Anschreiben gegen die Weltkrankheit des Größenwahns

Mit der Herausgabe von „,Große Zeiten‘ hinterlassen große Schutthaufen“ legt uns Volker Michels die Briefe Hermann Hesses von 1940 – 1946 vor

Von Bettina JohlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Johl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dichtende und schriftstellerisch tätige Menschen anhand ihrer Korrespondenz durch ihr Leben zu begleiten, kann süchtig machen. Manchmal bedürfte es eines solchen Warnhinweises, denn die Indiskretion von uns Nachgeborenen, uns Briefe anzueignen, die uns im Grunde nie etwas anzugehen hätten, jenen, für die sie bestimmt waren, nachträglich über die Schulter spähend, bleibt für uns selten ohne Folgen. Er käme jedoch zu spät für alle, die mittlerweile Hermann Hesses sechsten Briefband in den Händen halten. Für jene zumindest, die sich von der ersten Stunde an in den Bann ziehen ließen von den Selbstoffenbarungen des gleichermaßen zornigen wie gedankenvollen jungen Mannes im späten neunzehnten Jahrhundert auf seiner unbedingten Suche nach dem Weg zu seinem selbstgesetzten Ziel, „entweder ein Dichter zu werden oder gar nichts“, bis hin zum keineswegs weniger zornigen und mit den Jahren zunehmend gedankenschweren Dichter des Glasperlenspiels in der Casa Rossa hoch über dem Luganer See. Sie werden beim Aus-der-Hand-Legen des letzten Bandes, der bislang noch nicht in Sicht ist, kaum mehr dieselben sein, die einst neugierig und erwartungsvoll den ersten zur Hand nahmen.

Denn merkwürdig verhält es sich mit Hermann Hesses Briefen. Sie verwandeln sich nicht selten im Zuge des Lesens, richten sich, während die einstigen Adressaten diskret zurücktreten, an uns persönlich, als Briefe eines vertrauten Freundes. Eines Freundes, der uns ganz selbstverständlich mitnimmt – ja, mitzieht – auf den Weg seiner Entwicklung, in die reiche Welt seiner Erinnerungen, Bilder und Gedanken, uns hinführt zu neu oder wieder zu entdeckenden Lektüren, aber auch zu Menschen, die ihm wichtig und bedeutend waren, von denen manche heute nahezu vergessen sind, uns einlädt, der einen oder anderen Spur zu ihnen zu folgen. Eines Freundes, der stets unverbrüchlich zu seinen Überzeugungen steht und dem es dennoch fern liegt, in Überheblichkeit oder gar Besserwisserei zu verfallen, zumal er sein eigenes Denken steter Prüfung und Abwägung unterzieht und über die rettende Fähigkeit verfügt, sich mit galligem Humor über sich selbst lustig zu machen. Eines Freundes, der uns in keiner seiner Lebensphasen verlässt, weil er sich – und damit auch uns – durch alle Krisen hindurch stets treu bleibt.

Von einer weniger friedlichen Seite allerdings könnte die Welt sich kaum zeigen als in jenen Tagen, da wir im vorliegenden Briefband zu unserem Dichter-Freund stoßen. Wir schreiben das Jahr 1940. Hitler-Deutschland hatte im Herbst zuvor die Welt in einen neuen Krieg gerissen, seinen brutalen Überfall auf Polen als „Zurückschießen“ verkaufend, und überzieht die eroberten Länder mit beispiellosem Terror und Völkermord. Der Nationalsozialismus wähnt sich im Siegesrausch, was ihn umso unerträglicher und gefährlicher macht, allerdings wird er sich in seiner Mordlust und Vernichtungswut auch nicht bremsen lassen, als sich später mehr und mehr die Niederlage abzuzeichnen beginnt, wird erst zu stoppen sein, wenn alles restlos in Trümmern liegt. Für uns Nachgeborene ist und bleibt dies unfassbar und wird umso unbegreiflicher, je älter wir selbst werden und je intensiver wir uns damit beschäftigen. Zu einer ehrlichen Aussprache zwischen den Generationen kam es in den allermeisten Familien nicht. Fragen, besonders die heiklen, jene nach Wissen, Mittäterschaft und Verantwortung, waren tabu. Viele der Älteren verschanzten sich im Lügengebäude der Ahnungslosigkeit und des Nichts-gewusst-Habens, nahmen, was an Wissen und Gewissen übrig war, mit ins Grab und hinterließen uns ihr finsteres Erbe.

