Das große Fressen

Clemens Bergers Roman "Die Wettesser" handelt vom Hot-Dog-Verschlingen

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Vierte Juli [...] war ein schöner Tag in New York." Mit dieser Feststellung lässt Clemens Berger das erste und auch das letzte Kapitel seines neuen Romans "Die Wettesser" beginnen. Für ein Jahr, vom 4. Juli 2000 bis zum 4. Juli 2001 wirft er uns in das Leben von vier prominenten Wettessern und einer ebenso großen Gruppe junger Veganer, die der öffentlichen Völlerei mit einem Fanal ein Ende setzen wollen. Ausgangspunkt des Romans ist das traditionelle Hot-Dog-Wettessen, das seit 1916 vor Nathan's Restaurant in New York stattfindet. Diese "Königsdisziplin des Wettessens" feiert nicht nur alljährlich eine begeisterte Menge vor dem Lokal, jedes Mal sitzen weltweit mehr als 10 Millionen Menschen an den TV-Bildschirmen, um mitzuerleben, wer den "Yellow Mustard Belt" erringen wird. Hatten bis in die Mitte der 1990er stets die amerikanischen "Sportler" die Nase bei der Fresserei vorn, trat dann jedoch eine traumatische Wende ein: Nicht mehr die schwitzenden Fettwänste wie Ed Krachie und Charles Hardy, sondern schlanke, durchtrainierte Japaner wie Kazutoyo Arai und Takeru Kobayashi brechen seither einen Rekord nach dem anderen und lehren die amerikanische Konkurrenz - ausgerechnet am Unabhängigkeitstag - das Fürchten. (Der aktuelle Weltrekord Kobayashis von 2006 liegt übrigens bei 53 1/4 Hotdogs in zwölf Minuten).

Das Wettess-Szenario und seine Figuren sind keineswegs Produkte einer besonders pervertierten schriftstellerischen Fantasie. Berger greift reale Wettkämpfe, Personen und Turniere auf, und gerade besonders absurd erscheinende Episoden des Romans, wie das Wettessen mit einem Affen oder die "Hot Dog Man" schreienden japanischen Fans am Flughafen entspringen durchaus dem wirklichen Leben. Schließlich sind wöchentliche Wettessen in Japan mindestens so beliebt wie hierzulande "Wer wird Millionär" Die IFOCE, der Dachverband des Wettessens, verlangt allen Ernstes, dass die "älteste Sportart des Menschen" endlich auch olympisch werde.

Drei Kilo Kohl in neun Minuten, 57 Rinderhirne in fünfzehn Minuten, zwei Kilo Shrimps in zwölf Minuten - vor nichts macht die ekelerregende Schlingerei halt, an der Berger uns hautnah teilhaben lässt, spiegelt sich doch darin die schier unendliche Konkurrenz wider, die den Kapitalismus ausmacht und auch vor scheinbar Privatem wie Essen, Liebe und Sexualität nicht halt macht. So sind denn die Wettesser entfremdete Gestalten, unfähig in ihren Beziehungen zu anderen, exhibitionistisch in ihrer Sucht nach Ruhm und unersättlich in ihrer Gier nach Geld und Anerkennung. Doch auch ihre Gegenspieler, die vier jungen Veganer, die, angewidert von Massentierhaltung und Völlerei, ein bewusstes Leben ohne jegliche Tierprodukte propagieren, sind nicht weniger entfremdet. Das Gutmenschentum der weißen Mittelstands-Kids wirkt bei näherer Betrachtung allzu selbstgerecht und aufgesetzt.

Größere Sympathien kann man beim Lesen weder für die eine noch für die andere Gruppe entwickeln, auch wenn Berger sich bemüht, seine Protagonisten nicht nur schwarz und weiß zu zeichnen. So wandelt sich etwa Charles Hardy vom Rassisten zum gläubigen Christen und sucht die Freundschaft zum Erzrivalen Kobayashi, während einige der Veganer wiederum von naiv-freundlichen Gutmenschen zu gewaltbereiten Fanatikern mutieren. Den Bemühungen des Autors zum Trotz bleiben die Figuren, allen voran die Veganer, dennoch ausgesprochen blass. Ihre seelischen Probleme und Entwicklungen wirken holzschnittartig überzogen, obwohl hier und da durchaus das große erzählerische Potential Bergers aufblitzt.

Dass er dieses hat, lässt auch die wohlstrukturierte Komposition des Romans erkennen, wobei er allerdings - und das ist nicht leicht verzeihlich - ausgerechnet den spannungsreichsten Erzählstrang am Ende ins Leere laufen lässt. Und gerade dieses Gefühl der Leere ist es, dessen sich der Leser letztendlich nicht erwehren kann, wenn sich ihm nach 180 Seiten immer noch die Frage stellt, was der Autor mit dem Roman wohl bezweckt haben mag. Egal ob Berger tatsächlich die Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche anprangern, Ewig-Menschliches darstellen, bigotten Weltverbesserern die Maske herunterreißen oder einfach nur unterhalten will - wofür auch immer er sich entschieden hat, es fehlt an konsequenter Umsetzung. So ist der Roman leider, bei aller sprachlichen Güte und interessanten Ansätzen, in seiner Realisierung "weder Fisch noch Fleisch" geworden.

Doch nicht nur die Story ist eher enttäuschend. Einige orthografische und inhaltliche Patzer lassen einmal mehr die Frage aufkommen, welche Wertigkeit Verlage heutzutage noch einem professionellen Lektorat beimessen. Denn eigentlich hätte es dabei durchaus auffallen können, dass Bonbonnieren wohl kaum in Handtaschen (!) passen, es in den USA so etwas wie einen Dispositionskredit nicht gibt und man in der Business Class nicht aus Pappbechern trinkt.


Titelbild

Clemens Berger (Hg.): Die Wettesser. Roman.
Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2007.
184 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783708232195

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