Nun ist's aus, falterhaft, liebeslohend...

Mozart und seine deutschen Übersetzer

Von Diether SteppuhnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Diether Steppuhn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Freilich von der Zeitmode, den Anschauungen, Wünschen und Reizungen des jeweiligen Bildungsdurchschnitts muß der Überträger eines zeitlosen Werkes ebenso unabhängig sein wie von irgendeinem Privatgeschmack" forderte 1926 Karl Wolfskehl in seinem Essay "Vom Sinn und Rang des Übersetzers". Ragni Maria Gschwend ergänzt dazu in ihrem Buch "Figaros Flehn und Flattern - Mozart in den Fängen seiner Übersetzer": "Wahrscheinlich ist es eine Illusion, daß man das überhaupt kann. Denn jeder Übersetzer arbeitet mit der Sprache, die ihm zu Gebote steht, und jeder ist ein Kind seiner Zeit. Daher kommt es ja auch, daß Übersetzungen, wie alle Interpretationen, schneller altern als das Originalwerk."

Jeder Mozartfreund - und wohl auch viele, die sich so nicht nennen lassen mögen - kennt die "Militär-Arie", die Figaro im ersten Akt der Mozartoper "Figaros Hochzeit" dem Pagen Cherubino vorsingt und die mit einem herrlichen Banda-Marsch ihren dramatischen Höhepunkt findet: "Non più andrai farfallone amoroso..." Dass eine Übersetzerin von Rang - sie ist vor allem für das Italienische zuständig - diese Arie als Aufhänger benutzt für ein kurzweilig zu lesendes Buch, passt wunderbar zum nun zu Ende gehenden Mozartjahr. Denn was sie mit detektivischem Spürsinn an deutschen Übersetzungen dieser Arie gefunden hat und vergleichend nebeneinanderstellt, ergibt so etwas wie die Blaupause der deutschen Mozart-Rezeption von damals bis heute.

Den italienischen Text Lorenzo da Pontes benutzte Mozart für jene bekannte Arie, in der - höchst raffiniert aufgebaut - nach Frau Gschwends treffenden Worten Figaro dem Pagen erst einmal "genüßlich all die hübschen Dinge aufzählt, die ihm von nun an abgehen werden". Der Schadenfreude folgt dann eine so drastische Schilderung des schrecklichen Soldatenlebens, dass "dem armen Cherubino Hören und Sehen vergehen", bis der Page schließlich in einer "grausamen Schlußvision unter Fanfarenstößen in den Krieg stürmt", von einem zündenden Banda-Marsch begleitet.

Schon ein Jahr nach der Prager Premiere wurde Mozarts "Figaro" beim Fürsten zu Fürstenberg in Donaueschingen aufgeführt. Der Hof hatte enge Beziehungen zur Familie Mozart; denn Leopold hatte den aus dieser Stadt stammende Sebastian Winter - die Mozarts nannten ihn Wenzel - als Betreuer seiner Kinder angestellt. Der begleitete die Familie 1763 auf der großen Europareise und hat wohl dafür gesorgt, dass sie auf dem Heimweg zwölf Tage am Hof weilen und mehrmals musikalisch auftreten durfte. Wie damals üblich, interessierten sich die gebildeten Fürsten für alles, was an neuer Musik bekannt wurde, und man war bestrebt, so schnell wie möglich neue Noten zu bekommen. So geschah es mit der neuen Oper: Das inzwischen recht professionelle Hofensemble - die Fürstin selbst sang übrigens (nein, nicht die Gräfin, sondern) die Susanna - führte am 23. September 1787 das Werk auf, und zwar auf deutsch. Ein Hofsekretär und ein mitwirkender Kammersänger verfassten einen deutschen "Singspiel"-Text, der unsere Arie so beginnen lässt: "Kleiner Liebling des schönen Geschlechtes! / Nun wirst du dich des Tändelns entwöhnen, / hüpfest nicht mehr von Schönen zu Schönen, / für die alle dein Busen gleich wallt" und so enden lässt: "Cherubinchen! Fort zum Siege, fort zum kriegerischen Ruhm!"

