„How long“

Joan Baez zum 80. Geburtstag

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

Joan Baez, die am Wochenende 80 Jahre alt wurde, in offenbar glänzender Verfassung, ist eine unverwechselbare Gestalt der amerikanischen Gegenwartskultur, und das seit mehr als 60 Jahren. Sie schuf, am Anfang ihrer langen Karriere, einen zuvor ungenannten Typus von Sängerin: die musikalische Aktivistin. Die Allianz von Musik und Politik war nicht neu; aber vor ihr waren es vor allem Männer wie Woody Guthrie und Pete Seeger gewesen, die sie repräsentierten. Als junge Frau gab sie ihr neuen Glanz und eine neue Richtung.

Mit ihrem ersten Auftritt auf dem Newport Folk Festival 1959, mit 18 Jahren, wurde Joan Baez, neben der etwas älteren Judy Collins, zur jungen weiblichen Stimme des Folk Revivals, das sich als Alternative zur Popmusik der Zeit verstand. Begleitet nur von ihrer Gitarre sang sie damals vorzugsweise alte amerikanische, englische und schottische Balladen, von denen vor allem „East Virginia“, „Mary Hamilton“ und „Silver Dagger“ in Erinnerung geblieben sind.

Schon bald stellte Joan Baez aber ihre Kunst in den Dienst des politischen Engagements. Sie machte ihre Musik, die auch zum Mitsingen einladen sollte, zur Begleiterin grundsätzlich gewaltloser politischer Aktionen. Auf dem Civil Rights March sang sie 1963 in Washington „We Shall Overcome“, das zu einer Hymne der Bürgerrechtsbewegung wurde – ähnlich wie es Bob Dylan mit „Blowin‘ In The Wind“ gelang, das sie auch lange vortrug.

Der Einsatz für Gleichberechtigung, gegen Rassismus und Krieg ist das Leitmotiv ihrer politischen Arbeit geworden, die sie nicht auf die USA beschränkte. In den 60er Jahren nahm sie etwa an westdeutschen Ostermärschen teil. Weihnachten 1972 verbrachte sie in Hanoi, während die Stadt ihr schwerstes Bombardement durch die amerikanische Luftwaffe erlebte. Sie nahm für ihr Engagement manches in Kauf, auch eine kurze Gefängnisstrafe. Bis heute steht sie, vielfach ausgezeichnet, politisch für das inzwischen bedrängte, ja bekämpfte liberale Amerika.

Als Musikerin schien es Joan Baez fast immer weniger auf kommerziellen Erfolg, den sie aber nicht verschmähte, als auf ein großes gesellschaftliches Anliegen anzukommen. Das, zusammen mit ihrer zumindest zeitweise madonnenhaften Erscheinung und ihrem klangvollen Sopran, machte sie bald über die Folk-Zirkel hinaus bekannt. Den Höhepunkt dieser Popularität erreichte sie mit ihrem Auftritt auf dem Woodstock Festival, in dessen Hippieseligkeit sie ein wenig politisches Bewusstsein zu bringen versuchte.

Ihre musikalische Karriere verlief wechselhaft. Die politische Arbeit dominierte lange auch ihre künstlerische, beflügelte sie, schwächte sie aber auch. Mit viel Emphase trug sie Protestsongs vor, nicht zuletzt die Dylans, aber auch Ghospelsongs wie „Swing Low, Sweet Chariot“ oder „Oh, Happy Day“. Aber es missglückten ihr auch gut gemeinte Alben wie Carry It On, eine Montage aus O-Tönen vor allem ihres inhaftierten Mannes und Konzermitschnitten durchaus verschiedenartiger Songs, von denen sie einige zuvor schon überzeugender interpretiert hatte.

Nach und nach erweiterte die Folk-Sängerin ihr Repertoire, in das sie, zuerst während ihrer Liaison mit Dylan, der ihr darin voraus war, auch zeitgenössische Lieder aufnahm, nicht nur politische. Nach dem „Joan Baez Ballad Book“ mit traditionellen Folk-Songs kam konsequenterweise „The Contemporary Ballad Book“ heraus, mit Coverversionen neuerer Songs, die etwa von Donovan oder ihrem früh verunglückten Schwager Richard Fariña stammen. Später interpretierte sie auch Lieder von Tim Hardin, Willie Nelson und Leonard Cohen. Balladen blieben im Ganzen ihre künstlerische Domäne.

Die große Zeit von Joan Baez reichte ungefähr von Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre. „The First 10 Years“, am Ende ihrer Zeit bei Vanguard 1969 veröffentlicht, und „The Best Of Joan C. Baez“, 1977 bei A&M erschienen, markieren diesen Zeitraum. „The First 10 Years“ dokumentiert, allerdings nicht in chronologischer Anordnung, die musikalische Entwicklung der 60er Jahre: von der Folk-Musik, alter wie neuer, zur Country-Musik. Dabei legte Joan Baez achtbare Interpretationen oft verkitschter Titel wie „Will The Circle Be Unbroken“ und „Green, Green Grass Of Home“ vor. In das Album wurde auch einer ihrer schönsten eigenen Songs aufgenommen, das träumerisch-traurige „Sweet Sir Galahad“, das selbst nicht frei von Süße ist.