In den Briefen Hermann Hesses treffen wir auf keinen Ahnungslosen. Er, der schon während des Ersten Weltkrieges dem Nationalismus und Kriegstaumel seiner deutschen Landsleute in mahnenden Zeitungsaufrufen eine immer deutlichere Absage erteilte, für die er Schmähbriefe kassierte, die heute unter den Begriff „Shitstorm“ fallen würden, sieht die Demokratie der Weimarer Zeit als von Beginn an auf keinem festen Fundament stehend. Die Befürchtung und Überzeugung, dass die Gesellschaft mit Riesenschritten auf einen neuen Krieg zusteuere, findet sich auch mehrfach in seinem bekanntesten Werk aus diesen Jahren, dem Steppenwolf, deutlich benannt. Kaum, dass es jemandem auffiel. Die persönliche Krise eines einzelnen Menschen als Spiegel für die Krise einer ganzen Gesellschaft: Wer hätte es ernsthaft so sehen wollen? Das Buch war zu seiner Zeit ein unerhörtes, es war skandalträchtig, enthielt Frivolitäten und „Unanständigkeiten“, die offen auszusprechen noch nicht allzu lange und längst nicht in allen Kreisen an der Tagesordnung war; es galt darum als der letzte Schrei und wurde von unzähligen Menschen verschlungen, die es im Wesentlichen nie erfassten. Und wahrscheinlich verhielt es sich, als es Jahrzehnte später zum Kultbuch der Sex-and-Drugs-and-Rock-n-Roll-Szene wurde, sehr ähnlich.

Vermutlich hätte Hermann Hesse diesen Hype kaum verstanden, umso mehr, als dieser von den USA seinen Ausgang nahm, einem Land, dessen „Way of Life“ ihm bis zuletzt eher fremd und suspekt bleiben sollte. Was er dazu gesagt hätte, dass sein Steppenwolf fast hundert Jahre später in Deutschland zum Abiturstoff ausgelobt würde, wollen wir uns lieber gleich gar nicht vorstellen. Aber, wer weiß, vielleicht hätte er es angesichts der Probleme unserer heutigen Zeit gar für notwendig befunden, handelt es sich doch um ein Buch, das immer am besten von in einer Krise befindlichen Menschen verstanden wurde. Und an Krisen mangelt es jungen Menschen in der Regel nie, mangelt es uns allgemein heute nicht.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs ereilte den längst im Tessin lebenden Dichter bereits als Schweizer. Dies wollte jenen Deutschen einmal mehr nicht passen, die ihn schon einen Weltkrieg zuvor als „vaterlandslosen Gesellen“ beschimpften, als er, noch mit deutschem Pass in der Schweiz lebend und wegen Kurzsichtigkeit vom Dienst an der Waffe zurückgestellt, deutsche Kriegsgefangene mit Büchern versorgte, womit er sich wohl der besten Aufgabe widmete, die dieser verheerende Krieg zu bieten hatte. Was jedoch bis heute nur wenigen bewusst ist: Hermann Hesse, der Deutschland stets als seine geistige Heimat begriff, erblickte am 2. Juli 1877 im schwäbischen Calw nicht als Deutscher das Licht der Welt, vielmehr hatte er einen russischen Pass durch seinen deutsch-baltischen Vater, Johannes Hesse. Dieser ergriff jedoch, als er im Rahmen seines Einsatzes für das Baseler Missionswerk mit Frau und Kindern für vier Jahre nach Basel zog, die Gelegenheit, für sich und seine Familie das Schweizer Bürgerrecht zu erwerben. Schweizerische Wurzeln hatte die mütterliche Seite der Familie ohnehin durch die Großmutter Julie Dubois, Ehefrau des bedeutenden Indologen Hermann Gundert. Dieser wird zu jenem bewunderten Großvater, mit dem Hermann Hesse Zeit seines Lebens eine ganz besondere Beziehung verband, die in seinen Erinnerungen lange nachwirkt. Zehn Jahre später musste Hesse jedoch als Schüler zwingend die württembergische Staatsangehörigkeit erwerben, um am Maulbronner Seminar, welches traditionell den Pfarrernachwuchs des Landes heranbildete, als Stipendiat studieren zu können.

Wie wir jedoch wissen, nahm dieser ursprünglich vorgezeichnete Weg keinen glücklichen Verlauf. Hermann Hesse sah seinen Weg nicht in einer theologischen Laufbahn, sie wurde ihm schnell zu eng; er brach aus und durchlebte eine von schweren Krisen erschütterte Jugendzeit. Wieder in ruhigeren Fahrwassern ließ er sich zunächst zum Buchhändler und Antiquar ausbilden, widmete nahezu seine gesamte freie Zeit literarischen Studien und ersten eigenen Schreibversuchen, bis er schließlich mit Peter Camenzind den entscheidenden Durchbruch als Schriftsteller erlangte. Finanziell nun unabhängig heiratete er 1904 die Baseler Fotografin Maria Bernoulli, mit der er drei Söhne bekam, und lebte ab 1912, als er – nach den Bodensee-Jahren in Gaienhofen – mit der Familie nach Bern gezogen war, ständig in der Schweiz.

Nach dem Scheitern seiner Ehe im Jahr 1924 erwarb Hesse erneut das Schweizer Bürgerrecht zum Zweck einer neuen Heirat mit Ruth Wenger, Tochter einer Schweizer Fabrikantenfamilie. Diese Ehe, in die er sich gedrängt sah, weil die Schwiegereltern gern die Form gewahrt wissen wollten, tat der Liebesbeziehung als solcher keinen guten Dienst und endete nach nur drei Jahren, ohne dass das Paar je wirklich zusammengelebt hätte. Hermann Hesse, der sich zwischenzeitlich in Montagnola im Tessin dauerhaft niedergelassen hatte und wegen der schlechten Heizbarkeit seiner gemieteten Räume in der Casa Camuzzi die Winter meist in Basel oder Zürich zubrachte, blieb Schweizer. Nach Deutschland, wo nach wie vor seine Bücher verlegt wurden und viele seiner Angehörigen lebten, kam er fortan nur noch besuchsweise, meist, um sich ärztlich behandeln zu lassen. 1936 betrat er zur Konsultation des berühmten Augenarztes Maximilian Graf von Wiser in Bad Eilsen letztmals in seinem Leben deutschen Boden.

Der Umstand, dass Hesses dritte Ehefrau Ninon Dolbin, geb. Ausländer, eine aus Czernowitz stammende österreichische Jüdin, durch die Heirat des Paares 1931 schließlich auch Schweizerin wurde, rettete dieser in letzter Konsequenz das Leben. Ninon Hesse, einer sensiblen, äußerst klugen, gebildeten und weitsichtigen Frau, ungerechterweise zuweilen verunglimpft als „Hausdrachen“, die in ihrem Perfektionismus und überkommener K.-und-K.-Gepflogenheit das Personal möglicherweise ein wenig zu sehr herumscheuchte und ihren Mann notwendigerweise immer wieder vor allzu ausufernden Besucherströmen abzuschirmen wusste, verdanken wir, dass dieser sich seine Schaffenskraft auch durch schwerste Jahre hindurch erhalten konnte – wir dürfen nicht vergessen: Hesse war ein sehr kranker Mann! – und dass uns sein Nachlass heute in diesem Umfang vorliegt. In Deutschland. Denn Ninon war es letztlich, die durchzusetzen vermochte, dass dieser ins Literaturarchiv nach Marbach am Neckar ging und nicht in der Schweiz verblieb, wie es eher der Wunsch seiner Söhne und mancher Freunde gewesen wäre. Sie wusste ihren Mann geistig im schwäbischen Raum verortet.

Hermann Hesses Briefe, die uns aus diesem Nachlass vorliegen, richten sich an Familienangehörige, Verwandte, Freunde und Bekannte, an Verleger, an Schriftstellerkolleginnen und -kollegen  – manche dieser Briefwechsel erschienen schon früher in eigenen Ausgaben, wie beispielsweise die mit Thomas Mann, Peter Weiss oder Luise Rinser –, aber auch an befreundete Maler wie Ernst Morgenthaler, Niklaus Stoecklin, Alfred Kubin, Günther Böhmer oder Cuno Amiet sowie Komponisten und Musiker wie Fritz Brun, Will Eisenmann und Othmar Schoeck. Großen Raum nimmt die Beantwortung ernstgemeinter Zuschriften von Leserinnen und Lesern ein, die ihm Zeit seines Lebens wichtig bleiben wird und der er sich mit großer Hingabe und Sorgfalt widmet.

Sich mit der gewohnten Offenheit mitzuteilen ist allerdings schon seit geraumer Zeit nur noch in Briefen innerhalb der Schweiz und in unbesetzte Länder möglich. Einen weiteren Mythos nämlich gilt es vom Sockel zu stoßen: den eines sicheren Lebens in der neutralen Schweiz. Neutral bedeutete nicht, dass in diesem Land in Deutschland unerwünschte oder gar verfolgte Menschen automatisch Schutz genossen. Es bedeutete lediglich, dass das Land die Hitler-Diktatur in seiner Nachbarschaft gewähren ließ, ohne sich einzumischen, dass es weder für noch gegen diese Position bezog. Nazigrößen residierten ungestört weiter in Schweizer Hotels, der Arm der Gestapo reichte mühelos auch dorthin, Entführungen waren zu befürchten und fanden ein ums andere Mal auch statt. Und – nein! – es war nicht ohne weiteres möglich, von der Schweiz aus gegen Nazi-Deutschland die Stimme zu erheben, wie dies Thomas Mann aus dem amerikanischen Exil tat. Einer der Vorwürfe, die auch heute immer wieder aufkommen, mit denen Hesse sich konfrontiert sah, sobald die Verunglimpfung als „Drückeberger“ ausgedient hatte. Einmal mehr wäre an solches nicht zu denken gewesen angesichts einer jüdischen Ehefrau und in Deutschland lebenden Angehörigen, die es unbedingt zu schützen galt.