Weitere Aufführungen fanden immer wieder neue Texte. In Passau - der Verfasser ist nicht bekannt - lautete er 1789 und 1793: "Bis hieher war dein ganzes Bestreben / Blos für Weiber und Mädchen zu leben / Unaufhörlich an ihnen zu kleben - / Wie die Biene auf Blumen im May" und zum Schluss: "Muth gefasst! So giebt's am Ende / Blos "Viktoria" zu schreyn!" In Graz übersetzte Karl Ludwig Giesecke (1761-1833) 1788 so: "Nun wirst du nicht mehr mit Schleifen und Bändern / Aufgestutzt unter den Mädchen schlendern / Nicht mehr ihr schöner Adonis seyn" und zum Schluss: "Kämpfe herzhaft, denn zum Lohne / Soll die Ruhm der Nachwelt seyn."

In Frankfurt sang man im selben Jahr: "Jetzt geht's nicht an Damentoiletten, / mit der Liebe reitzenden Stafetten; / man spielt nun nicht mehr mit Rosenketten, / lacht, und tändelt, schäkert nun nicht mehr" und zum Schluss "Cherubin mit Sieg bekrönet, / eilet zu des Ruhmes-Ziel." Diese "Dichtung" stammt von Goethes späterem Schwager Christian August Vulpius (1762-1827), der an anderer Stelle der Oper die Gräfin in einer Arie folgendes singen lässt: "Ach, in Tränen sind verwandelt / Meiner Liebe Prachtgestein; / Ach, was hab ich mir erhandelt? / Leiden, Qual und Schmerz und Pein!" In Frau Gschwends Urteil ist das "flach und blutleer mit Pseudopoesie und Schäferidylle" und der Anfang des "veredelnden und verniedlichenden Mozartbilds kommender Generationen." Außerdem werde die musikalische Faktur der Figaro-Arie völlig missachtet: "Während bei Mozart/da Ponte in den militärischen Schilderungen eine dramatische Steigerung, ein accelerando enthalten ist, nicht zuletzt durch den sich fünfmal wiederholenden Reim ,Per montagne, per valloni / con le nevi e i sollioni / al concerto di tromboni / di bombarde di canno ni / che le palle in tutti i tuoni / all' orecchio fan fischiar' - stellt sich bei Vulpius der Krieg bestenfalls als eine Art lästigen Geländespiels dar. Und zum Schluss steht [...] keine anfeuernde Aufforderung, sondern lediglich eine nüchterne Feststellung", womit sie sicher recht hat. Und trotzdem: An vielen deutschen Bühnen sang Figaro diesen Text, von dem auf einem Plakat in Stuttgart 1790 bei einer Opernankündigung zu lesen war, er sei "mit poetischer Freiheit ins Deutsche übertragen von dem Theatral-Dichter Vulpius."

In Berlin erschien 1790 das "Figaro"-Textbuch eines anonymen Verfassers, der unsere Arie folgendermaßen singen lässt: "Wirst nicht mehr, armer Liebesritter, / Wie bisher bey Tag und bey Nacht / Irren hier umher auf Liebesabenteuer, / Wie Adonis und Narciss verliebten Angedenkens" und zum Schluss: "So geht unser Cherubin / Auf der Helden-Laufbahn hin."

Gleichzeitig mit Vulpius oder vielleicht sogar früher bemühte sich der Freiherr von Knigge (1752-1796) um eine neue Übersetzung des "Figaro". Bei ihm sang Figaro seine Arie 1791 in Hamburg so: "Dort vergiß leises Flehn, süßes Wimmern, / Da wo Lanzen und Schwerdter nur flimmern, / Sey dein Herz unter Leichen und Trümmern / Nur voll Wärme für Ehre und Muth!" und zum Schluss: "Deiner Feinde banges Staunen / Sei der edlen Thaten Lohn!" Auch dieser Text fand seine Freunde, wenn er auch immer wieder leicht verändert wurde; 1843 sang Figaro die beiden neuen Schlussverse in Wien so: "Unter Leichen, unter Trümmern, / Wallt empor des Siegers Blut!"

