Das Verhältnis von Magie und Wissenschaft

Karen Michels schreibt in ihrer Biografie "Im Bannkreis der Ideen" über den Gelehrten und Begründer der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Aby M. Warburg

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er gilt als einer der Begründer der modernen Kunstgeschichte, der, als großer Gegenspieler des schweizerischen Kunsthistorikers HeinrichWöfflin, entsprechend dem jüdischen Bilderverbot, "durch die Bilder hindurch sah". Aby M. Warburg ging es um die in den Bildern gebändigten Energien und die Kraftanstrengungen des Menschen, diese Energien für seine Zwecke nutzbar zu machen. Kunst als Erinnerungsarbeit, als Dokument kollektiver Erinnerungen, als Ausgleichs- und Rettungsversuch, der immer neu unternommen werden muss: "Athen will eben immer wieder neu aus Alexandrien zurückerobert sein". Athen aus Alexandria zu holen, den Denkraum der Besonnenheit zu schaffen, mit welchem europäisches Denken beginnt, in Athen und ein weiteres Mal in Florenz - das erkannte Warburg als Aufgabe der Wissenschaft.

Warburg hat sich selbst so beschrieben: "Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste ein Florentiner". Die habilitierte Kunsthistorikerin Karen Michels, die selbst viele Jahre am Warburg-Haus in Hamburg tätig war und durch Veröffentlichungen über Warburg und seinen Kreis hervorgetreten ist, legt jetzt ein Warburg-Porträt in ausgewählten Kapiteln vor, das genau die Atmosphäre beschreibt, in der der Universalgelehrte aufgewachsen ist, in der er lebte und wirkte. Baustein für Baustein fügt sich hier Warburgs "work in progress" zusammen, an allen Enden offen und damit entsprechenden Raum für Anknüpfungen und Weiterentwicklungen, aber auch für Abbrüche und Neuanfänge bietend.

Aby, der älteste Sohn der Bankiersfamilie Warburg, sollte eigentlich die Nachfolge in der väterlichen Bank antreten. Aber dazu hatte er ebenso wenig Lust wie zum Alternativvorschlag der Großmutter, Rabbi zu werden. Seit dem Besuch des Johanneums, des renommiertesten Gymnasiums Hamburgs, wollte er sich einzig und allein mit der Kultur der Antike beschäftigen. In Bonn studierte er Kunstgeschichte und Archäologie und wurde nachhaltig von den Auffassungen des Historikers Karl Lamprecht (Kunstwerke sollten als Dokumente betrachtet werden, die Informationen über die "Bildungsgeschichte der Menschheit" enthalten) und des Philologen Hermann Usener (Menschen entwickeln Mythen als Reaktion auf Phänomen, die sie nicht verstehen und die bei ihnen starke Affekte erzeugen) geprägt. Von Usener ist Warburg auch auf den italienischen Evolutionstheoretiker Tito Vignoli verwiesen worden, der von einem alle kulturellen Phänomene erklärenden "Universalgesetz" ausging. Warburg kam zu der Überzeugung, dass sich auch im Bild die Entstehung von Mythen und das irrationale Festhalten nachweisen ließe. Später sollte er über den "heidnischen Aberglauben" noch zu Luthers Zeiten, über astrologische Darstellungen in der Renaissancekunst und über antike Mythen im Werk Dürers seine Forschungen betreiben. Karen Michels macht aber auch deutlich, wie sich Warburg einerseits gegen das strenggläubige Elternhaus, andererseits gegen eine vorurteilsbelastete, nichtjüdische Umwelt hatte behaupten müssen und wie ihm gerade die wissenschaftliche Perspektive eine distanzierte Betrachtungsweise bot. Die Begegnung mit Florenz, mit der Kunst Italiens sollte dann das Leben Warburgs verändern. Hier fand er sein Dissertationsthema, Sandro Botticelli, und seine zukünftige Frau, Mary Hertz.

Warburg war ein hervorragender Kenner Botticellis und des ganzen Quattrocento. Er hatte mit seiner Dissertation über Botticellis Meisterwerke "Frühling" und die "Geburt der Venus" Furore gemacht. In Florenz wurde er zum Erforscher des Nachlebens der Antike und zum Entdecker der Affektgebärden, die er "Pathosformeln" nannte. Die besessene Suche nach der Aussagekraft des "bewegten Beiwerks" in Bildern, Skulpturen, Schriften und Fotografien bestimmte fortan seine Arbeit als Kunst- und Kulturhistoriker. So hat er auch die "Intermezzi", die 1589 anlässlich der Hochzeit des Großherzogs Ferdinand mit Christina von Lothringen am Hof der Medici aufgeführt wurden, umfassend untersucht und herausgefunden, dass sie ein altes Lieblingsthema der Antike veranschaulichen: die Harmonie des Weltalls, die durch Göttergestalten verkörpert wird.

In Arizona erlebte er das Zusammensein mit den Indianern wie eine aufregende Reise zurück zu den Anfängen der Zivilisation und konnte später zeigen, dass trotz aller Bemühungen der Aufklärung die menschliche Ratio immer wieder von Irrationalem bedroht, dass die Vernunft immer wieder durch einen Angstreflex gefährdet wird. Dazu kam seine Methodenvielfalt: Neben der Ikonologie, deren Meister und Erneuerer er war, dienten ihm die Geschichte, die Soziologie, psychologische und ökonomische Erkenntnisse zur Erhellung der Entstehung und Formgebung von Kunstwerken.

