Unterhaltsame Spöttereien
Dieter Hildebrandt will "Nie wieder achtzig!" sein
Von Erhard Jöst
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEr kann es einfach. Er verstand es stets und versteht es immer noch: Beste satirische Unterhaltung zu bieten. Er begreift das Kabarett als "eine moralische Instanz und immer noch eine Demokratiebewahranstalt". Sein Name ist für viele zum Inbegriff des Kabarettisten geworden: Dieter Hildebrandt. Die Stotterspötterei wurde zu seinem Markenzeichen. Auf der Bühne agiert er als Meister der Improvisation, der scheinbar stets mit den Worten zu kämpfen hat, andauernd Versprecher absondert und Sätze abbricht. Freilich erst dann, wenn die Zuhörer auf die richtige Fährte zur Pointe gebracht worden sind. Und so wie er vorträgt, so schreibt er auch: Schlagfertig, witzig und assoziativ.
Als Schriftsteller hat er klein angefangen: Seine ersten Büchlein "Spaß ist machbar" und "Stein oder nicht Stein", beide 1977 mit knallrotem Cover im Freiburger Hyperion-Verlag erschienen, maßen gerade neun mal sechs cm. Wenig Beachtung fand Hildebrandts Buch "...über die Bundesliga", aber mit seiner 1986 erschienenen Autobiografie "Was bleibt mir übrig" landete er einen Beststeller. Es sollte nicht der einzige bleiben: Es folgten die Bücher "Denkzettel" (1992), "Gedächtnis auf Rädern" (1997), "Vater unser - gleich nach der Werbung" (2001) und "Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer" (2004), um nur diejenigen aufzuzählen, die im Karl Blessing Verlag (und danach als Goldmann-Taschenbücher) mit hohen Auflagen erschienen sind. Im Nachwort zu dem Büchlein "Stein oder nicht Stein" schrieb Heinz Hartwig, Mitglied des Nachkriegskabaretts "Die Hinterbliebenen": "Sagen wir also, er ist ein Zeitkritiker, ein unvölkischer Beobachter, auf jeden Fall ein Gegen-den-Strom-Schwimmer. Schauspieler und Lästermaul. Staatsquengler. Dem Habitus nach ein fröhlicher Spötter, der Form nach ein Satiriker."
Da Dieter Hildebrandt sich treu geblieben ist, trifft diese Beschreibung auch heute noch zu. Er demonstriert diese Kunst, geistreich Spott auszugießen, mit seinem neuen Buch "Nie wieder achtzig!". Mit dem Altern beschäftigte er sich bereits in seinen früheren Büchern, doch nun durchzieht dieses Thema seine Ausführungen, "schon deswegen, weil ich gemerkt habe, dass das Altern Zukunft hat". "Die Gesamt-Aging-Bewegung mit den Untergruppen Best-Ager, New-Ager, Bad-Ager, aber auch Fast-Ager, Long-Ager und Old-Ager teilt sich wiederum in zwei große Gruppen, nämlich die West-Ager und die Ost-Ager. Und die sollen, zur großen Empörung der West-Ager, angeblich höhere Renten und Pensionen beziehen. Für die Aging-Konzerne existiert diese Einteilung aber nicht. Die unterscheiden insgeheim nur zwischen zwei Agern, den In-Agern und den Out-Agern. Out-Ager sind in den meisten Fällen Home-Ager. Oder auch Heim-Ager. Sie sitzen vor ihren PCs und spielen!"
Mit gutem Gespür ermittelt Hildebrandt die Komik des Alltags: "Leser meiner früheren Bücher wissen, dass ich leichtsinnigerweise meine Unarten und Gebrechen offengelegt habe. Zuerst war es das Bekenntnis, dass mein ganzes Haus voller Zettel ist, und im darauffolgenden, dass ich Brillen brauche, um die Zettel lesen zu können, und weil ich überall Zettel habe, auch überall Brillen brauche, und warum ich das alles brauche, schrieb ich ein paar Jahre danach, weil ich alles vergesse, was ich aufgeschrieben habe, sodass ich also Zettel brauche, auf denen ich ablesen kann, wo ich die Zettel hingelegt habe, auf denen zu lesen ist, wo die Zettel sind, auf denen steht, was ich mir merken soll, was aber nur geht, wenn ich die drei Lesebrillen, deren Liegeplatz auf einem Zettel notiert ist, wieder finde, was alles aber hervorragend und theoretisch perfekt auf einem Plan in meinem Arbeitszimmer notiert ist, aber nicht in meinem Gedächtnis, das offenbar, wie Atomkraftwerke, ein höchst sensibles Alarmsystem eingebaut hat und das bei der kleinsten Irritation sofort den Haupthebel umlegt, und alles im Gedächtnis ist finster."