Briefe nach Deutschland laufen in diesen Jahren stets Gefahr, mitgelesen zu werden. Um die dort lebenden nahestehenden Menschen nicht zu gefährden, können Botschaften allenfalls verschlüsselt übermittelt oder von vertrauenswürdigen Besuchern aus Deutschland persönlich übergeben werden und auch dies ist nicht ohne Risiko. In ständiger Bedrohung befindet sich auch Hesses Verleger Peter Suhrkamp, der mit zähem Verhandlungsgeschick den zwischenzeitlich „zwangsarisierten“ S. Fischer-Verlag weiterzuführen versucht, dessen Inhaber Gottfried Bermann Fischer, Schwiegersohn und Nachfolger des 1934 verstorbenen Samuel Fischer, bereits im selben Jahr in die Emigration gezwungen wurde. Die Nazis schrecken, um Suhrkamp zu Fall zu bringen, auch nicht vor dem Einsatz von Lockspitzeln zurück. Suhrkamp wird schließlich 1944 verhaftet, durchläuft Gestapo-Gefängnisse und Konzentrationslager; er wird kurz vor Kriegsende todkrank entlassen und überlebt nur knapp. Hesse wird davon erst spät erfahren; je länger der Krieg dauert, desto mehr findet er sich von Deutschland regelrecht abgeschnitten. Nachrichten von dort erreichen ihn nicht mehr oder nur verspätet über Umwege.

Hesses eigene Lage ist prekär. Er zählt zunächst nicht explizit zu den verbotenen Schriftstellern, dafür ist er den Nazis zu populär, aber gilt als „unerwünscht“; der Druck seiner Bücher lässt sich wirksam verhindern, indem kein Papier zur Verfügung gestellt wird. Zu Kriegszeiten lässt sich dies dann umso leichter mit der allgemeinen Verknappung der Rohstoffe begründen. Einnahmen aus Deutschland erreichen den Dichter nicht, bedingt durch Devisenstopps; die Gelder finden sich auf deutschen Konten eingefroren. Hermann Hesse lebt von seinen Ersparnissen. Auch an Gönnern und Förderern, die Hilfe anbieten, darunter der Arzt und leidenschaftliche Beethoven-Sammler Hans Conrad Bodmer, der ihm das „Rote Haus“ in Montagnola bauen ließ und schenken wollte, wobei Hesse jedoch lebenslanges Wohnrecht vorzog, oder der Unternehmer und Kunstsammler Max Wassmer, der dem Ehepaar Hesse mit Einladungen in sein berühmtes Schloss Bremgarten bei Bern immer wieder Auszeiten für Erholung und kulturelle Erbauung verschafft, fehlt es glücklicherweise zu allen Zeiten nie.

Sein 1931 begonnenes großes Alterswerk, Das Glasperlenspiel, dessen Schaffensprozess sich über viele Jahre hinzieht, da der unermüdliche Einsatz für Emigrierte und andere Notleidende ihn immer wieder zu langen Unterbrechungen zwingt, beendet Hermann Hesse 1943. Das Buch darf in Deutschland nicht mehr erscheinen. Glücklicherweise gelingt es Suhrkamp noch, ihm das Manuskript, geradezu in letzter Minute, persönlich zurückzugeben. 1944 zerstören Bombenangriffe der Alliierten Suhrkamps Wohnhaus, später auch das Verlagshaus in Berlin und das Papierlager in Leipzig und damit den Rest von Hesses Werk. Dem Dichter bleibt schließlich nur der Weg, einen Teil seiner Bücher in kleiner Auflage bei Verlagen in der Schweiz nachdrucken zu lassen. Das Glasperlenspiel erscheint noch 1943 im Zürcher Verlag Fretz & Wasmuth. Seine Leserinnen und Leser in Deutschland, an die sich das Buch essenziell richtet, kann er damit jedoch zunächst nicht erreichen.

Es ist zu spüren, wie sich nach Abschluss dieses Werks eine mentale Veränderung Hesses in den Briefen abzeichnet. Die Welt des Glasperlenspiels als Gegenentwurf, als selbsterschaffene Gegenwelt zum Ungeist des Nationalsozialismus, die ihm zwölf Jahre lang eine geistige Zuflucht bedeutete, in die er sich wenigstens immer wieder für gewisse Stunden zu retten vermochte, diente ihm lange, wie er seinem jüngsten Sohn Martin im Dezember 1943 bekennt, als „Panzer gegen die hässliche Zeit“. Dieser hält nun nicht mehr stand. Die Zeit in ihrer Hässlichkeit, sie dringt unbarmherzig durch, auch wenn der Dichter für sich und alle ihm Nahestehenden bleibende Bilder beschwört: Das regelmäßige Wiederkehren und die Schönheit der Blumen und Schmetterlinge im Frühling oder auch die indische Vorstellung von den vier Weltzeitaltern und deren Verfall, an dessen Ende die Zerstörung durch den wild tanzenden Gott Shiva steht, woraufhin dann der träumende Gott Vishnu in aller Unschuld eine neue Welt entstehen lässt – auch dies wiederzufinden in Hesses letztem großen Roman. Noch im Dezember 1941 resümiert er in einem Brief an den Maler Franz Vetter:

Ich sehe dem Theater, selber vielfach mitbetroffen, zu, ohne mir von ihm imponieren zu lassen. Die Herren der Welt sind, heute wie immer, nur Herren des Augenblicks, und die „großen Zeiten“ hinterlassen große Schutthaufen.