Viele seiner Erkenntnisse sind Fragment geblieben beziehungsweise seine Aufsehen erregenden Vorträge wurden von ihm nicht schriftlich fixiert. Warburg litt unter einer Schreibhemmung, die sich mit der Zeit noch verstärkte. Es war ihm einfach unmöglich, sich auf einen Gedanken, auf eine Formulierung festlegen zu müssen. Ein Motiv wurde von ihm im Zusammenhang seines künstlerischen Umfelds und seiner kulturellen Funktion gedeutet, und dabei fiel ein Licht auf die Geschichte im Ganzen und auf unsere Fähigkeit, sie zu verstehen. Jetzt trafen die visuellen Eindrücke und die allgemeinen Ideen, die Warburg vorher nicht zusammenzubringen vermochte, in einzelnen Synthesen zusammen. Mitunter wurden die Assoziationsketten der Motive bei Warburg bis zum Zerreißen gespannt - bis sie dann wirklich gesprengt wurden, und die Bedeutungswandel vollzogen sich so schnell, dass sie außer Kontrolle gerieten. "Stets aber ging es Warburg darum, jedes Bild als Metapher für ein seelisches Erlebnis zu deuten, und das ist es auch, was seinen Schriften jenen hintergründigen Charakter verleiht", schreibt Ernst H. Gombrich, der Verfasser der 1970 erschienenen "intellektuellen Biographie" Warburgs, die bis heute das unübertroffene Standardwerk geblieben ist. Jedes Bild der Vergangenheit würde einem seelischen Zustand entsprechen, der in der Kunst bewahrt und weitergegeben wurde.

Mit 13 Jahren soll Warburg sein Erstgeburtsrecht, Direktor der Warburg-Bank zu werden, gegen die Finanzierung einer Privatbibliothek an seinen Bruder Max verkauft haben. So führte ihn sein Lebensweg von der Privatbank zur Privatbibliothek ungewöhnlichen Umfangs für seine fächerübergreifenden wissenschaftlichen Spekulationen, einem riesigen Speicher für Informationen aus verschiedensten Wissensgebieten. Sein Ziel war es, die Bibliothek in ein lebendiges Forschungszentrum, ein "allmählich institutsmäßig arbeitendes Laboratorium" zu verwandeln. Der junge Wiener Kunsthistoriker Fritz Saxl wurde Warburgs wichtigster Mitarbeiter und nach Warburgs Tod ständiger Leiter der Bibliothek. Dass sich Warburg das unabhängige Dasein als Privatgelehrter bewahrte und nicht an eine Universitätskarriere dachte, wird von Karen Michels als glückliche Entscheidung angesehen. "Die 'marginale' Position erleichtert stets den Blick über den eigenen Tellerrand - was das bemerkenswert breite Spektrum der Warburg'schen Methode ja hinreichend beweist".

Die Bedrohung jedoch, die der Vernunft und der Reflexion aus Furcht und primitiver Magie erwächst, war in den Jahren des Ersten Weltkrieges auch Warburgs persönliches Problem. Stimmungsschwankungen und Ängste potenzierten sich, je weiter der Krieg fortschritt. Sechs Jahre musste sich Warburg einer psychiatrischen Behandlung in verschiedenen Kliniken und Sanatorien unterziehen. In der Zwischenzeit wurde der Warburg'sche Bücherbestand in Hamburg einer akademischen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und in der Villa des Bibliotheksgründers eine rege Vortrags- und Publikationstätigkeit veranstaltet. 1926 konnte Warburg noch sein neues Bibliotheksgebäude einweihen, er hielt kunstgeschichtliche Seminare für die Universität Hamburg und plante einen mehrbändigen Bilderatlas "Mnemosyne" als neues Arbeitsmittel, das aber nicht über Fragmente hinauskam. Die vom Bankhaus Warburg finanzierte Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, die sich inzwischen als geistiges Zentrum interdisziplinär angelegter Kulturwissenschaft weithin einen Ruf erworben hatte, musste mit ihren acht jüdischen Mitarbeitern 1933 - vier Jahre nach dem Tod Warburgs - aus Hamburg nach London emigrieren, wo sie 1944 an die Universität angeschlossen wurde. Die geistigen Erben Warburgs setzten dessen Methode, die Ikonologie, die heute aus der modernen Kunstgeschichte nicht mehr wegzudenken ist, durch. Sie systematisierten sie und machten sie erst so richtig benutzbar.

Aufschlussreich sind auch die dieser höchst anschaulich informierenden Biografie vorangestellten Bemerkungen des emeritierten Hamburger Kunsthistorikers Martin Warnke, Mitherausgeber der Studienausgabe von Aby Warburgs gesammelten Schriften, der der fruchtbaren Verbindung zwischen der Warburg-Bibliothek und der Warburg-Bank nachgeht. Die Warburg'sche Forschung, ihre Universalität, die Überschreitung der Fachgrenzen wird in Analogie gesetzt zum ebenfalls universal angelegten kapitalistischen Strukturprinzip.


Titelbild

Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
128 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783406558856

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch