, und er gibt dem Ganzen eine Art Motto: Unter der Überschrift D‘ Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang lässt der Autor darin einen greisen Antiquar ein Resümee seiner langjährigen Ehe ziehen, der gegenseitige Betrug halte sich letztendlich die Waage und alles habe schon seine Ordnung.

Dieses Resümee gilt offenbar für den ganzen Erzählungsband. Es gibt darin zwar heftige Gemütsbewegungen wie z.B. das Aufbegehren des jugendlichen Erzählers gegen die Eltern- und Internatswelt in dem erwähnten Text von 1969. Es gibt auch die eindringliche Beschreibung von Trauer und Schuld (Was wann?), die ebenso autobiografisch motiviert ist wie die Schilderung eines beinahe tödlichen Autounfalls in der ägyptischen Wüste (Ein römischer Freund); und es gibt ein schockierendes Streiflicht auf das, was rassistische Politik im 20. Jahrhundert anrichtete (Dem Himmler sein Narr). Dabei ordnen sich all diese Emotionalitäten dem halb phantastischen, halb melancholischen Grundton unter, der das Buch durchzieht. Wichtiger als die jeweiligen Inhalte ist der allen Texten gemeinsame Blickwinkel: der eines originellen, oft auch ironischen Beobachters, der sich sein Staunen über die Welt erhalten hat.

Überhaupt sind die „Erzählungen“ in diesem Band oft gar keine richtigen Erzählungen mit ausgearbeiteter Erzählstruktur: manchmal nur kleine (in der Regel autobiografisch inspirierte) Anekdoten, manchmal Stimmungsbilder in der Art kleiner Prosaskizzen, manchmal essayistische Überlegungen (Die Ernte der Schlaflosigkeit in Wien).

Ebenso präsent ist André Hellers Neigung zur prätentiösen, originellen Wortwahl, oft in Wiener Mundart („Unsere Milchfrau […]…trug einen weißen Haarschopf, als hätte sie sich in einem unachtsamen Augenblick eine Portion Schlagobers aufgepatzt.“), wozu mitunter auch ein etwas eitles Namedropping gehört. Doch trotz aller Blumigkeit spricht Heller die Dinge deutlich aus, schildert sie oft sogar grell, in eindringlichen, einprägsamen Bildern.

Am besten gelingen ihm die Erzählungen, in denen er die Lächerlichkeiten seiner Heimatstadt Wien und deren Wunderkind und „Götterliebling“ André Heller satirisch aufspießt: Das sieht man den zehnjährigen Heller, wie er den griechischen Götterfiguren auf den gründerzeitlichen Wiener Stadtpalästen in einer Moccatasse Opfergaben überreicht und tatsächlich von ihnen erhört wird, oder man erlebt den Brand der Wiener Hofburg mit dem betrunkenen und noch von einer Liebesnacht berauschten Autor als ein fröhliches Spektakel mit lodernden Flammen, kopflosen Feuerwehrmännern und wild galoppierenden Pferden.

Von literarischer Innovation mögen diese Szenen weit entfernt sein. Aber sie sind köstlich zu lesen.

Titelbild

André Heller: Zum Weinen schön, zum Lachen bitter. Erzählungen aus vielen Jahren.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020.
240 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783552059788

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