Auktoriale Vexierspiele

Alina Boy, Vanessa Höving und Katja Holweck haben mit „Vexierbilder“ einen Sammelband zur Inszenierung von Autorschaft herausgegeben

Von Thomas MerklingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Merklinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit nun etwas mehr als zwei Jahrzehnten hat sich die Beschäftigung mit der Kategorie des ‚Autors‘ von einer poststrukturalistischen Theoriebasis gelöst. Nachdem der ‚Autor‘ durch die französische Texttheorie um Roland Barthes und Michel Foucault zu Grabe getragen worden ist, hat sich in den späten 90er Jahren eine perspektivische Verschiebung und Revitalisierung eingestellt. Mit dem titelgebenden Schlagwort des Sammelbandes von Fortis Jannidis et al. aus dem Jahre 1999 kann man inzwischen von einer „Rückkehr des Autors“ sprechen. Der wissenschaftliche Neuansatz reagiert auf die Tatsache, dass der ‚Autor‘ jenseits philosophischer Überlegungen nie weggewesen ist, sondern im Bereich des Buchmarktes weiterhin eine Konstante mit spezifischen Praktiken bildet. Hierbei haben sich insbesondere die soziologische Feldtheorie Pierre Bourdieus sowie dessen Habitus-Begriff als nützlich erwiesen, um zu beschreiben, welche Strategien bei Autor*innen vorhanden sind, um sich zu distinguieren und Aufmerksamkeit zu kreieren. Sie positionieren sich im kulturellen Feld, indem sie bewusst oder unbewusst ein Image ausbilden. Dies geschieht durch eigene wie fremde Inszenierungen.

Inzwischen liegen bereits eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten – insbesondere Sammelbände – zum Phänomen der Autorschaftsinszenierung vor, die durch den von Alina Boy, Vanessa Höving und Katja Holweck herausgegebenen Tagungsband Vexierbilder. Inszenierungen von Autor:innenschaft vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart ergänzt werden. Als Inszenierungen dürfen öffentlichkeitsbezogene, auf Aufmerksamkeit und kulturelles Kapital gerichtete Praktiken gelten, die ein bestimmtes auktoriales Bild gestalten. Stehen in früheren Aufsatzbänden beispielsweise Performanzaspekte, Inszenierungstypologien, Medienformen der Inszenierung, der literarische Skandal und Subjektivierungspraktiken schwerpunktmäßig im Vordergrund, gehen Boy, Höving und Holweck mit dem Begriff „Vexierbild“ dem piktoralen Kippverhältnis auktorialer „Bild-Text-Relationen“ nach.

Mit der Etablierung des literarischen Marktes um 1800 entsteht ein autonomes literarisches Feld, das einerseits die Möglichkeit und Notwendigkeit schafft, Aufmerksamkeit zu generieren, andererseits zu einer „Subjektform“ von Autorschaft beiträgt, wie dies Sabine Kyora in der Einleitung des von ihr herausgegebenen Sammelbands Subjektform Autor darlegt. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich Autorschaft als identitätsstiftendes Moment aus der Kombination von Selbst- und Fremdinszenierung, die zusammengenommen ein auktoriales Bild gestalten. Den daraus resultierenden Beziehungen von Bild und Text nachzugehen, ist Ziel des neuen Sammelbandes: Das aus der Bildwissenschaft entlehnte Konzept des „Vexierbildes“ bezieht sich auf das perspektivische „Wechselspiel“ zwischen literarischem Text und Autorbild. So schaffen textinterne wie -externe Inszenierungsformen ein imaginativ-phantasmatisches auktoriales (Ab-)Bild, das durch materielle Bildträger gestützt wiederum bei der Lektüre und Interpretation der Texte mitläuft.

