Verbriefte Geistesblitze

Zur Deutschen Erstausgabe von Virginia Woolfs Gesammelten Briefen

Von Kirsten SandrockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Sandrock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Angst vor Virginia Woolf hat, braucht nicht erst Albert Lees Drama zu lesen. Er sollte stattdessen versuchen, sie endlich näher kennen zu lernen - zum Beispiel durch das Lesen ihrer Gesammelten Briefe. In ihren Korrespondenzen zeigt sich Virginia Woolf (1882-1941), geborene Adeline Virginia Stephen, zudem von einer Seite wie sie persönlicher kaum sein könnte und lässt die Briefe nicht nur zu einem Muss für jeden Liebhaber werden, sondern auch zu einer Gelegenheit für Skeptiker, sich einen neuen Zugang zu der großen britischen Schriftstellerin der Moderne zu verschaffen.

Die zwei von Klaus Reichert editierten Bänden bieten eine zwar nicht komplette, dafür aber wohl ausgewählte Kollektion von Briefen, die die Autorin an Familienmitglieder und Freunde sowie Kritiker und andere Künstler schrieb. Insgesamt 43 Jahre umfassen ihre Schriftwechsel, angefangen von Woolfs sechstem Lebensjahr bis hin zu ihrem Freitod im Jahr 1941, und sie spiegeln die Alltäglichkeiten im Leben der Schriftstellerin ebenso wider wie ihre philologische Tiefgründigkeit und emotionale Sensibilität. Verabredungen zum Tee, Einkaufsberichte oder Reiseplanungen wechseln sich mit Selbsterfahrungen und literaturwissenschaftlichen Betrachtungen ab, oder auch mit philosophischen und gesellschaftskritischen Erörterungen. Anders als in ihren Tagebüchern tritt dabei vermehrt die Bedeutung des sozialen Umfelds und des zwischenmenschlichen Miteinanders für Woolf zu Tage und ermöglicht Einblicke in ihr Leben und Werk.

Wie auch in ihren narrativen Texten erweist sich Woolf in den Briefen als Meisterin des 'Stream-of-Consciousness' Stils, in dem sich Ausdrucksformen so schnell ändern wie Gedanken: hier charmant locker, da entwaffnend ehrlich und dort kritisch ironisch, am besten alles in einem. In den Schreiben an die Schwester und Vertraute Vanessa Bell etwa drückt sich neben den leidenschaftlichen Empfindungen der oftmals psychisch labilen Autorin auch ihre Vorliebe für gesellschaftlichen Klatsch und Tratsch aus, die, zu Lebzeiten bereits berüchtigt, auch heute noch Widersprüche zu dem sonstigen Freigeist der Bloomsbury-Ikone erkennen lässt.

Ein besonderer Schatz auf den knapp 600 Seiten der deutschen Gesamtausgabe ist Woolfs langjährige Korrespondenz mit dem Franzosen Jacques Raverat. Dem an Multiple Sklerose erkrankten Maler gegenüber zeigt sich die Autorin besonders einfühlsam und kommt besonders in den Zeiten vor Raverats Tod 1925 ihrem Plan ganz nah, in der Sprache "alle Überflüssigkeiten" von sich abzuwerfen und "Worte [zu] formen, die sich der Krone der Wellen meines Geistes genau anpassen" (Brief vom 3.10.1924). Auch die Briefe an ihre Freundin und spätere Geliebte Vita Sackville-West sind ein Glanzstück an Woolf'scher Ausdrucksstärke und kreativer Intelligenz, wohingegen sich die zwischen 1930 und 1941 geführte Korrespondenz mit Ethyl Smyth, Herausgeberin einer feministischen Frauenzeitschrift, hauptsächlich als spannende Ergänzung zu der kritischen Haltung gegenüber traditionellen Geschlechterrollen in ihrem Werk "A Room of One's Own" (1929) liest.

Die vom S. Fischer Verlag veröffentlichte deutsche Erstausgabe der Briefe wurde in Reicherts Edition zu einem Lesevergnügen besonders informativer Art. Nicht nur gibt der Herausgeber, der bereits die deutsche Ausgabe von Woolfs Tagebüchern herausgab, zu Beginn der beiden Bände einen kurzen biografischen Abriss über das Leben der Leslie Stephen Tochter. Auch durch seine Unterteilung der Korrespondenzen in zeitgeschichtliche Abschnitte sowie in Fußnoten und Kommentaren gelingt es ihm, das Buch sowohl für Laien als auch für Spezialisten interessant zu machen.

Auch die Übersetzung von Brigitte Walitzek trägt ein Vieles zu dem gänzlichen Gelingen der Ausgabe bei. Wie auch in ihrer deutschen Erarbeitung von Woolfs "Orlando" ist Walitzeks Wortwahl dem poetischen Duktus, der sprachlichen Schnelligkeit sowie dem ironisch-scharfsinnigen Ton des Originals durchaus angemessen. Wenn sie beispielsweise Woolfs Zustand als den von "schwimmig schwummriger Schwammigkeit" beschreibt (Brief vom 24.4.1905) oder für "drugged" den Ausdruck "benommen" statt des dem englischen Original ursprünglich näher stehenden Worts "betäubt" wählt (Brief vom 24.12.1909), so zeigt sich, dass Walitzek stets mit der Tiefe der Texte arbeitet, ohne dabei Woolfs 'Leichtigkeit des Lesens' zu verlieren.

Insgesamt empfiehlt sich die deutsche Erstausgabe von Virginia Woolfs Briefen als veritables literarisches Feuerwerk, das nicht nur Freunden sondern auch Kritikern eine neue Perspektive auf das Leben und Schaffen der britischen Schriftstellerin eröffnet. Doch wie sollte es auch anders sein, denn "Geistesblitze finden sich" nun einmal "häufiger in Briefen," wie Woolf in einem Brief vom Juli 1905 ganz richtig konstatiert.


Titelbild

Virginia Woolf: Briefe 1. 1888-1927.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Walitzek.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
548 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3100925564

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Titelbild

Virginia Woolf: Briefe 2. 1928-1941.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Walitzek.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
513 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3100925645

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