Ab 1943 jedoch scheinen Hesses schriftliche Mitteilungen deutlich kürzer auszufallen und seltener zu werden, was jedoch auch daran liegen mag, dass Korrespondenz während des Krieges zunehmend in Gefahr gerät, verlorenzugehen. Manche Briefe hingegen werden erhalten bleiben, weil sie für Hesses Frau Ninon von besonderem Interesse sind, sodass sie Abschriften von ihnen anfertigt. Innerlich und äußerlich wachsen die Belastungen an, auch die des Haushalts, der kaum noch zu bewältigen ist und dessen Löwenanteil auf Ninon lastet, zumal sich keine Aushilfe mehr findet; hinzu kommen immer wieder Anliegen von Hilfesuchenden, die vom Ehepaar Hesse nach besten Kräften unterstützt und oft auch für gewisse Zeit beherbergt werden. Ninons Lieblingskater, den ein Nachbar erschlug, wird sehr betrauert; sein gewaltsamer Tod lässt die Bedrohtheit des fragilen häuslichen Bereichs als Fluchtpunkt und Rückzugsort umso spürbarer werden.

Wie bereits während des Ersten Weltkriegs sammelt Hesse Geld für Bedürftige durch den Verkauf von Privatdrucken und selbst angefertigten Aquarellen. Für literarisches Schaffen jedoch bleiben ihm, abgesehen von wenigen Gedichten, weder Zeit noch Energie; ein ums andere Mal fällt in den Briefen der Satz: „Ich bin überbürdet.“ Auch bezeichnet Hesse sich mehrfach, wie schon in früheren kritischen Phasen, als „lebensmüde“, gesteht sich aber dann oft im selben Atemzug wieder ein, doch mehr am Leben zu hängen, als er zugeben mag. Im Januar 1943 formuliert er dies mit dem für ihn typischen Sarkasmus in einem Brief an den Schweizer Bildhauer Hermann Hubacher:

Und mit dem Hängen am Leben ist es wohl etwa so: wenn man mich sofort vor die Wahl stellen würde, erschossen zu werden oder weiterzuleben, so würde ich zweifellos blaß werden und plötzlich allerlei gute Gründe für das Weiterleben finden. Dagegen wenn ich es kühl betrachte, was ich an Schönem und Häßlichem mit ziemlicher Sicherheit noch zu erwarten habe, so würde ich doch, weiß Gott, sehr viel lieber nicht mehr leben. Schon der Gedanke, einmal tatsächlich nie mehr Augenschmerzen zu haben, oder nie mehr etwas von Diktatoren und Heeresberichten zu hören, ist ja Erlösung.

Der Dichter ist erschöpft und gesundheitlich stark angegriffen, wird gequält von Kopf- und Augenschmerzen, hinzu kommen Zahnprobleme. Um seine Gicht in Schach zu halten, fährt er weiterhin regelmäßig im Frühjahr und Herbst zur Kur nach Baden und verbindet dies gewöhnlich mit Besuchen bei Freunden, begleitet von Ninon, die solche Auszeiten für ihre kunsthistorischen Studien in der Zürcher Bibliothek und Besuche von Vorträgen und Kulturveranstaltungen nutzt. Das Paar schafft sich auf diese Weise Inseln im zermürbenden Alltag. Ebenso werden persönliche und allgemeine Festtage wie Geburtstage oder Weihnachten, auch wenn sie im kleinen Rahmen stattfinden, stets ausgiebig begangen, sie erweisen sich als wichtig. In diesem Zusammenhang nehmen auch persönliche Geschenke einen hohen Stellenwert ein, sie werden – nicht nur in Dankesbriefen – mit geradezu kindlicher Freude ausführlich beschrieben und veranlassen Lesende mitunter zum Mitfreuen. Für etwas Ablenkung sorgt zudem die neu hinzugekommene Rolle des Großvaters: Nach und nach heiraten die Söhne, Enkel werden geboren, kommen hin und wieder zu Besuch. Hermann Hesse hat herzliche Freude an ihnen, auch wenn der ungewohnte Umgang mit Kindern ihn anstrengt.

Das Ende des Krieges löst, vielleicht entgegen mancher Erwartung, vorläufig kaum Erleichterung aus. Zu groß ist das Ausmaß der Zerstörung, das nun erst überdeutlich sichtbar wird, zu groß die Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen. Hesse ist ohne jede Nachricht von seinen Schwestern, die nach wie vor in Württemberg leben; andere Verwandte wiederum befinden sich in Gefangenschaft. Sein Neffe, der Musiker Carlo Isenberg, Sohn des ältesten Stiefbruders Hesses, Urbild für die Figur des Carlo Ferramonte im Glasperlenspiel, dem der Dichter sich besonders verbunden fühlte, gilt als in Russland vermisst und wird aus dem Krieg nicht zurückkehren. Zu groß, nicht zu ermessen auch die Trauer um all jene, die Opfer von Gewalt, Vernichtungswillen und Zerstörung wurden, darunter fast alle Angehörigen und Freunde Ninons. Deren Schwester Lily Kehlmann überlebt und wird, nach Jahren auf der Flucht und in Verstecken, mit ihrem Mann erst 1948 aus dem sowjetisch besetzten Rumänien in die Schweiz ausreisen können, wo beide als Staatenlose jedoch nur begrenzten Aufenthalt bewilligt bekommen und zur weiteren Übersiedlung nach Frankreich und später in die USA genötigt sein werden.