Der Biedermeier schuf sich nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 sein eigenes Kunstverständnis. Höfisches wurde vom Bürgertum verdrängt, die mehr oder minder sanft verstandene Revolution der Beaumarchais-Vorlage des "Figaro" gegen Adel und Kriegsverherrlichung war nicht mehr aktuell. Hinzu kam, dass in Wien bald wieder viele italienische Opern von Bellini, Donizetti oder Rossini in der Originalsprache gesungen wurden. Trotzdem hielt sich für Mozarts "Figaro" lange ein Gemisch aus den Texten von Vulpius und Knigge, auch weil die Sänger sich an ihn gewöhnt hatten. Aber immer wieder versuchte man Abwandlungen. So gab es 1844 das Textbuch eines anonymen Verfassers - Frau Gschwend vermutet dahinter sogar eine Frau, Emilie Seidel -, in dem sich unser Arientext wie folgt liest: "Nicht mehr gleich einem losen Schmetterlinge / Schwärmst du, mein Freund, bei Tag und Nacht umher; / Du wirst nicht mehr der Schönen Ruhe stören, / Spielst den Adonis und Narziß nicht mehr" und zum Schluss "Auf Cherubim! Entgegen denn dem Siege, / erringe Lorbeer dir, auf wird' ein Held!"

Franz Theodor Kugler (1808-1858) - Architekt, preußischer Staatsbeamter, Maler, Dichter und vieles andere - erbarmte sich des "Figaro"-Texts erneut, weil er sich nach seiner Meinung viel zu weit vom Original entfernt hat; er beschwert sich über den "Bühnenschlendrian" und schreibt: "Am übelsten ist... durch die mangelhafte Übersetzung der Humor weggekommen. Im Leidenschaftlichen, im Pathetischen herrscht das Gefühl vor... Im Humor spielt der Verstand seine entscheidende Rolle mit, dessen Träger eben das Wort ist... Das schlagendste Beispiel ist Figaro's große Arie im ersten Act. Die gewöhnliche Übersetzung hat in ihr den eigentümlichen Charakter der Composition zum guten Theil völlig vernichtet, so daß unserm Publikum die eigentliche künstlerische Absicht dieser Arie in der That fast fremd geblieben ist. Von der gaukelnden Ironie, welche hier - zu Cherubin gewandt - ihr buntes Spiel treibt, ist kaum eine Spur zurückgeblieben..." Und so dichtet er den Text neu: "Nicht mehr schweifst du in zärtlichem Kummer, / Nicht mehr läßt du die Cither ertönen, / Unsern Schönen zu stören den Schlummer, / Süßes Fäntchen nach Minnegebrauch!" und zum Schluss: "Cherubin, nun auf zum Kriege, / Auf zum Siege, junger Held!"

Über eine solche Mozartverfälschung regte sich 1851 der neue "Ober-Regisseur" des Weimarer Hoftheaters noch mehr auf als Franz Theodor Kugler: Eduard Devrient (1801-1877), Sänger, Schauspieler, Regisseur, Freund Mendelssohns, hatte dort 1844 Ludwig Tieck abgelöst. 1849 schrieb er eine flammende "Reformschrift" über "Das Nationaltheater des neuen Deutschlands", auf die der badische Prinzregent und spätere Großherzog Friedrich I. aufmerksam wurde und der ihn 1852 zum Intendanten seines Karlsruher Hoftheaters berief. Neue Besen kehren gut: Devrient rechtfertigte seinen Ruf als Reformer in Schauspiel und Oper und stellte seinem Hofkapellmeister Wilhelm Kalliwoda - er war der Sohn des berühmten Donaueschinger Hofkapellmeisters - bald mit Hermann Levi einen genialen jungen Dirigenten an die Seite. Devrient hatte auch selbst neue Texte zu Mozartopern geschrieben und auf der Bühne des neuerbauten Hoftheaters - der alte Weinbrennerbau auf dem Schlossplatz war 1847 einem verheerenden Feuer mit vielen Toten zum Opfer gefallen - sang Figaro nach erstmals wieder gesungenen und nicht nur gesprochenen Rezitativen seine Arie so: "Nun vergiß leises Flehn, süßes Kosen / Und das Flattern von Rose zu Rosen; / Du wirst nicht mehr die Herzen erobern, / ein Adonis, ein kleiner Narziß" und zum Schluss: "Cherubino, auf zum Siege, / Auf zu hohem Waffenruhm!" Erstmals erscheint das Flattern eines Schmetterlings, italienisch "farfallone", von dem da Ponte ja spricht.