Es ist Vexierbildern eigentümlich, dass sie semantisch ambivalent sind und jeweils nur eine Wahrnehmungsseite in den Fokus gerückt werden kann, auch wenn die andere Seite latent bewusst ist. In der Übertragung auf die Inszenierung von Autorschaft vollzieht sich das Oszillieren zwischen semiotischen Bedeutungsebenen auf vielfache Weise. So stehen materielle und imaginative Autorenbilder jeweils in einer Wechselbeziehung mit Texten. Intradiegetisch ergibt sich ein Vexierverhältnis zwischen auktorialer Instanz, Erzählinstanz und Figur. Auf extradiegetischer Ebene oszillieren Faktizität und Fiktionalität, so dass zu den außertextuellen Inszenierungen, die in ein Wechselverhältnis zu literarischen Texten rücken, schließlich auch autofiktionale Inszenierungen hinzukommen und neuerliche Bezüge eröffnen können.

Diese auktorialen Kippbilder sind aber nicht nur integraler Teil des Lektüre- und Interpretationsprozesses, weil Autor*innen häufig bewusst damit operieren, sondern weil sie Teil des Bedeutungsraums der Texte sind und einen ästhetischen Mehrwert mitbringen. Das scheint im Verweis der Herausgeberinnen auf die Etymologie des Verbs ‚vexieren‘ auf, dem die semantischen Konnotationen „quälen, ärgern, necken, irreführen“ zukommen. So ergeben sich mitunter imagebezogene Subtexte, die als auktoriale Vexierspiele eine alternative Perspektivierung anbieten und dabei den Bedeutungsraum beispielsweise um (vermeintliche) Biographismen, ironische Pointen oder autofiktionale Textdimensionen erweitern.

Die dreizehn Aufsätze des Sammelbandes, der auf eine Tagung im Rahmen der 43. German Studies Association 2019 in Portland zurückgeht und für die Drucklegung um weitere Texte ergänzt worden ist, beginnen thematisch im 19. Jahrhundert und ziehen sich chronologisch geordnet bis ins Jahr 2018. Dadurch ergibt sich eine historische Dimension auktorialer Inszenierung. Zugleich treten unterschiedliche Medienformen der Inszenierung in den Blick.

Für das 19. Jahrhundert zeichnet Katja Holweck die teilweise recht bemüht wirkenden Provokationen und agonalen Versuche Christian Dietrich Grabbes nach, sich als Dichter zu etablieren, während Maria Magnin mit Gottfried Keller einen bereits etablierten Schriftsteller behandelt und die selbst- wie fremdinszenatorische Wechselwirkung anlässlich seines 50. Geburtstages 1869 betrachtet, der durch die Stadt Zürich in Anwesenheit des Dichters begangen wurde. Ist das schillernde Image Grabbes noch stark auf paratextuelle Strategien angewiesen und die Betrachtung Kellers zunehmend durch nationalistische Vereinnahmungen bestimmt, zeigt sich am Beispiel Franziska zu Reventlow, im Beitrag von Alina Boy, dass sich um 1900 – gerade auch durch das Medium der Fotografie – deutlich performativere Möglichkeiten der Inszenierung eröffnen, die Leben und Kunst (auto-)mythisierend in Beziehung setzen.

Zu autofiktionalen Inszenierungen bei Gertrude Stein und Christa Wolf sowie in den Poetikvorlesungen Hilde Domins und Marlene Streeruwitz’ finden sich Beiträge von Sebastian Brass und Gundela Hachmann. Judith Niehaus wiederum zeigt am Beispiel von Wolf Haas, Michael Lentz und Clemens J. Setz, dass sich autofiktionale und typographisch auffällige Textstrategien in Romanen der Gegenwartsliteratur gleichermaßen für eine Reflexion des Schreibprozesses und damit einer Autorinszenierung anbieten, so dass sich die Tendenz eines gemeinsamen Auftretens dieser Verfahren feststellen lasse.