Auf die Beteuerungen seiner Landsleute, von den von deutscher Seite verübten Gräueln nichts geahnt oder gewusst zu haben, findet Hermann Hesse in einem Brief im März 1946 an den Schriftsteller Wilhelm Schussen, der einst zu den 88 Berühmt-Berüchtigten gehörte, die schon 1933 das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ zu Adolf Hitler unterzeichnet hatten, sehr deutliche Worte:

Die Mehrzahl meiner Freunde in Deutschland wußte Bescheid, und manche sind gleich 1933 emigriert, andre in den Folterkammern der Gestapo verschwunden, so wie die Angehörigen und Freunde meiner Frau fast ohne Ausnahme in Himmlers Gasöfen in Auschwitz etc. verschwanden. Und ihr habt von alledem nichts gewußt! Man glaubt es euch natürlich nicht, denn in diese Kunst des Nichtwissens und Unschuldigseins, während man gleichzeitig bis an die Knie im Blut watet, kann kein anderes Volk sich je hineindenken.

Die Pläne Hitlers seien schon seit dessen Putsch offensichtlich gewesen, die Boxheimer Dokumente von 1931, welche detaillierte Pläne für eine Machtübernahme der Nationalsozialisten beinhalteten und unter anderem Konzentrationslager für politische Gegner vorsahen, hätten sich damals überall in der deutschen Presse veröffentlicht gefunden. Auch sei das plötzliche Entsetzen der Alliierten angesichts der Geschehnisse in den Lagern nicht nachzuvollziehen, da diese bereits 1934 in Prager Zeitschriften geschildert worden seien, während das Ausland Hitler viel zu lange allzu sehr hofiert habe. Die Dinge dürfen wieder ausgiebig beim Namen genannt werden, Hesse kann endlich in gewohnter Weise schreibend seinem Herzen Luft verschaffen, wovon er ausgiebig Gebrauch macht; die Briefe von 1945 bis 1946 machen etwa die Hälfte der Sammlung aus. Ihr Grundton von Bitterkeit lässt sich nicht überlesen. Dass Deutschland ihn wiederzuentdecken beginnt, geradezu als sei nichts gewesen, was sich hauptsächlich darin kundtut, dass Gedichte sich ungefragt in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt finden, ist für ihn mehr Ärgernis als Freude. Als in einer Veröffentlichung seines Gedichts Dem Frieden entgegen in der Stuttgarter Zeitung die Schlusszeilen fehlen, die ihm in ihrer Bedeutung besonders wichtig sind, richtet er eine Beschwerde an die Pressestelle der amerikanischen Besatzung. Der Chief Editor Hans Habe antwortet in einem diskreditierenden Brief mit ungerechtfertigten Anschuldigungen.

Hesse ist zutiefst verletzt, wie es die Häufigkeit zeigt, mit der er den Vorfall in seinen Briefen erwähnt; wie sehr, lässt sich gerade in Beteuerungen, wie gleichgültig es ihm im Grunde sei, deutlich zwischen den Zeilen hindurchspüren. Dass sich Kollegen und Freunde für ihn einsetzen und öffentlich Stellung beziehen, kommt für ihn wiederum nicht in Frage, er sucht es nach Kräften zu verhindern. Es ist Thomas Mann, aus seiner neuen Zuflucht-Heimat, dem kalifornischen Pacific Palisades in Los Angeles, seinem „Weimar unter Palmen“, dem es mit einem humorvoll gehaltenen und zugleich von tiefem Verständnis zeugenden Brief gelingt, den Freund und Kollegen buchstäblich von der Palme zu holen. Hermann Hesse und Thomas Mann verband eine viele Jahre währende, unverbrüchliche Freundschaft, die durch alle Wirrnis der Zeiten hindurch und trotz des durch die Emigration der Manns bedingten räumlichen Abstands nie in ihren Grundfesten erschüttert werden konnte, die sich stets aus Respekt und gegenseitigem Sich-Bestärken nährte und in ihrem Einfluss auf das Leben und Schaffen beider nicht unterschätzt werden darf.