Hermann Levi (1839-1900) war 1872 Bayerischer Hofkapellmeister geworden. Er führte in München die Reformen weiter, die Devrient mit ihm begonnen hatte. Obwohl nach einer Begegnung mit ihm zum glühenden Wagner-Anhänger geworden, setzte Levi mit neuen Mozart-Inszenierungen ein Gegengewicht zur Übermacht der Wagner-Opern; Figaro sang weiter den leicht veränderten Karlsruher Devrient-Text. Er hielt sich bis in die Gegenwart. Ich habe ihn im Karlsruher Theater selbst so gehört, in dem mit einer "Figaro"-Aufführung am 10. Juli 1944 die Wintersaison beendet wurde und das Theater am Schlossplatz keine neue Saison mehr erlebte; denn am 27. September 1944 wurde es bei einem alliierten Bombenangriff völlig zerstört. Der Aufführungsstil des von Levi in München ab 1895 im Cuvillié-Thater veranstalteten Mozart-Zyklus veränderte sich nun aber erheblich: Mozarts Opern wurden ins Rokoko verlegt, er wurde zum Wunderkind, zum Götterliebling, zum Wolferl verniedlicht. Frau Gschwend zitiert einen schwülstigen Zeitungserguss aus Berlin von 1911: "Heiliger Mozart, du Wonne des Menschengeschlechts mit deiner göttlichen Heiterkeit und deiner schwebenden Grazie... Wir spüren nur, wie alle Errdenschwere von uns fällt, und es ist uns, als säßen wir am Urborn des Schönen..."

Es war Gustav Mahler (1860-1911), seit 1897 Kapellmeister und "artistischer Direktor" an der Wiener Hofoper, der im Mozart-Jahr 1906 energisch mit dem Zuckerbäcker-Mozart und vielen Unsitten im Opernbetrieb aufräumte, bei Sängern wie beim Publikum. Er ließ Max Kalbeck (1850-1921) Operntexte neue übersetzen und Figaro sang jetzt folgendermaßen: "Wo die Stürme der Schlacht dich umtosen, / da vergiß leises Flehn, süßes Kosen! / Rot von Blute gefärbt sind die Rosen, / die du künstig erbeutest im Feld!" und am Schluss: "Cherubino, auf zum Kriege, / zeige dich als Mann und Held, / deine Taten seien Siege, /und dein Ruhm erfüll' die Welt!" Es verwundert, dass Mahler diesen ganz gegen Mozarts Musik und da Pontes Geist gedichteten Text stehen ließ, der ja zunächst einen jungen verwöhnten Stutzer am Hof beschreibt, ehe es martialisch wird. Insgesamt aber öffneten Mahlers Reformen den Blick auf ein neues Mozartbild; Bruno Walter schrieb später, Mahler habe Mozart von der Lüge der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer Trockenheit befreit und ihm seinen dramatischen Ernst, seine Wahrhaftigkeit und seine Lebendigkeit wiedergegeben. Der Kalbeck-Text wurde erst 1931 an der Berliner Krolloper von Otto Klemperer - Gustav Gründgens führte Regie - übernommen; sonst sang man allgemein den Levi-Text.

In den 20er Jahren war man aber auch mit ihm nicht mehr zufrieden. Karl Wolfskehl - er wurde eingangs zitiert - dichtete eine neue Übersetzung, "Nun ist's aus, falterhaft, liebeslohend / Früh und spät überall hinzuschwärmen, / Aller Frauen Gewissen bedrohend, / ein narzissisch adonischer Tor!" und am Schluss: "Cherubino, auf zum Siege, / Ring um Ruhm in heißer Schlacht!" Das konnte sich gegen Levis Text aber nicht durchsetzen.