Das Spiel mit medialen Autorenbildern zeigt sich auf unterschiedliche Weise bei Robert Crumb, Wolfgang Herrndorf und Christoph Schlingensief. Während Crumb mit den gegen seine Person gerichteten Vorwürfen, wie Annika Frank zeigt, im bild-textuellen Medium des Comic-Strips selbstironisch spielt, geht Amelie Meister den metareflexiven Inszenierungsformen des frühen Herrndorf bei öffentlichen Auftritten, Interviews und Verlagsfotos nach. Schlingensief wiederum nutzt das mediale Bild, um mit der Vorstellung von Identität zwischen Präsenz und Repräsentation zu spielen und „seinen Habitus von Offenheit bzw. Öffentlichkeit metareflexiv zur Schau“ zu stellen. Das veranschaulicht der Beitrag Janneke Schoenes.

Der textuellen Beziehung von Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn und ihrer inszenatorischen Qualität widmet sich der Beitrag von Vanessa Höving. Björn Moll hingegen führt mit Blick auf Wolfgang Koeppens unveröffentlichtes Werk vor, dass auch ungeschriebene Werke Teil auktorialer Inszenierungen sein können. Koeppens Arbeit an seinem ‚dicken Buch‘ wird beispielhaft für ein „Quasi-Objekt“ angeführt, das hybrid zwischen Phantasma und Realität oszilliert und nicht nur zum Autorbild beiträgt, sondern reale Wirkung entfalten kann, etwa durch regelmäßige Verlagsschecks. Auch bei der Wiener Gruppe ergibt sich deren Bedeutung weniger aus publizierten Texten, sondern vielmehr durch ihre Live-Auftritte in den 1950er Jahren, wie Lena Hintze darlegt.

Für die Frankfurter Poetikvorlesungen Christian Krachts scheint eine Veröffentlichung bislang ebenfalls nicht geplant zu sein, so dass die darin vorgeschlagene Neuperspektivierung der eigenen Werke im Lichte der Missbrauchserfahrung in einem kanadischen Internat weiterhin lediglich durch die Presseberichterstattung gefiltert bleibt. Karin Bauer liest die Autorinszenierung mittels der Vorlesungen nicht als Ausdruck von Authentizität, sondern als Beispiel einer New Sincerity. Dies impliziere jedoch keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt des offenbarten Missbrauchs, sondern rücke lediglich eine bestimmte Art der Inszenierung in den Blick. Stehe beim authentischen Sprechen die „Erkenntnis und Konfession einer inneren Wahrheit“ im Vordergrund, dürfe man der New Sincerity nach Adam Kelly ebenfalls Aufrichtigkeit zusprechen, doch sei das performative Element ebenso wichtig. Für Kracht wäre somit eine stetige (Selbst-)Reflexion der Kommunikationshandlungen mitzudenken, die für Bauer darin resultiert, vorhandene Autorbilder und Werkdeutungen zu erschüttern.

Mit der Aufsatzsammlung, die als erster Band der von Cornelia Ruhe, Schamma Schahadat und Thomas Wortmann herausgegebenen Reihe „Medienkulturwissenschaft“ erscheint, ergeben sich neue Impulse für das Diskursfeld der Autorschaftsinszenierung. Die auf dem Coverbild gezeigten Totenmasken aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach veranschaulichen bereits beispielhaft die oszillierenden Perspektiven im Umgang mit Dichter*innen, insofern sie einmal die Vorstellung eines authentischen Blicks auf den Menschen, ein anderes Mal die auktorialen Masken der Autorschaftsinszenierungen scharfstellen. Der vorgeschlagene piktorale Begriff des „Vexierbilds“ nimmt dabei die unterschiedlichen Dimensionen text-bildlicher Inszenierung von Autorschaft, die materielle wie imaginäre auktoriale Bilder umfassen, überzeugend in den Fokus.

Titelbild

Alina Boy / Vanessa Höving / Katja Holweck (Hg.): Vexierbilder. Inszenierungen von Autor:innenschaft vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2021.
XVIII, 307 Seiten, 164,00 EUR.
ISBN-13: 9783770566488

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