Ob über eine Rundfunkansprache zum Jahresbeginn 1946 oder durch Appelle und Aufsätze in der Presse: Hermann Hesse wählt zunehmend öffentliche Mitteilungswege, um seine persönliche Haltung kundzutun und zugleich jenseits abgeschnittener Postverbindungen Menschen in Deutschland zu erreichen. Denn das Radio, von ihm sonst eher ungeliebtes Medium, trägt Botschaften über weite Distanzen und Drucksachen wiederum haben die beste Chance, befördert zu werden. Im September 1945 erscheint sein Rigi-Tagebuch in der Neuen Schweizer Rundschau, welches einen kurzen sommerlichen Erholungsaufenthalt auf dem einzigartig gelegenen Bergmassiv über dem Vierwaldstättersee beschreibt und zugleich, auf aktuelle Briefe aus Deutschland Bezug nehmend, einen eindringlichen Appell an die Landsleute in der zerstörten Heimat richtet, sich mit dem Vergangenen auseinanderzusetzen und sich von nationalistischem Denken endgültig zu befreien.

Aus gegebenem Anlass gibt Hesse im folgenden Jahr seine gesammelten politischen Aufsätze seit 1914 unter dem Titel Krieg und Frieden heraus, die er seinem langjährigen französischen Gesinnungsgenossen Romain Rolland widmet. In einem berührenden offenen Brief im Februar 1946 an seine Schwester Adele Gundert, über deren Schicksal er noch immer im Unklaren ist, lässt Hesse Bilder aus der gemeinsam verbrachten Jugend im gleichermaßen wohlgeordnet-strengen wie gebildet-weltoffenen Elternhaus erstehen, die geprägt sind von der Landschaft des nördlichen Schwarzwaldes, der gemeinsamen Liebe zur Natur und einem Bekenntnis zu unverbrüchlichen Werten, die das Chaos aller Zeiten zu überdauern imstande sind. Er veröffentlicht ihn in der Neuen Zürcher Zeitung, um auf diesem Umweg gleichermaßen seine Angehörigen wie auch sein Lesepublikum zu erreichen. Erst im darauffolgenden Sommer werden seine Schwestern Adele und Marulla eine Einreiseerlaubnis für einen Erholungsaufenthalt bei ihrem Bruder in der Schweiz erhalten.

Im April 1946 erscheint in der National-Zeitung Basel, Vorläufer der heutigen Basler Zeitung, ein ursprünglich an Luise Rinser adressierter Brief nach Deutschland. Hesse bezieht darin vornehmlich Stellung zu Briefen, die ihn aus Deutschland und von Deutschen aus Kriegsgefangenenlagern erreichen, und bringt seine Verwunderung über Klagen, Unschuldsbeteuerungen oder allzu plötzliche Gesinnungswandlungen zum Ausdruck. Allen anderen, in die er seine Hoffnungen setzt, den Aufmerksamen und zur Veränderung Entschlossenen, ruft er zu: „Hütet den Keim, bleibt dem Licht und Geiste treu. Ihr seid sehr wenige, aber vielleicht das Salz der Erde.“

Mit der jungen Schriftstellerin Luise Rinser, deren 1941 erschienenes Erstlingswerk Die gläsernen Ringe ihn sehr beeindruckt hatte und deren Haltung er bewundert, steht Hermann Hesse zu dieser Zeit schon einige Jahre in Briefkontakt. Dass auch das Leben Rinsers gerade in der Anfangszeit des Nationalsozialismus mehr von Widersprüchen geprägt war, als sie selbst dies ihr Leben lang zuzugeben vermochte, womit sie unter Literaturschaffenden keinen Einzelfall darstellt, wissen wir heute. Zumindest im Begreifen des Lebens als einem beständigen Prozess von Wandlungen, wie es auch in Hesses Gedicht Stufen aus dem Glasperlenspiel meisterhaft zum Ausdruck kommt, standen sich hier zwei schreibende Menschen unterschiedlicher Generationen für einen Augenblick sehr nahe.

Im Sommer 1946 befindet sich die Erschöpfung des Dichters an einem besonders kritischen Punkt, was sich auch dadurch nicht mildern lässt, dass sein Land beginnt, die ihm lange vorenthaltenen Ehrungen nachzureichen, die ihm, wie er in einem Brief im Oktober 1946 an Felix Lützkendorf bekennt, noch mehr zu schaffen machen als die zuvor erhaltenen zahlreichen Schmähbriefe. Im August erhält er den Goethepreis der Stadt Frankfurt, welchen er schließlich annimmt, nachdem er sich eingehend über die Haltung der Mitglieder des Preiskomitees während des NS-Regimes erkundigt hat. Er nimmt ihn nicht persönlich entgegen, stiftet das Preisgeld notleidenden Künstlern und bedürftigen Menschen in seiner Heimatstadt Calw. Die Nachricht, dass ihm der Nobelpreis, für den Thomas Mann ihn über lange Jahre hinweg immer wieder vorgeschlagen hatte, zugedacht wurde, erreicht ihn gegen Ende des Jahres in Marin am Neuenburger See in der französischen Schweiz, wohin er sich zu einem längeren Erholungsaufenthalt bei Dr. Otto Riggenbach, einem befreundeten Arzt, der dort ein Sanatorium betreibt, zurückgezogen hat. Obwohl dieser alles tut, um ihn abzuschirmen, ist es mit der ersehnten Ruhe schnell wieder vorbei. Die Presse läuft ihm förmlich die Tür ein. In einem Ausdruck komischer Verzweiflung schreibt er im November an seinen viel jüngeren Maler-Freund Günther Böhmer: „Werden Sie kein berühmter Mann, oder werden Sie es beizeiten, solang das einem noch Spaß machen kann.“

Die Bedeutung von Preisen und Ehrungen sieht er stets mit Skepsis. Große Freude bereitet der Nobelpreis hingegen seiner Frau Ninon; für sie bedeutet er viel und entschädigt sie für manche Entbehrung und bittere Erfahrung der zurückliegenden Jahre. Ihr eigener Anteil am Spätwerk ihres Mannes ist kein unerheblicher; es ist ihr uneingeschränkt zu gönnen.

