Unbekannter Held des Alltags

Die Retrospektive Anton Stankowskis zeigt ein verblüffendes Gesamtwerk

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihn kennt so gut wie niemand, aber sein Werk ist allenthalben zu sehen. Anton Stankowski ist in die Kultur- und Kunstgeschichtsschreibung vor allem als Fotograf eingegangen. Dabei hat er - real - einen weitaus größeren Eindruck durch sein grafisches Werk hinterlassen, und das vor allem durch seine Arbeiten für das Corporate Design von zum Teil international agierenden Unternehmen und Institutionen wie dem Land Berlin, der Deutschen Bank, der Einzelhandelskette Rewe, den Versicherungen Iduna und Victoria oder dem Heiztechniker Viessmann. Der gerade Schriftzug Berlin, der mit zwei schmalen Strichen abgesetzt wurde, die blaue Diagonale, die im blauen Quadrat aufgehoben ist, die beiden "s" im Namen Viessmann, die Stankowski als Heizungsschlange darstellte: Wie kaum ein anderer der Grafikdesigner der sechziger und siebziger Jahre steht Stankowski für ein funktionales und zugleich symbolisch aufgeladenes Corporate Design, das zudem über eine enorme Haltbarkeit verfügte. So führt die Deutsche Bank ihr Logo bereits seit 1974, während Rewe sich erst nach fast vierzig Jahren zu einem Re-Design entschloss, das die Grundidee Stankowskis vielleicht sogar noch radikalisierte. Reduktion, Konzentration, Genauigkeit und Nachhaltigkeit sind die Kennzeichnen dieser Arbeiten, hinter denen ihr "Autor" - in diesem Fall die Grafik-Agentur Stankowskis - ohne weiteres verschwinden darf. Denn nicht er soll mit diesen Arbeiten identifiziert werden, sondern das Unternehmen, das Logo oder Wortbildzeichen bei dem renommierten Grafiker bestellt hat.

Die Gesamtschau lässt zudem erkennen, dass Stankowski um 1970 den Höhepunkt seines gebrauchsgrafischen Werks erreicht hat - nicht also die frühen Jahre, des 1906 in Gelsenkirchen geborenen und 1998 in Esslingen verstorbenen Grafikers sind besonders hervorzuheben, sondern sein Spätwerk. Dass Stankowski dem Ausschuss für visuelle Gestaltung der XX. Olympischen Spiele in München, 1972, vorsaß, die - etwa durch die Icons Otl Aichers - bis heute nachwirken, passt zu diesem Eindruck.

Anscheinend kommen bei Stankowski und seinen Kunden die verschiedenen Einflüsse aus den künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts und die Öffnung der bundesdeutschen Öffentlichkeit in Richtung Moderne in den sechziger Jahren auf höchst produktivem Niveau zusammen. Dass als größte Einflussfaktoren Bauhaus, Werkbund, Konkrete Kunst und Essener Folkwangschule zu vermerken sind, kann kaum überraschen. Zu deutlich stehen klare Linien, klare Formen und klare Farben im Zentrum von Stankowskis Werk. Seine Skizzenbücher demonstrieren das ebenso wie sein schmales malerisches Werk, das offensichtlich dazu diente, die Flächenkompositionen, die Stankowski systematisch ableitete, auf dem Level "Kunst" festzuhalten. In diesem Sinn vertritt Stankowski eine besondere Fassung der gebrauchsgrafischen Moderne, die zwar Berührungspunkte etwa zur Popart zulässt, genrespezifisch aber nicht auf die Öffnung der Formen setzt, sondern auf der Suche nach ihnen und ihrer Anwendbarkeit ist.

Allerdings zeigt die Werkschau auch die anderen Seiten Stankowskis - und dabei nicht zuletzt die Freiheit, die er sich bei seinen formalen Experimenten erlaubte, und die Vielfalt, die eben auch sein fotografisches Werk zeigt.

Der gelernte Dekorations- und Kirchenmaler studierte zwischen 1926 und 1928 an der Essener Folkwangschule unter anderem bei dem Fotografen Max Burchartz, der als einer der vornehmen Repräsentanten der neuen Fotografie der zwanziger Jahre gilt. Seine ersten beruflichen Arbeiten (erst selbständig und dann in einer Züricher Agentur) waren vor allem fotografischer Natur. 1948 zurückgekehrt aus der Kriegsgefangenschaft leitete er von 1949 bis 1951 die "Stuttgarter Illustrierte", für die er schon seit seiner Rückkehr nach Deutschland 1936 fotografiert hatte. Danach machte sich Stankowski wieder selbständig - mit großem Erfolg. Bereits 1953 zeichnete er verantwortlich für die Logos des Süddeutschen Rundfunks und für SEL (Standard Elektrik Lorenz). Danach reihen sich die Aufträge für die großen Namen in Industrie und Handel, die bis kurz vor seinem Tod nicht abreißen. Noch 1990 kreierte er das Logo des Chemie- und Pharmaunternehmens Altana.

Zugleich und von Beginn an ist Stankowski aber auch Fotograf - wie eben sein Lehrer in Essen. Seine Fotografien zeichnen sich nicht nur durch den Blick für den besonderen Moment aus. Sie sind selbst in den für die zwanziger bis fünfziger Jahren typischen fotografischen Experimenten - mit Schatten, mit Bewegung, mit dem menschlichen Körper, mit den strukturellen Merkmalen der Realität - von ungemein großer Genauigkeit und handwerklicher Präzision. Möglicherweise ist das ein Resultat der Ausbildung bei Max Burchartz, der der Arbeit in der Dunkelkammer Berichten zufolge genauso großen Stellenwert zumaß wie der Reportage- und Sachfotografie. Hinzu kommt, dass Stankowskis Fotografie nicht nur als Fotokunst, sondern auch als angewandte Fotografie funktioniert. So kehrt eine 1931 im neusachlichen Reportagestil aufgenommene Fotografie eines Autos, das einen Schutzmann nur knapp verfehlt, 1933 in einem Prospekt für Kilometerzähler auf. Die Fotografie des vegetarischen Angebots eines Reformhauses aus dem Jahr 1931 wirbt 1934 tatsächlich für ein Reformhaus. Daneben gibt es selbstverständlich auch Fotoserien, die zweckgebunden entstanden. Aber selbst sie zeichnen sich durch ihre Experimentierfreude und Funktionalität aus.


Titelbild

Ulrike Gauss: Anton Stankowski. Eine Retrospektive.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2006.
408 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-10: 3775717439
ISBN-13: 9783775717434

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