Verlage setzen auf Bündnisse

Wie deutsche Publikumsverlage das Konkurrenzmedium Internet für eigene Zwecke einspannen

Von Mirja MartensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mirja Martens und Anna VietinghoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Vietinghoff

Ein Lotse geht von Bord. Dirk Moldenhauer hat Rowohlt verlassen, nachdem er den Traditionsverlag sechs Jahre lang sicher und erfolgreich als Hauptverantwortlicher durch die Weiten des World Wide Web navigiert hat. Nicht etwa, weil es für ihn im digitalen Marketing nichts mehr zu tun gäbe, im Gegenteil: Moldenhauer und seine Kollegin Ulrike Schwermann gründeten unlängst eine Agentur für die professionelle Online-Vermarktung des gedruckten Wortes. Eine Agentur, in der sich der Wunsch des modernen Lesers nach multimedialer Information über das Traditionsmedium Buch widerspiegelt. Doch wie hat der gute, alte Schmöker über das Internet einen Weg gefunden, sich zu behaupten? Wie schafft er es, in der elektronischen Welt nicht nur diejenigen zu erreichen, die er ohnedies gewonnen hat, sondern im Daten- und Dokumentenmeer auch neue Leserschichten zu finden?

"Die jüngeren Generationen gehen mit dem Internet ganz selbstverständlich als Informations- und Unterhaltungsmedium um. Und diese Generationen müssen wir als zukünftige beziehungsweise jetzige Käuferschichten im Netz abholen", beschreibt Sigurd Martin, Online-Marketing-Koordinator des S. Fischer Verlages, die Situation gegenüber literaturkritik.de. Er spricht von einem "Marketing-Nebenstandbein" des Frankfurter Publikumsverlages, einem Spielbein, das allerdings immer mehr an Bedeutung gewinne und dementsprechend gestärkt werden müsse. Obwohl nicht alle gerne darüber sprechen, folgt dieser Strategie mittlerweile jeder der führenden Publikumsverlage: In den neunziger Jahren schossen die Verlagshomepages wie Pilze aus dem Boden.

Dass die Sites etwas fürs Auge bieten, liegt in der Natur ihres Wesens. Doch deshalb müssen sie noch lange keine Augenweide sein. Der Suhrkamp Verlag zeigt, dass er weiß, worauf es ankommt: Bilder müssen zu sehen sein und Texte daneben stehen. Er zeigt aber auch, dass Bilder und Texte nicht immer ein harmonisches Ganzes ergeben. Anders sieht es bei Hoffmann & Campe aus, und auch bei Hanser. Nach dem Motto "Weniger ist mehr" haben der Hamburger und der Münchner Verlag Homepages mit schlichter Eleganz entworfen, die ein problemloses Handling und einen umfassenden Einblick in das Verlagsprogramm ermöglichen. Etwas mehr durfte es bei Fischer und Rowohlt sein. Visuelle Reize und modische Gestaltungsformen ziehen den Blick des Nutzers auf der Homepage an - und mit etwas Glück bahnt er sich seinen Weg durch das nicht immer ganz klar strukturierte Angebot.

Schließlich schlägt mit dem gezielten Blick auf eine Homepage die Stunde der Literatur. Die Verlage haben sich einiges einfallen lassen, um den potentiellen Käufern ihre Bücher nahe zu bringen. Die klassische Kurz-Inhaltsangabe, ergänzt durch einige schmeichelnde Zitate, kommt in ihrer Einfachheit fast ausschließlich noch im Suhrkamp-Verlag zum Einsatz. Hoffmann & Campe, Fischer, Rowohlt und Hanser hingegen sind sich einig, dass dem medienverwöhnten Leser von heute mehr geboten werden muss. So gehört neben der Inhaltsangabe auch die Kurzbiografie zum Marketing-Grundprogramm eines literarischen Werkes. Anzahl und Gestaltung der Extras zeigen, welche Werbepriorität das jeweilige Buch im Verlag hat.

"Das Internet ist eine ideale Plattform zur Literaturvermittlung, weil es diese multimedial ermöglicht. Mit Trailern, Hörproben, Büchern zum Blättern etc. in Kombination mit traditionellen Vermittlungswegen kann der Kunde umfassend informiert werden", weiß Sigurd Martin um die Möglichkeiten des Mediums Internet, die auch auf der Homepage der Fischerverlage vermehrt zum Einsatz kommen sollen.

Der Hanser Verlag versieht seine wichtigsten Neuerscheinungen mit "Specials", in denen neben Informationen über Autor und Werk unter anderem auch Interviews, Gespräche, Autorenporträts und Lesungstermine zu finden sind. Als akustisches Highlight bietet er zu mehr als einem Dutzend Büchern so genannte Podcasts an, über die der Nutzer unter anderem ein Autoreninterview hören kann.

Der Rowohlt Verlag versteht es besonders, die Besucher seiner Homepage zu fesseln. Über die aktuellsten Werke informiert jeden Monat das Online-Magazin "Bookmarks". Und auch das gedruckte Kundenmagazin "Rowohlt Revue" ist seit kurzem nicht mehr nur in der Buchhandlung zugänglich, sondern auch als elektronische Version verfügbar. Ein Trailer zum aktuellen Aushängeschild des Verlages rundet das Informationspaket rund um das Buch in Bild, Text und Ton ab.

Hut ab also vor den Verlagen, die den visuellen Maßstab hoch ansetzen und mit PR-journalistischen Mitteln ihre Bücher online vermarkten: Mit kleinen "Goodies" wie Leseproben können sie die Leser ködern, und auch der medienscheueste Autor wird seinem eigenen Lektor zu PR-Zwecken ein Interview gewähren. Mit dem Tempo und der Informationstiefe solcher Werbekampagnen muss der klassische Literaturjournalismus erst einmal mithalten. Doch er kann einen Vorzug in die Wagschale werfen: seine Glaubwürdigkeit. Er darf Kritik äußern, und nicht nur positive. Denn im Unterschied zu den Verlagen will er seine Meinung verkaufen, und keine Bücher.

Die Verlagshomepages bleiben hingegen trotz aller Parallelen zum Literaturjournalismus Marketing-Instrumente. Sie bewerben ihre Bücher und in nicht seltenen Fällen sich selbst. Sie bieten eine direkte Bestellmöglichkeit ihrer Titel und tragen damit einen wesentlichen Teil dazu bei, den Untergang des gedruckten Wortes zu vermeiden und das Phänomen Gutenberg-Galaxis lebendig zu erhalten. Verbündung mit der multimedialen Konkurrenz heißt die Devise, die dem klassischen gedruckten Buch seine Popularität auch in Zukunft bewahren will.

Neue Agenturen, die im Internet-Universum wie auf Umlaufbahnen um das Thema der Literaturvermittlung kreisen, tragen ihren Teil zum Fortbestehen der Gutenberg-Galaxis bei. Das Duo Moldenhauer/Schwermann zum Beispiel hält Dienstleistungen zum Internetmarketing für eine vielversprechende Geschäftsidee. Mit dem zusätzlichen Angebot des Einzeltitelmarketings wollen sie das Buch wie nie zuvor in den Mittelpunkt multimedialen Interesses rücken. Der Lotse Moldenhauer geht nicht etwa an Land, er besteigt vielmehr ein neues Schiff zu neuen Ufern und zeigt also, wohin die Reise gehen kann.