Auch nach Stockholm wird Hesse nicht mehr reisen, entschuldigt sich damit, dass sein Gesundheitszustand dies nicht zulasse. Der Schweizer Botschafter Henry Vallotton wird den Preis für ihn entgegennehmen und seine Dankesrede verlesen. Hesse begeht die Feierstunde im engsten Kreis mit Ninon und dem befreundeten Arztehepaar Riggenbach, welches eine kleine Überraschungsparty zaubert und Hesse mit kreativ ausgedachten Glückwünschen seiner literarischen Figuren beschenkt, unter anderen vom liebenswerten Vagabunden Knulp, vom Holländer aus dem Kurgast, welcher diesen einst um den Schlaf brachte, und von Turu, dem Sohn des Regenmachers aus den hinterlassenen Schriften des Magister Ludi Josef Knecht aus dem Glasperlenspiel. Die Ausführlichkeit, mit welcher der Dichter diese Details in einem späteren Rundbrief Freunden schildert, zeigt, dass er sich hierüber herzlich freut, und lädt uns Mitlesende, nachdem wir ihn durch eine der härtesten Strecken seines Lebens begleitet haben, einmal mehr zum Mitfreuen ein. Er schreibt: „So wurden wir von diesen lieben Leuten beschenkt und gefeiert und ich war davon mehr berührt, als ich es von der Feier in Stockholm hätte sein können.“

Einmal mehr zeigt dies den hohen Stellenwert, den Freundschaften in Hermann Hesses Leben einnehmen. Um die Weihnachtszeit, als die Insignien des Preises eintreffen, hat ihn allerdings der alte Sarkasmus wieder eingeholt: „[…] die Urkunde in schwerer Ledermappe und die goldene Medaille, die liegen nun hier bei mir herum, und ich weiß nicht recht, wo ich sie verstauen soll.“

So schreibt er an seine langjährigen Freunde und Förderer, das Ehepaar Wassmer, und es sieht ihm recht ähnlich. Dass am Ende dieser Briefsammlung die schwierigen Jahre keineswegs überstanden sein werden: Wir ahnen es. Doch es zeichnet sich der Ausblick auf eine weitere spannende Phase im Leben des Dichters ab – die nächste Stufe, um es mit seinen Worten zu sagen –, die uns den noch ausstehenden Briefbänden mit Spannung und Ungeduld entgegensehen lässt.

Die Botschaft, die Hermann Hesses Briefe vermitteln und die sich auch wie ein Roter Faden durch sein ganzes Werk zieht, ist alles in allem ein eindringliches Bekenntnis zu Menschlichkeit, Respekt und Vielfalt, wie es auch in seiner Dankesrede zum Nobelpreis zum Ausdruck kommt:

Es lebe die Mannigfaltigkeit, die Differenzierung und Stufung auf unserer lieben Erde! Herrlich ist es, daß es viele Rassen und Völker gibt, viele Sprachen, viele Spielarten der Mentalität und Weltanschauungen. Wenn ich ein Hasser und unversöhnlicher Gegner der Kriege, der Eroberungen und Annexionen bin, so bin ich es unter andrem auch aus dem Grunde, weil diesen finsteren Mächten so viel an geschichtlich Gewordenem, hoch Individualisiertem, reich Differenziertem, an menschlicher Kultur zum Opfer fällt.

Oder wie der Dichter es zuvor bereits in der Danksagung zum Goethepreis formulierte:

Zwei Geisteskrankheiten sind es nach meiner Meinung, denen wir den heutigen Zustand der Menschheit verdanken: der Größenwahn der Technik und der Größenwahn des Nationalismus. Sie geben der heutigen Welt ihr Gesicht und ihr Selbstbewußtsein, sie haben uns zwei Weltkriege samt ihren Folgen beschert und werden, bis sie sich ausgetobt haben, noch manche ähnliche Folgen zeitigen. Der Widerstand gegen diese beiden Weltkrankheiten ist heute die wichtigste Aufgabe und Rechtfertigung des Geistes auf Erden. Diesem Widerstand hat auch mein Leben gedient, eine kleine Welle im Strom.

Titelbild

Volker Michels (Hg.) / Hermann Hesse: »›Große Zeiten‹ hinterlassen große Schutthaufen«. Die Briefe 1940-1946.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
717 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783518429532

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