Aber Levi war Jude und es gab Probleme, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Man konnte und wollte trotz einer gewissen Wagner-Hysterie auf Mozart nicht verzichten. Man versuchte, den Text "aufzunorden", wie Frau Gschwend dies treffend beschreibt. Es gab offizielle Verlautbarungen, die den nun als Deutschen vereinnahmten Mozart mit arischen Eigenschaften verbanden, um ihn dem Volk zu erhalten. Siegfried Anheißer (1881-1938), ein Musikredakteur im Kölner Sender, hatte als begeistertes Parteimitglied schon früh neue Texte für die da-Ponte-Opern Mozarts geschrieben. Er versuchte, die bisherigen Texte von Schwulst und Kitsch zu befreien, was ihm oft gelang; aber auch er konnte sich dem kämpferischen Volksideal nicht entziehen. Unsere Arie lautet bei ihm so: "Wirst nicht mehr als ein lockerer Vogel / Listig spähen durch Hecken und Lauben, / Zarten Mädchen die Ruhe zu rauben, / als ein kleiner verliebter Narziß" und zum Schluss: "Cherubino, auf zum Siege, deines Ruhmes Banner weht!" Es verwundert, dass diese Übersetzung vom NS-Propagandaministerium nicht genehmigt wurde, Frau Gschwend vermutet als Grund Rivalitäten und Zuständigkeitsdifferenzen zwischen Nazibehörden.

Um endlich Ruhe zu schaffen, erhielt 1939 der Berliner Professor Georg Schünemann (1884-1945), erst Leiter der Berliner Musikhochschule, später Direktor der Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek, den Auftrag zu einer allgemein gültigen neue Übersetzung des "Figaro". Der tat sich schwer und bat Rudolf Hartmann, der die Bayerische Staatsoper in München leitete, um Hilfe. Man war schnell einig, dass man am Levi-Text festhalten wollte, den man aber nicht mehr so nennen durfte. Mit wenigen Änderungen wurde der "neue" Text dann groß angekündigt als "Neue deutsche Übertragung nach dem Urtext und der Überlieferung von Georg Schünemann". In allen Kriegsjahren, vermehrt nach dem "Anschluss" Österreichs 1938, gab es überall Aufführungen der großen Mozart-Opern mit diesem Text. 1944 wurde zum "Großdeutschen Mozartjahr" erklärt, unter Goebbels' Schirmherrschaft gab es in Wien eine "Mozartwoche des Deutschen Reichs": Karl Böhm dirigierte im Redoutensaal der Hofburg unter Regie von Fritz Schuh einen "Figaro" nach dem "neuen" Schönemann-Text, wieder etwas Neues; denn schon seit längerem wurde Mozart in Wien wie in Salzburg italienisch gesungen. Doch 1941 mit Karl Böhm und 1942 mit Clemens Krauss kam Schönemanns Text auch in Salzburg zu Ehren, 1943 endeten die Festspiele, am 31. August 1944 beschloss in Berlin mit einer "Figaro"-Aufführung das im "Admiralspalast" untergebrachte Deutsche Opernhaus Berlin seine Pforten.

Bald nach Kriegsende gab es mit Walter Felsenstein (1901-1975), dem von den Sowjets neu ernanntenLeiter der "Komischen Oper", wieder einen "Figaro"; benutzt wurde eine auf dem Levi-Text beruhende Neufassung. Wichtiger war dem Regisseur, dass die Protagonisten versuchten, in ihrer Rolle "wieder die Wahrheit zu finden". Er hatte damit Erfolg, wie enthusiastische Kritiken seiner Aufführungen bezeugen - man kann sie in Frau Gschwends Buch nachlesen. Doch im übrigen Deutschland gab es keine solche Renaissance des "wirklichen" Mozart; man hielt sich weiter an Levis Texte. 1976 erscheint im Bärenreiter-Verlag eine neue Übersetzung von Kurt Honolka (1913-1988); die Figaro-Arie liest sich hier so: "Du wirst nicht mehr die Mädchen betören, / Tag und Nacht mit verliebtem Getändel; / Du wirst nicht mehr die Ruh ihnen stören, / Du Adonis, du kleiner Narziß!" und zum Schluss: "Cherubino, auf zum Siege, / auf ins Feld zu Kampf und Ruhm!"

