Von der guten Repräsentation

Edward Casey vergleicht Darstellungsformen in Landschaftsmalerei und Kartografie

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der US-amerikanische Philosoph Edward S. Casey ist im deutschsprachigen Kontext bislang noch ein Geheimtipp. Seit vielen Jahren befasst er sich mit dem Thema der Räumlichkeit. Mit seiner Monografie "Getting Back Into Place" von 1993 hat er den Grundstock zu einer Reihe von Untersuchungen gelegt, in denen er Ansätze der Raumbeschreibung stets mit dem Konzept des Ortes konfrontiert. Dazu gehört auch eine Theoriegeschichte des Ortes, "The Fate of Place" von 1997, die zu den besten begriffsgeschichtlichen Arbeiten zum Thema zählt. Casey steht in einer phänomenologisch-existenzialistischen Tradition, welche den konkreten und "gelebtem" Ortschaften den Vorzug gibt gegenüber dem abstrakten, homogenen Raum.

In seinem Buch über Landschaftsmalerei und Kartografie ("Representing Place: Landscape Painting and Maps") von 2002, das nun in deutscher Übersetzung im Fink Verlag vorliegt, kommt diese Präferenz ebenfalls zum Tragen. Dass man sich für diese Studie entschieden hat, verdankt sich einerseits der Ausrichtung der Reihe "Bild und Text", in der innovative Arbeiten zur Kunstgeschichte und aus den Bildwissenschaften veröffentlicht werden, andererseits dem Fehlen einer Arbeit zu diesem übergreifenden Thema: Zwar gibt es bereits einige Studien zur Landschaftsmalerei, und auch Karten wurden in jüngerer Zeit in vor allem historischen Bänden erschlossen. Aber Casey wendet sich dem Bildmaterial aus einem systematischen Interesse zu: Er will zeigen, dass die augenscheinliche Differenz zwischen Landschaftsmalerei und Kartografie von geringerem Gewicht ist als diejenige, welche die Bilder beider Gruppen in zwei Weisen des Darstellens unterscheidet: Eine Darstellungsform, die nämlich am Raum, und eine, die am Ort interessiert ist.

Mit Gaston Bachelard gesprochen, gibt es für Casey "topophile" Raumrepräsentationen und solche, die die Individualität und Besonderheit eines Ortes nivellieren. Oder wie Casey selbst schreibt: "Das Problem der Repräsentation liegt nicht darin, dass sie geschieht, sondern wie sie geschieht." Etwa kann in frühneuzeitlichen Werken der realistischen Malerei trotz der räumlichen Darstellung ein regelrechtes Aussperren des Naturraums festgestellt werden, durch welchen die Landschaft geografisch nicht identifizierbar ist und laut Casey daher selbst kein Thema gewesen sein kann. Umgekehrt findet der Autor in der japanischen Kartografie des 17. Jahrhunderts Beispiele, in denen unter Einfluss der Holländischen Malerei und entgegen einer auf planimetrischen Wiedergabe der Topografie der "Physiognomie" einer Landschaft im Kartenbild Rechnung getragen wird.

Das zentrale Differenzkriterium ist für Casey dabei ein einfaches: die Tiefe. Physiografische Karten etwa stellen das Land aus einem schrägen Blickwinkel dar und nicht etwa in der strikten Draufsicht, wodurch das Relief der Landschaft wahrnehmbar wird. Die Tiefe ist für Casey dabei jedoch nicht einfach die Erklärung des räumlichen Bildillusionismus, sondern wird an weitere Faktoren gekoppelt. Er steht hierbei unzweifelhaft der Hermeneutik nahe, wenn er davon ausgeht, dass nicht jedes Erscheinen räumlicher Tiefe zu einer gelungenen Ortsdarstellung führt, sondern eben nur solche, welche die Erfahrung der Natur, einer Landschaft oder des Ortes im Bild wiederzugeben in der Lage ist. Casey spricht daher von einer wahren Ähnlichkeit (verisimilitude) des Kartenbildes oder der Landschaftsdarstellung, die im Unterschied zur bloßen Ähnlichkeit von Raumrepräsentationen, die die spezifische Ortserfahrung ausblenden. An einer Stelle rekurriert Casey dazu gar den Begriff der Immersion, um den Charakter der im Bild aufgehobenen Landschaftserfahrungen zu spezifizieren, oder spricht von der Welt als "Stellenschaft" und der Landschaft als dem "An-Sich für uns", weshalb dem Ansatz letztlich auch eine Ursprungsvorstellung der Erfahrung und die Vorstellung deren medialer Rückbettung ("Re-presentation") zugrunde liegt.

Die Stärke der Arbeit besteht nun nicht in der von Casey markierten Differenz als solcher, sondern darin, dass es ihm gelingt, sie an den Karten und Tafelbildern nachweisen zu können. Und selbst wenn man dieser Hermeneutik des Bildes nicht folgen will, ist das Buch dennoch ein Gewinn für viele Lesergruppen: Kunsthistoriker finden hier eine gelungene Gegenüberstellung asiatischer und europäischer Kunst, die frei von Exotismen ist, und bildwissenschaftlich bedeutet Caseys Arbeit eine Erschließung unverzichtbaren Materials. Die Geografie kann aus dem Buch einen Gewinn ziehen, weil der Autor es schafft, ein Gefühl für die pragmatische Dimension des Kartengebrauchs zu wecken. Philosophen schließlich werden von Casey nicht nur an die Relevanz des Gegenstandes für eine Theorie erinnert, sondern treffen bei Casey eine einleuchtende Kontextualisierung und Kritik der kantischen Naturästhetik an, die ihres Gleichen sucht.


Titelbild

Edward Casey: Ortsbeschreibungen. Landschaftsmalerei und Kartographie.
Übersetzt aus dem Englischen von Simone Neuber.
Wilhelm Fink Verlag, München 2006.
436 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3770543467

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