Alles klappt irgendwie - oder auch nicht

Laura de Weck porträtiert in "Lieblingsmenschen" verzweifelnde Studierende

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anna und Phillip sind schon seit sechs Jahren ein Paar. Das ist schockierend. Erklären, warum es funktioniert, kann die Philosophiestudentin aber nicht: "Wir lieben uns irgendwie", meint sie, und Schulfreundin Jule fragt lauernd: "Aber ab und zu gibt's Streit?" Was Anna nicht bestätigen kann: "Nein, ich liebe ihn." Das findet Darius "cool". Er und Jule sind nämlich nicht mehr zusammen. Warum eigentlich nicht? Das können sie auch nicht erklären.

Überhaupt können die fünf Studierenden Jule, Lili, Darius, Anna und Sven (von dem sechsten, Philipp, wird immer nur geredet; er selbst muss als Medizinstudent zuviel lernen, um persönlich aufzutreten) in Wecks Theaterstück ziemlich wenig erklären.

Lili zum Beispiel studiert Psychologie, weswegen Sven glaubt, sie wolle kein Drumherumgerede, sondern "gleich ins Bett, oder wie?" Dabei würde sie nur ganz gerne einmal von einem Mann "verführt" werden. Sven: "Aber wie?" Lili: "Weiss nicht." Sven: "Wie ein Gentleman?" Lili: "Ne anders." Sven: "Wie dann?" Lili: "Weiss nicht." So wird das natürlich nie etwas und die Szene endet, wie sie enden muss. Sven: "Ich würde dich gern verführn." Lili: "Danke." Sven: "Soll ich es versuchen?" Lili: "Nein."

Stattdessen versucht Lili, den gerade durch sein Jura-Examen gerasselten Darius zu verführen: "Du siehst gut aus." Darius: "Warum?" Lili: "Einfach. Weil es so ist." Darius: "Was denn?" Lili: "Du." Darius: "Was sieht denn gut aus?" Lili: "Du." Darius: "Ja, aber was an mir sieht gut aus?" So nimmt man keine Komplimente entgegen. Auch dieser Dialog kann nur schief gehen. Vielleicht liegt es daran, dass Lili ihren Verführungsversuch erst startet, nachdem beide miteinander geschlafen haben, gewissermaßen als nachträglichen Beglaubigungsversuch. Das klappt natürlich nicht, die beiden ätzen sich an. Aus dieser Situation rettet Lili nicht einmal die Lüge, dass Darius sie "verführt" habe. Der streitet dies nämlich völlig zu Recht ab: "Du hast dich verführen lassen wollen (...), ich musste gar nichts mehr tun."

Sven probiert die Gentleman-Nummer dann einmal bei der Schauspielschülerin Jule aus (zeitgemäß per SMS natürlich: "HAB DIE KARTEN SCHON GEKAUFT, SCHÖNE FRAU, LADE DICH AUCH EIN, HOCHERGEBEN, SVEN"). Jule ist genervt, dass Sven ein Langweiler ist, aber sie lässt ihn trotzdem einmal heran. Den Orgasmus spielt sie ihm vor, "aber es war trotzdem wirklich, wirklich schön." Immerhin hatte er sie nicht gefragt: "War ich gut?", sondern: "Bist du gekommen?" Soweit geht die Selbstverleugnung heute aber nicht mehr, dass frau dann ein "Ja" lügen würde.

Man liest und sieht schon: Wecks Stück, das im März 2007 an den Theatern von Mannheim und Basel uraufgeführt wurde und noch oft nachgespielt werden wird, ist eine Mischung aus Schnitzlers "Reigen" und Yasmina Rezas Konversationsstücken. Das sind keine schlechten Referenzen. Und man muss sagen: So viel Witz war schon lang nicht mehr.

Es gibt in der siebten Szene einen kleinen Streit zwischen Anna, Jule und Lili darüber, wie eigentlich der Plural von "Penis" lautet. Nur Anna, die noch nie "zwei Penisse auf ein Mal gesehen" hat, benutzt als Einzige immerhin den deutschen Plural richtig; allerdings in einer Replik, in der sie auf die Frage: "Also Anna, was ist die Mehrzahl von Penis?", zuerst antwortet: "Ich weiss nicht." Der vorhergehende Disput der Studentinnen ist vermutlich für alle Leserinnen und Leser ziemlich spaßig; noch spaßiger ist er allerdings, wenn man Latein und Griechisch gelernt hat. Das ist eben große Komik, also mit doppelter Adressierung.