In den 70er Jahren begann man, auch in Deutschland wieder den italienischen Originaltext singen zu lassen. Aber es gab Exzentriker wie Peter Zadek in Stuttgart, der die Buchautorin Ragna Maria Gschwend bat, für die Spielzeit 1982/83 eine neue deutsche "Figaro"-Übersetzung zu fertigen. Sie dichtete für unsere Arie folgenden Text: "Ach, nun wirst du nicht länger mehr flattern, / kleiner Falter, von Blume zu Blume, / wirst den Schönen die Ruh nicht mehr stören, / o Narzißchen, Adonis, ihr Gott!" und zum Schluss: "Cherubino, auf zum Siege! / Auf zu Ehr und Waffenruhm!" Der Text wurde indessen nicht verwendet, Zadek stellte mit anderen während der Proben einen neuen her, von dem Wolfgang Sandner in seiner FAZ-Kritik schrieb, die Aufführung sei kein Virtuosenstück geworden, sondern vielmehr "die menschliche Komödie einer von Neurosen geplagten, in opportunistischer Cleverness agierenden Mittelklassegesellschaft, ausgestattet von der neuen Schule der Prächtigkeit, die in der Warholschen Mülltonne nach Einfällen gekramt und bei der coolen Generation des Popzeitalters ihre lockere Sprache geliehen hat." Unsere Arie lautet denn auch so: "nun vergiß leises flehn süßes kosen / und das flattern von rose zu rosen / du wirst nie mehr die herzen erobern / du frisierter gezierter lakai" und zum Schluss: "cherubino auf zum siege / auf zum ruhm fürs militär." Die Inszenierung wurde als ein "schlüssiges Werk" gelobt, das der "Schönheit der Empfindung" keinen Abbruch tue. Die Rollen haben sich jetzt verkehrt, wie Frau Gschwend zurecht feststellt: "Nicht mehr die Übersetzung bestimmt den Aufführungsstil, sondern das Konzept der Inszenierung verlangt nach einem bestimmten Tenor der Übersetzung, wobei der Wortlaut des Originaltextes wiederum nicht mehr so wichtig ist. Die Regisseure haben nun das Szepter übernommen, und da sind, wie wir wissen, der Phantasie keine Grenzen gesetzt."

Heute hört man überall den Originaltext, den man nicht mehr zu verstehen braucht, weil Übertitel kryptisch den Sinn des Gesprochenen vermitteln; Textgenauigkeit ist da nicht mehr gefragt.

Ragna Maria Gschwends Buch enthält eine CD mit 15 Musikbeispielen zur Figaro-Arie, natürlich die Arie im Original mit einem großartigen Renato Capecchi in der Fricsay-Einspielung von 1961, dann J. N. Wendts "Figaro"-Harmoniemusik mit Dieter Klöckers Consortium Classicum, anonyme Bearbeitungen der Arie für zwei Flöten, für drei Klarinetten, von F. Kuhlau und von Hummel für Klavier, von J. Offenbach für Cello und Klavier, von J. Küffner für Flöte und Klavier, dazwischen immer wieder die Arie selbst, gesungen von Dominik Hosefelder in verschiedenen Textfassungen, wie sie im Buch erscheinen. Frau Gschwend hat mit einigen dieser Künstler im November 2005 als Schlussveranstaltung der Übersetzertage Baden-Württemberg in Karlsruhe eine amüsante Matinee über ihr Buchthema gestaltet.

Ihr "Figaro"-Buch ist ein kenntnisreicher und sorgfältig recherchierter Kommentar zur Rezeptionsgeschichte dieser Mozart-Oper, der - pars pro toto - auf alle seine da-Ponte-Opern zutrifft. Ihr Gefühl fürs Italienische, das sie spürbar bei allen zitierten Übertragungen original im Ohr hat, und ihre Fähigkeit, flüssig und amüsant zu erzählen, lassen leicht nachvollziehen, wie sich im Geschmack des zunächst exklusiveren, dann bürgerlichen Publikums die Rezeption in großen Gegensätzen vollzogen hat. Eigentlich erst in unseren Tagen nimmt sie sich wieder der Erforschung der historischen Quellen und der bewundernden Liebe zu Mozarts Menschenkenntnis an, die ihn oft doppelbödig Musik, Text und Aktion gleichzeitig erfassen und formen lässt. So bleiben seine Opern unverändert auch nach 250 Jahren und sicher für die Zukunft ein unerschöpfliches Objekt fürs ständige Neu- und Nacherfinden durch Ausführende und durch das Publikum. Das Mozartwunder altert nicht...


Titelbild

Ragni Maria Gschwend: Figaros Flehn und Flattern - Mozart in den Fängen seiner Übersetzer.
mit 1 Audio-CD.
Straelener Manuskripte Verlag, Straelen 2006.
160 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3891070535

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