Kaum ein Minjan mehr

Ein opulenter Doppelband stellt die Synagogen in Baden-Württemberg vor, vom Mittelalter bis heute

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Glanzpunkt, ein aufregendes, ein auffälliges Bauwerk: Zwei zweigeschossige Bauten flankierten den zentralen Eingang, der durch zwei merkwürdig geformte, sich nach oben verjüngende Türme gebildet wurde. Der Gang führte in einen säulenbestandenen Innenhof, die eine Seite war wie eine Tempelfassade gestaltet. Dahinter öffnete sich der Synagogenraum, mit einem mächtigen Tonnengewölbe. An den Seiten schlossen sich schmale und niedrige Räume an, auf der linken Seite das Frauenbad.

Aus einer Vielzahl von Räumen bestand die Karlsruher Synagoge, der erste Monumentalbau des noch jungen, später berühmt gewordenen Architekten Friedrich Weinbrenner. Am 2. Juni 1798 genehmigte der Markgraf von Baden den Bau, am 10. Juni wurde der Grundstein gelegt, zwei Jahre später fanden die ersten Gottesdienste statt. Dabei war der Bauplatz, auf dem schon die alte Synagoge gestanden hatte, eher ungünstig geschnitten. Wegen des strahlenförmigen Grundrisses der Stadt waren fast alle Grundstücke schiefwinklig, im Osten, wo die Synagoge gebaut wurde, war der Winkel sogar beträchtlich. Weinbrenner löste das Problem sehr geschickt, indem er die Gebäude in einer Hauptachse anordnete. Die Toranische ließ er nach Osten zeigen, wie es die religiöse Vorschrift gebot.

Aufregend war der eklektische Stilmix: Die Straßenfassade sah wie ein ägyptischer Tempel aus, der Innenhof mit Säulen wie ein griechischer. Der Innenraum der Synagoge wirkte mit den Kassetten des Gewölbes hoch und mächtig. Trotzdem: Alles zusammen war gut aufeinander abgestimmt, neu, aufregend, passend.

Das sagen die Berichte. Denn natürlich ist diese Synagoge, wie die meisten in Deutschland, längst zerstört und abgerissen worden. Viele sehr früh, die meisten 1938, andere nach dem Krieg, in der Zerstörungswut der sechziger Jahre. Ein wunderbarer Doppelband dokumentiert jetzt alle Synagogen des Landes Baden-Württemberg, alle jüdischen Einrichtungen, Bäder, Friedhöfe, Betsäle und Schulen. In einem langjährigen Projekt haben sich die Badische Landesbibliothek Karlsruhe und das Synagogue Memorial Jerusalem zusammengetan, alles zu versammeln.

Es ist ein opulentes und äußerst faktenreiches Buch geworden. Aber es zählt nicht nur alles penibel, wissenschaftlich und gut lesbar auf - von Aach bei Konstanz, wo der letzte Jude 1608 wegzog, weil der Schutzbrief bestimmte, dass sie "doch fürohin sich ihres Gesangs gänzlich enthalten" sollen, bis Zwingenberg, wo schon um 1880 kaum ein Minjan zustandekam (zehn männliche Juden, ohne die kein Gottesdienst stattfinden kann): Dieser Band ist ein unersetzliches Nachschlagewerk für die Forschung. In einem zweiten, mit knapp 400 Seiten etwas dünneren Band, beschreibt der Karlsruher Kunstgeschichtler Jürgen Krüger die Geschichte der Juden in Südwestdeutschland, vor allem im Hinblick auf die Architektur ihrer Synagogen. Seine Schwerpunkte liegen auf Worms und Speyer als mittelalterliche Beispiele, er streift den barocken Synagogenbau und die Karlsruher Weinbrenner-Synagoge, aber auch die sozial- und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen, nennt jüdische Architekten, erforscht die Musealisierung, die verschiedenen Stile wie den Neo-Orientalismus und die Beziehungen zwischen Kirchen und Synagogen. Abgeschlossen wird das Buch mit einem Überblick über die Synagogen nach dem Krieg, Restaurierungen, Neubauten, Umwidmungen, nennt alte Synagogen, die neue Gedenkstätten sind, wie in Michelbach oder Freudental. Auch dieser Band ist voller unerschöpflicher Details und auch gut lesbar, wie man es kaum von einem Kunstgeschichtler hätte erwarten können.

Zusammen ergeben die beiden Bände ein unverzichtbares Grundlagenwerk für alle, die sich mit der jüdischen Geschichte beschäftigen wollen.


Titelbild

Joachim Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus…". Synagogen in Baden-Württemberg. 2 Bände im Schuber.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2006.
982 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-10: 3806218439
ISBN-13: 9783806218435

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