Übrigens nannte die Autorin ihr Stück nicht "Komödie". Mit gutem Grund. Der Witz wird im Verlauf des Stücks immer bitterer. Die Beteiligten sagen sich auch schon einmal ziemlich heftige Dinge. Sven: "Du sagst mir einfach so, dass ich hässlich bin?" Darius: "Wenn du mich fragst." Im Grunde wird das Stück immer trauriger. Prüfungen scheitern. Lebenspläne scheitern.

Sogar die Beziehung von Anna und Phillip scheitert. So wenig sie erklären konnte, warum sie mit Phillip zusammen ist, so wenig kann Anna erklären, warum sie sich von Phillip getrennt hat. "Jetzt geht's eben nicht mehr." Phillip hat sie weder "betrogen", noch hat sich Anna anderweitig "verliebt". Das finden die Freundinnen Jule und Lili einfach nur "krass". Anna: "Was ist denn los mit euch? Ich hab doch einfach nur mit meinem Freund Schluss gemacht, das macht ihr doch die ganze Zeit." Die Freundinnen aber haben plötzlich ihr Herz für Phillip entdeckt und finden es ganz unmöglich, dass Anna ihren Freund nach sechs Jahren, eine Woche vor den Prüfungen, zum Teufel schickt (abermals per SMS natürlich).

Phillip reist übrigens wirklich ab. Endgültig. Nie aufgetreten und am Ende tot. Anna kann auch das nicht erklären: "Vielleicht wollte er noch ein Experiment mit sich durchführen. Vielleicht wollte er seinen Körper der Medizin hinterlassen. Vielleicht, ich weiss es nicht." Phillip war jedenfalls "anders" als die anderen Figuren des Stücks. Er hat "viel erlebt", aber "nie etwas darüber erzählt." Die Anderen "erleben, um zu erzählen." In einem Konversationsstück war deshalb auch kein Platz für Phillip, denn er "hatte einfach keine Lust, mit euch herumzusitzen" und irgendwas zu reden. Anders als Jule, Lili, Darius, Anna und Sven nahm Phillip das Leben offenbar ernst (ohne darum ein Spaßverleugner zu sein, ist er doch der Einzige, der "tanzt" und "macht, was er will") - und brachte sich deshalb um.

Kann man das verstehen? Wecks Stück lässt am Ende dergleichen Fragen offen. Besonders witzig - oder sollte ich lieber sagen: gewitzt? - ist die metaliterarische Bemerkung der Studentin Anna im letzten Bild: "Das Schöne ist eben zu schwach. Das habe ich doch schon rausgefunden. Theoretisch." Das bezieht sich natürlich auf das erste Bild des Stücks, wo Anna versucht, Jule den Kerngedanken der "Ästhetik" von Karl Rosenkranz zu erklären. Rosenkranz wird in dieser Szene als Nachfolger Hegels ,dialektisch' markiert und folgendermaßen referiert: Schön sei nur, was wahr ist. "Und wahr ist es aber nur dann, wenn man ihm die Gefahr der Vernichtung ansieht, verstehst du."

Jule ist das "zu kompliziert" (schließlich ist sie ja nicht Philosophin, sondern "nur" Schauspielschülerin). Die Autorin ist aber nicht nur Schauspiel(schül)erin, sondern auch literarisch versiert. Und so weiß sie, dass sich zur Schönheit des Witzes und der spielerischen Leichtigkeit auch die hässliche Fratze des Scheiterns und der Vernichtung gesellen muss, damit aus dem Text ein wahres Stück wird. Die Mischung ist ihr hervorragend gelungen, das vermittelt sich schon den Lesern. Aber noch mehr verlangt das Stück nach der theatralischen Umsetzung; danach, im Theater erlebt zu werden.


Titelbild

Laura de Weck: Lieblingsmenschen. Ein Stück.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
66 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066289

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