Am erstaunlichsten für die angestammten Fans von Joan Baez mochten Ende der 60er Jahre die Country-Songs sein, die sie einspielte. Mit ihnen wurde sie, überraschenderweise, Teil des Country-Rock, der sich, im Anschluss vor allem an „Sweetheart of the Rodeo“ von The Byrds und mit Bob Dylans Basements Tapes im Hintergrund, gerade entwickelte. Auch wenn Joan Baez etwas kokett spottete, manche der Studiomusiker, mit denen sie in Nashville arbeitete, hätten sie bei anderer Gelegenheit wahrscheinlich gelyncht, glückte das Zusammenspiel – und sie wiederholte es, selbst für das ihrem Mann gewidmete David‘s Album.

„The Joan Baez Country Music Album“ sammelt einen großen Teil dieses Materials: neben Traditionals bekannte Songs von Johnny Cash („I Still Miss Someone“), Kris Kristofferson („Help Me Make It Through the Night“), Gram Parsons („Hickory Wind“) und Mickey Newbury („San Francisco Mapel Joy“). Viel von diesem musikalischen Impuls war im Übrigen schon in dem 1968 gleichfalls in Nashville aufgenommenen Doppelalbum „Joan Baez Sings Bob Dylan“ spürbar, etwa in ihrer sanft-beschwingten Interpretation von „You Ain‘t Goin‘ Nowhere“, selbst in ihrer getragenen Version von „Sad-Eyed Lady of the Lowlands“. 

„The Best of Joan C. Baez“ zeigte sie dagegen, fast ein Jahrzehnt später, in ihrer vorsichtigen, aber unüberhörbaren Annäherung an eingängige Popmusik der 70er Jahre, mit Coverversionen nicht nur von „Simple Twist of Fate“, sondern auch von „Please Come To Boston“, „Imagine“ und „The Night They Drove Old Dixie Down“, ihrem größten kommerziellen Erfolg, der allerdings an die rauhere Originalversion von The Band nicht heranreicht.

Es sind dann noch einmal zwei später erschienene Alben von Liveauftritten, in denen man Joan Baez, jeweils zu ihrer Zeit, hat: From Every Stage von 1976, mit einer gut eingespielten kleinen Begleitgruppe aufgenommen, und Ring Them Bells von 1995, auf dem sie auch mit anderen Sängerinnen im Duett, unter anderem mit ihrer Schwester Mimi Fariña zu hören ist. Beide Alben sind, mit gewissen Varianten und Variationen, Summen ihrer Kunst.

Dagegen fällt es schwerer, herausragende Originalalben zu nennen. Viele wirken musikalisch nicht sonderlich ehrgeizig, auch nicht ausgereift. Oft scheint sich Joan Baez ganz auf ihre großartige Stimme und ihr gewandtes Gitarrenspiel verlassen zu haben. Nicht selten behauptete sie eine Schönheit des Gesangs, die auf Kosten des Ausdrucks ging. Ja, mitunter zersang sie geradezu mit einem dabei unerschütterlich wirkenden Belcanto diffizilere Lieder.

Vielleicht das beste, sicher aber eines der für sie typischsten Alben ist eines ihrer weniger bekannten und erfolgreichen: One Day At A Time von 1969/70, noch bei Vanguard herausgekommen. Auf ihm singt sie, was sie am besten konnte: beliebte Traditionals wie „Jolie Blonde“ und „Take Me To the Sweet Sunny South“, einen eingängigen, etwas sentimentalen Politsong alter Schule wie „Joe Hill“, lange eine Säule ihres Repertoires, einen modernen Country-Song wie „The Long Black Veil“, Mick Jaggers Rocksong „No Expectations“ und eigene Lieder, neben „Sweet Sir Galahad“ ihren fast privaten „Song for David“, ihren seinerzeit als Wehrdienstverweigerer einsitzenden Ehemann David Harris. Die mühelose Sicherheit des Albums erreichten spätere, auch das vorerst letzte, keineswegs verunglückte Whistle Down The Wind von 2018, kaum noch.

Joan Baez, die auch zwei Bücher geschrieben hat und malt, ist selbst kein großer Songwriter, auch wenn ihr eindrückliche Balladen wie „Diamonds And Rust“ über ihre Beziehung zu Dylan gelungen sind. In ihren besten Interpretationen hat sie es aber immer wieder geschafft, sich einen Song zu eigen zu machen. Bob Dylans „Farewell Angelina“ ist dafür ebenso ein Beispiel wie Gil Turners „Carry It On“ oder Violeta Parras „Gracias A La Vida“, einer ihrer nicht wenigen nicht-englischsprachigen Songs. Mit ihrer unbeirrbaren Eigenständigkeit hat Joan Baez den Weg für jüngere Sängerinnen wie Joni Mitchell, Emmylou Harris, Mary Chapin Carpenter und Rosanne Cash gebahnt. So ist sie, lange eine Person des öffentlichen Lebens, auch eine der großen Sängerinnen der populären amerikanischen Musik geworden.