Hildebrandt nimmt die Schlagzeilen der Boulevard-Presse auseinander, kommentiert satirisch Skandale und Affären, präsentiert witzige Wort- und Gedankenspiele. Zugegeben, so manche Erkenntnis, die er von sich gibt, ist nicht neu, beispielsweise die, dass Junge und Alte nicht zusammenpassen. Aber er verpackt seine Thesen stets in amüsanten Geschichten und Erlebnissen. In den insgesamt 49 Abschnitten spricht er wie in einem Nummernkabarett wahllos beliebige Themen und Erlebnisse an. Darin besteht - je nachdem, wie man es sehen will - einerseits die Stärke, andererseits aber auch die Schwäche des Autors: Er gibt zahlreiche Denkanstöße und Lachanreize, ruft Vergangenes in Erinnerung und mokiert sich über die Unfähigkeiten, mit denen sich mancher Spitzenpolitiker blamiert hat. Der Leser, der geistreiche Spöttereien liebt, wird das Buch "Nie mehr achtzig!" also mit Vergnügen lesen. Allerdings bietet Hildebrandt zu selten mehr als nur amüsante Unterhaltung, und da so viele Themen angesprochen werden, kann man ein heterogenes Sammelsurium, aber keine Konzeption erkennen. Vielleicht lässt sich der humoristische Plauderton auf Altersmilde oder Altersweisheit zurückführen - obwohl Hildebrandt behauptet, dass es die nach seiner Erkenntnis gar nicht gibt: "Ich habe mit einigem Entsetzen festgestellt, dass auch die Weisheit im Alter nicht nachwächst. Das hat man mir, als ich noch jünger war, immer wieder vorgelogen."
Die Nachfolgekämpfe in der bayerischen CSU sind für den in München wohnenden Kabarettisten natürlich ein gefundenes Fressen für weitere Spöttereien. Aber nicht nur CDU/CSU, sondern auch die SPD bekommt genügend Fett ab. Dann ist dem Autor wohl aufgefallen, dass - allein schon wegen der politischen Ausgewogenheit - auch die Grünen nicht fehlen dürfen. Daher hat er unter der Überschrift "Grüner werden sie nicht mehr!" einen zwölf Zeilen umfassenden Absatz hinzugefügt. Darin steht nicht viel - was kann man in zwölf Zeilen schon über die Grünen sagen? Oder wollte Hildebrandt mit dieser Passage lediglich zum Ausdruck bringen: Mehr als zwölf Zeilen sind die Grünen nicht (mehr) wert?
Substanzieller ist der satirische Angriff auf den Bundeswanzenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgefallen, der über "seinen Durchlauscht, den Bürger" alles wissen möchte, damit er "eines Tages auch die passende Straftat für ihn finden" kann. Hildebrandt erfindet auch gleich die passende Steigerungsmöglichkeit für Sicherheitspolitiker: "Schill - Schilly - Schäuble".
Ab und zu kann sogar ein netter Humorist böse und zynisch werden. Bei Hildebrandt ist dies immer dann der Fall, wenn er auf Machenschaften von Juristen zu sprechen kommt. Der spektakuläre Meininger "Hexenprozess" gegen den Frauenarzt Dr. Horst Theißen, die devote Unterwürfigkeit der Richter dem betrügerischen Ex-Staatssekretär Pfahls gegenüber, oder auch die skandalösen Arrangements der "Deal-Justiz" machen ihn wütend - und wenn er wütend ist, dann läuft er zu Hochform auf. Dann werden seine Ausführungen beißend, sarkastisch und zynisch. Der Kabarett-Text "Der mündige Bürger", den er zusammen mit Gerhard Polt und den Biermösl Blosn "auf wackligen Bretterbühnen mitten auf Wiesen und tief in Wackersdorfer Wäldern" vorgetragen hat, befasst sich mit dem Streit um das geplante Atomkraftwerk Wackersdorf. Er enthält ebenfalls Invektiven gegen reaktionäre Richter: "Wir müssen unseren Richtern danken. Sie sind absolut unbestechlich. Manchmal denke ich, dass unsere Richter sich nicht auf normalem Wege fortpflanzen. Sie werden irgendwo heimlich in alten Ersatzteillagern zusammengesetzt. Und so entstehen lauter Justiz-Oldies. Modell '32. Nur zum Rechtsabbiegen geeignet. Man begegnet ihnen immer wieder. Und man erkennt sie leicht. Manche haben so einen Ritsch in der Wange. Oder einen Ratsch. Sie sagen ,Schmiss'. Und sie sagen, das bedeute für sie einen Lebensabschnitt. Ich betrachte es eher als eine Art Hühnermarke, damit man erkennt, in welchem Stall der alte Herr seine Eier abgelegt hat."
Es waren solche scharfzüngigen Texte, wegen denen ein von der CDU dominierter Stadtrat 1979 in Bad Mergentheim gegen Dieter Hildebrandt ein Auftrittsverbot in der Aula der städtischen Volkshochschule verhängte. Begründung: Man dürfe "die Jugend, die dort zur Schule geht, nicht vergessen. Wenn sie zu früh an parteipolitische Auseinandersetzungen herangeführt wird, könnte die Neutralität, die Jugendliche noch haben, ungünstig beeinflusst werden." Der CDU-Landtagsabgeordnete meldete sich damals ebenfalls zu Wort und bezeichnete Hildebrandt als "einen Hofsänger einer Partei", den die Stadtverwaltung "nicht subventionieren" müsse. Der örtliche Apotheker schoss den Vogel ab, denn er veröffentlichte folgenden Leserbrief: "Wir lassen uns von (den Veranstaltern) weder ihre ,Kultur' noch ihre 'Kultur'träger aufnötigen! Die vom Fernsehen abgehalfterte Wühlmaus Hildebrandt als einen der besten Kabarettisten, den Deutschland jemals hervorgebracht hat, zu bezeichnen, halte ich für stark übertrieben; aber alles, was aus dieser Ecke kommt, wird von den eigenen Genossen und den entsprechenden Medien hochgejubelt, bis sie am Schluss tatsächlich selbst daran glauben, große Denker und Dichter in ihren Reihen zu haben. Ich lebe lieber in einem 'schwarzen, muffigen' als in einem 'roten' Mergentheim. Hören Sie endlich mit Ihrem Stänkern auf! [...] Sollte wider Erwarten keine Erwiderung kommen, so darf ich annehmen, dass sich die Herren mein Schreiben zu Herzen genommen haben. Wenn jedoch eine geballte Ladung von links und linksaußen auf mich abgefeuert werden sollte, so bin ich als Mitglied des von Ihnen belächelten Historischen Schützencorps in der Lage, mit einer echten Kanone zurückzuschießen. Damit blasen wir Ihr Strohfeuerchen schon aus."
In dieser angespannten Situation, in der die Veranstalter per Anzeige sarkastisch nach "schusssicheren Westen" suchten, erbarmte sich schließlich der evangelische Pfarrer und stellte seinen Gemeindesaal für die Kabarettveranstaltung zur Verfügung. Er wurde später strafversetzt. Realsatiren übertreffen manchmal noch das Kabarett. Im Rückblick auf solche Possen versteht man, dass Hildebrandts satirische Fernsehsendung im ZDF damals zu Recht "Notizen aus der Provinz" hieß.
Natürlich übergießt Hildebrandt in seinem neuen Buch auch Parteien und ihre Spitzenpolitiker gerne mit eloquenter Häme, wenn diese mal wieder unsinnige Sprüche von sich gegeben haben. Einer der besten Stoff-Lieferanten war ein Ex-Kanzler, weshalb er ihm allein ein Kapitel "Wg. Kohl" gewidmet hat. In diesem Zusammenhang bringt er dann auch einen seiner besten Kabarett-Texte ein, den er Helmut Kohl in den Mund legt: Eine Rede, in die Zeilen des Gedichts "An den Mond" von Matthias Claudius eingeschoben sind.
Hildebrandt lamentiert darüber, dass die Bundestagsabgeordneten heute die Kunst der Rhetorik nicht mehr beherrschen und erinnert an die wuchtigen Redebeiträge eines Herbert Wehner oder Fritz Erler. Aber sitzt der Autor hier nicht auch ein wenig einer altersbedingten Verklärung auf?
Witzig setzt sich Hildebrandt mit den Versprechern der Sport-Journalisten auseinander und fragt sich, wie die Sportler bei Radrennen "Löcher zufahren" können. Oder er denkt über die geradezu philosophischen Äußerungen nach, die Fußballer in Interviews von sich geben. Des Öfteren muss man solche Aussagen nur sammeln und präsentieren, denn sie sprechen für sich wie etwa diejenige, die "der Manager von Leverkusen nach einem grässlichen Spiel" gemacht hat: "Hier wird der Fußball mit Füßen getreten."
Originell sind die Passagen, in denen Hildebrandt Wortspielereien betreibt oder Sprichwörter erklärt, beispielsweise die neue Bedeutung von "Bei Ihnen piept's wohl" im Handy-Zeitalter. Dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) legt er die passenden Worte in den Mund: "Ich weiß noch nicht, was ich alles wissen werde. Aber wenn ich weiß, was ich alles noch nicht gewusst haben darf, weiß ich auch, was ich wissen muss, wenn ich gefragt werde, was ich alles gewusst habe, als noch keiner wissen wollte, was ich alles gar nicht wissen konnte. Kurz: Ich weiß von nichts. Das weiß doch jeder." Also: Wer wissen möchte, was Dieter Hildebrandt alles weiß, was er mit 80 alles noch wissen kann, der lese sein neues Buch. Übrigens: Ein dickes Lob für Dieter Hanitzsch, der Hildebrandts Buch mit kongenialen Karikaturen bereichert hat.
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