Weimarer Cross-Dressing

Charlotte von Steins Komödie "Neues Freiheits-System oder die Verschwörung gegen die Liebe"

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es klingt zunächst wie ein Lehrbuchbeispiel für ,Oxymoron': eine deutsche Komödie. Fast nichts, so scheint es, ist den Deutschen im Laufe ihrer (Kultur-)Geschichte derart suspekt gewesen wie das Lachen. Dies mag sich mittlerweile im Zuge der medialen ,McDonaldisierung' ändern, die aller Welt global vermarktbare Sitcoms beschert, bei denen das Gelächter zur Sicherheit gleich vom Band mitgeliefert wird und so dem Publikum als Indikator für Komik und als Handlungsanweisung zum Mitlachen dient.

Die Theaterlandschaft hingegen hat diese Form des nivellierten Humors noch nicht erreicht. Im Gegenteil - gerade das Theater scheint in Deutschland traditioneller Weise ein Ort der würdevollen Ernsthaftigkeit zu sein. Schillers Diktum vom Ernst des Lebens und der Heiterkeit der Kunst ist offenbar keinesfalls so zu deuten, als sei die Kunst - zumal die dramatische - etwas, bei dem man sich ,amüsieren' sollte: Anders als etwa in England, Frankreich und Italien vermochte sich in Deutschland während des 18. und 19. Jahrhunderts keine "dezidierte Lachkultur" (Gaby Pailer) herauszubilden, und wollte man die Komödien abzählen, die sich im Kanon der deutschen Literatur befinden, wäre eine Hand schon fast zuviel. Kleists "Der Zerbrochne Krug" führt diese Liste sicherlich unangefochten an, gefolgt von Lessings "Minna von Barnhelm" - gefolgt von ...?

Zu einer Zeit, als andere Nationen die Deutschen und mit ihnen diese sich selbst noch für "das Volk der Dichter und Denker" hielten, ging man zum Lachen anscheinend bestenfalls in den Keller, ganz sicher aber nicht ins Theater. Dass dieser Eindruck wenig mit der tatsächlichen Aufführungspraxis an deutschen Theatern zu tun hat und eher aus der (bewussten oder unbewussten) Kanonisierungspolitik späterer Generationen resultierte, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland waren die Publikumslieblinge ihrer Zeit und ihre Stücke wurden weitaus häufiger gespielt als die Ideendramen Goethes oder Schillers. Doch wer kennt außer den Namen der zumeist als trivial, oberflächlich, oder (horribile dictu!) ,populär' verschrienen Autoren auch deren Stücke? Selbst Germanistik-Studenten dürften Schwierigkeiten haben, zumindest ein Stück Kotzebues zu benennen.

Diesem Miss- oder zumindest Umstand abzuhelfen, ist das Ziel der Reihe "Theatertexte" des Hannoveraner Wehrhahn Verlags, die jene Theaterstücke einem breiten (Lese-)Publikum wieder zugänglich macht, die im 18. Jahrhundert erfolgreich auf deutschen Bühnen aufgeführt wurden. Darunter befinden sich auch überraschend viele Komödien: So etwa Friedericke Helene Ungers Posse "Der Mondkaiser" (1790), Friedrich Wilhelm Gotters Übersetzung von Benjamin Hoadlys "The Suspicious Husband" ("Der argwöhnische Ehemann", 1778) und August Wilhelm Ifflands "Der Komet" (1799). Mit Charlotte von Steins Luststpiel "Neues Freiheits-System oder die Verschwörung gegen die Liebe" wiederum gaben Linda Dietrick und Gaby Pailer nun unlängst einen Theatertext aus dem - wenigstens geografischen - Zentrum der deutschen Klassik heraus, der bislang nur in zwei editorisch stark veränderten Versionen verfügbar war. Dazu haben die beiden Herausgeberinnen die wahrscheinlich einzige erhaltene Handschrift des Stücks transkribiert und mit einem Kommentar, einem Variantenapparat sowie einem ebenso konzisen wie informativen Nachwort versehen.

Das von Stein selbst in einem Brief an Charlotte Schiller als "comedie" bezeichnete Stück entstand vermutlich zwischen 1798 und 1799, wurde jedoch erst 1874 uraufgeführt; es handelt von allerlei Liebesirrungen und -wirrungen, deren Drahtzieher der adelige Herr von Linné ist, der sich unter dem bürgerlichen Namen Daval auf sein Schloss Buchdorf zurückgezogen hat. Sein Lebensziel ist es, die Welt davor zu bewahren, den "Irrweg der Liebe" zu beschreiten. Daher setzt er alles daran, möglichst viele Liebesbeziehungen zu zerstören. Zu diesem Zwecke lockt der Anti-Amor auch zwei Schauspielerinnen, die auf die aparten Vornamen Luitgarde und Florine hören, in einen nahe gelegenen Badeort, von wo sein Freund und Helfer Avelos sie entführen und auf sein Schloss bringen soll. Aufgrund einer Verwechselung landen jedoch nicht die beiden Aktricen zunächst in Avelos Kutsche und später auf Davals Schloss, sondern die adeligen Cousinen Menonda und Theodore. An letzterem Ort bleiben sie jedoch nicht lange allein, da schließlich auch Luitgarde und Florine dort eintreffen, allerdings verkleidet als Harlekin und Scapin. Mittlerweile werden die entführten Cousinen von ihrem Onkel, dem Major Heribert, und seinem Sohn, dem Fähnrich Carl Monrose, vermisst; am besorgtesten scheint allerdings ihre Kammerzofe Susette, die sich als Monrose verkleidet selbst zum Schloss begibt.

Dort haben Menonda und Theodore in der Zwischenzeit von Daval gefälschte Briefe entdeckt, aus denen nicht nur hervorgeht, dass dieser Menondas Bruder ist, sondern auch, dass er aufgrund seiner fälscherischen Fertigkeiten für die Trennung von Menonda und ihrem Geliebten Avelos verantwortlich war. Wie jede gute Komödie, so endet auch diese natürlich glücklich: Avelos und Menonda finden wieder zueinander, Theodore und Monrose wird vom Major eine Verbindung in Aussicht gestellt, sobald sie nur alt genug seien, und selbst Daval wird geläutert und verliebt sich in Luitgarde.

Steins Stück mag vielleicht nicht zu den Meilensteinen der deutschen Literatur gehören, doch ist es zweifellos eine Trouvaille. Ob es wirklich zu der radikalen Revision des traditionellen Bildes der Frau von Stein als zunächst verständnisvolle und später schmollende "Goethe-Freundin" führen wird, wie die Herausgeberinnen hoffen, bleibt abzuwarten. In der ebenso ansprechenden wie erschwinglichen Ausgabe ihrer "comedie" wünscht man dem Stück jedoch nicht nur eine zahlreiche Leserschaft, sondern vor allem auch die Aufnahme in Theaterspielpläne.


Kein Bild

Charlotte von Stein: Neues Freiheits-System oder die Verschwörung gegen die Liebe. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.
Herausgegeben von Linda Dietrick und Gaby Pailer.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2006.
116 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3865250289

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch