Kreide fressen, Süßholz raspeln

Ziemlich übel: "Nicht so schlimm", die große Liebesbeichte von Frauenversteher Nicolas Fargues

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die meisten sagen, es sei ganz egal. Da achten sie nicht drauf, da gucken sie nicht hin. Sind ja nur Äußerlichkeiten, solche Autorenfotos! Und würden alle Schreiber aussehen wie Astrid Lindgren, wär's auch nicht weiter schlimm. Schriftsteller will man sich auf den Nachttisch legen, nicht auf die Bettkante setzen. Deshalb gibt Nicolas Fargues ein ungewohntes Bild ab. In der August-Ausgabe der "Maxi" wurde das Debüt des französischen Autors in einem Artikel vorgestellt, der aussah wie eine vierseitige Gauloises-Werbestrecke: Hochglanzfotos aus einem sommerlichen Pariser Park, ein blondes Model mit halblangen Haaren und Dreitagebart. Schickes Hemd. Tolles Lächeln. Und wo ist jetzt der Schriftsteller? Vielleicht der komische Kauz dahinter, im Rollkragenpulli? Oder der fette Mann da mit dem Hund und der Boulekugel?

"Was für ein Brötchen!", stieß meine arg enttäuschte Begleiterin auf einer Lesung von Bret Easton Ellis aus. Offenbar hatte sie eine Art Christian Bale erwartet, den slicken Hauptdarsteller aus "American Psycho". Auch Michel Houellebecq ist kein sehr hübscher Mann - im testosteronschwangeren Hoellebecq'schen Klon-Sex-Esokosmos wäre ein solch schief gewachsener Kerl schon längst ausgestorben, fortgemendelt. Irvine Welsh, Alex Garland, Chuck Palahniuk: Die großen, tollen, breitbeinigen literarischen Männlichkeitsphantasien stammen von Durchschnittstypen.

Anders Nicolas Fargues. Der hat - nach einer Karriere als Werber und Gelegenheitsmodel - mit 34 seinen ersten Roman veröffentlicht, "J' étais derrière toi" von 2006. Jetzt als "Nicht so schlimm" auch auf Deutsch erschienen, mit schickem Cover im Jonathan-Safran-Foer-Stil und charmantem Soundtrack-Listing im Nachklapp. Wie schön: Endlich mal ein Liebesroman, dessen Verfasser man ein Liebesleben auch zutraut! Houellebecq in sexy, Beigbeder in hübsch! Und auf der Rückseite lobt Jan Weiler (der könnte auch mal ein bisschen abnehmen...): "Ein wirklich großer Liebesroman für Männer - und alle, die wissen wollen, wie Männer ticken."

Die wichtigsten biografischen Eckdaten stand bereits in Fargues' "Maxi"-Porträt: "etwas älter als dreißig", zwei kleine Kinder, eine raumgreifende, stolze, dunkelhäutige Ehefrau und ein wichtiger Managerposten in Tanambo, Madagaskar. Beide Ehepartner hatten bereits kurze Affären, die Ehe kippelt, ein dichtes Netz aus Abhängigkeiten, Rachegelüsten und Vorwürfen schnürt ihnen die Luft ab. Von seinem Vater in die Toskana eingeladen, bekommt Fargues im Restaurant die Telefonnummer einer Fremden zugesteckt, "Ich war hinter dir" steht auf dem Zettel. Die stille Beobachterin in seinem Rücken heißt Alice, eine Italienerin Anfang 20, sie studiert noch. Verstrickt in einen reichlich komplizierten Rosenkrieg und plötzlich völlig hingerissen von der jungen Fremden, überlegt Fargues zum ersten Mal, ob er alles hinwerfen soll.

Eine simple Eifersuchts- und Kodependenzgeschichte. Aber eine, in der jeder Konflikt drei Nummern theatralischer und lauter ausgespielt wird als anderswo: Romanciers wie Ian McEwan schneidern aus demselben Stoff viel schlichtere Kleidchen, trauen sich im Namen des Realismus' nur halb so viele Irrsinnsmomente wie "Nicht so schlimm". "Das ist die Wahrheit", suggerieren Fargues und seine Pressefreunde, "das ist wirklich so passiert!", und deshalb taucht bereits auf Seite 22 eine Wahnsinnsszene auf, die man verbatim aus dem "Maxi"-Porträt kennt, und die, wäre sie Fiktion, sofort den Rotstift auf den Plan gerufen hätte:

Wuchtbrumme Alexandrine, die eben von einer früheren Affäre ihres Mannes erfahren hat, prügelt mit einem Besenstiel auf ihn ein: "...ich konzentrierte mich auf das Geräusch, das entstand, wenn der hohle Aluminiumstab durch die Luft fuhr, und jedes Mal, wenn ich kurz in ihre wütenden Augen blickte, dachte ich: 'Ich glaube, ich habe eine Verrückte geheiratet.' Als nach drei oder vier Minuten der Besenstiel in zwei Teile zerbrach, schleuderte sie mir die beiden Hälften ins Gesicht und ging meine kleine Schreibtischlampe aus Holz holen, um mir auch die voll ins Gesicht zu hauen. Der Schlag war so heftig, dass Glühbirne und Lampenschirm gleichzeitig zerbrachen, und die Bewegung so geschickt und kraftvoll, dass ich nicht mal Schmerzen hatte. In ihrem Eifer hob Alexandrine das weiße Kabel mit dem Stecker aus dem Scherbenhaufen auf und begann, mich auszupeitschen, zwei, drei Minuten lang, bis der Stecker schließlich auseinanderfiel, und dann wollte sie mir mit dem blanken Draht das Gesicht zerschneiden [...]. Ich habe die Narbe mit Aloe Vera ganz gut wegbekommen. Aloe Vera ist super für Narben, wusstest du das?". Eine krasse, anscheinend wahre Geschichte. Wie lässt sich all das interessant erzählen, wie finden solche Szenen ihre Entsprechung in einer neuen, jungen, wilden Form des biografischen Schreibens? Nicolas Fargues hat eine Hammersache hinter sich - was macht er draus?

Nichts. Lest lieber die "Maxi", Freunde! Da steht die Handlung auf zwei Doppelseiten komprimiert, mit besseren Fotos. "Nicht so schlimm" ist ein narzisstischer Monolog im Blocksatz, eine Liebes- und Eifersuchtstirade, an ein Kumpel-"Du" adressiert, und eigentlich klingt bereits diese Beschreibung zu sehr nach Konzept, nach Thomas Bernhard oder Marcus Werners "Am Hang", zu klug, zu reflektiert. Nein, Fargues quatscht rum. Ohne Sinn für Dramaturgie, und bisweilen so ungelenk, dass die Frage erlaubt sein muss, was "Nicht so schlimm" von bloßer Tagebuch- und Bekenntnisprosa unterscheidet, von Weblogs und Vodcasts und angetrunkenen Freunden, die selbstmitleidig ins Telefon rotzen.

Kleingeister können gar die "Darf man das überhaupt Literatur nennen?"-Keule schwingen.

Das ist doppelt enttäuschend, weil das Coverdesign einen flotten, postmodernen Metameta-Ritt verspricht, hysterischen Realismus, junge Avantgarde. Und, weil's trotzdem viel zu selbstverliebt daherkommt, um als authentischer Seelenstriptease zu überzeugen. Fargues' Plaudertonfall führt ihn in die schlimmsten dramaturgischen Sackgassen: "Die Italiener ziehen immer eine Show ab, aber ich denke, dass sie einfach genussfähiger sind...", "Singarpur, Djakarta, Kuala Lumpur, ich bin ja schon mal da gewesen, sogar mit Alexandrine zusammen, wir fanden das alles toll. Ich kenne diese Orte: Sie sind das Herzstück des Planeten.", "Sieh dir nur die italienische Fußballnationalmannschaft an: elf Spieler, elf Italiener, elf Weiße mit italienischen Wurzeln. In Frankreich: elf Spieler und davon allerhöchstens vier weiß." Fargues steckt solche 08/15-Beobachtungen über zwei, drei Seiten hinweg, spinnt superplumpe Thesen darüber, wie er sich das vorstellt: die Franzosen. Die Italiener. Die Männer. Und die Frauen. Subtext? Niente!

Keine Ahnung, wie der Kerl im echten Leben kommuniziert. Vielleicht hört ihm keiner jemals zu, vielleicht lächeln immer alle und denken nur: "Mann, ist der hübsch!", und genau wie Durchschnittsmenschen oft freundlicher sind als attraktive, sich viel mehr Mühe geben im Zuhören und Erzählen, fehlen Nicolas Fargues das Auge und das Ohr zur "richtigen" Schriftstellerei. Stattdessen gibt's Nabelschau und seltsames Kokettieren mit dem Leser, besser: der Leserin, denn ein "Männerroman" ist "Nicht so schlimm" auf keinen Fall. Fargues (namenloses) Alter Ego mag Gefühle und Kuschelmusik, Kommunikation und Monogamie, Fargues klingt, als hätte er Kreide gefressen, und reiht Klischee-Frauenversteher-Sätze aneinander, um dem Klischee-Frauenbild vom sensiblen Klischee-Traummann zu entsprechen:

"Ich fühlte mich so einsam, ich wusste keinen Ausweg mehr, also weinte ich lautlos, einfach weil es mir guttat, ich hatte nämlich verstanden, dass man genau das tun muss, wenn man nicht mehr weiterweiß und es nicht mehr aushält und einem alles ausweglos vorkommt - auch Weinen habe ich erst mit dreißig gelernt, verstehst du?" Man glaubt Fargues nicht. Kein toller Paradigmenwechsel, keine authentische Innenansicht eines (attraktiven! maskulinen! reflektierten!) "richtigen" Mannes. Und leider auch kein kompliziertes literarisches Spiel über männliche Identität und Selbstrechtfertigung. Sondern Frauenliteratur in ihrer allerschlimmsten Form: "Braungebrannt, noch nass in Badehose, mit langem Haar, Waschbrettbauch, ein bisschen schmächtig vielleicht, aber okaye Brust, nicht ein Gramm Fett: Ich machte mir endlich wieder bewusst, dass ich ein hübscher Kerl bin", beschreibt sich Fargues wie nebenbei, in diesem seltsamen, pseudomännlichen Eben-NICHT-Männer-Buch, das mit zusammengekniffenen Schenkeln in der Literaturlandschaft herumsteht und fistelt: "Kommt rüber, Mädels, wir männlichen Männer sprechen gerade offen und arglos über unsere Gefühle. Kommt und hört zu!".

Na ja. "Nicht so schlimm" könnte natürlich auch als superclevere trippelbödige Rollenprosa gedacht sein. Oder, genau andersrum, als ehrlich-arglos-authentische Neuverortung eines hoffnungslosen Romantikers. Spaß macht die Lektüre in keinem Fall, alles schleppt sich müde und planlos dahin, ob authentisch oder nicht. Und auch die "Maxi"-Zielgruppe bleibt skeptisch. "Bäh, lies das nicht!", rief meine pubertierende Schwester beim Blick auf Fargues' Autorenfoto. "Wieso, der sieht doch fesch aus." - "Eben! Das sind die schlimmsten, die allerschlimmsten! Der erzählt doch bestimmt nur totalen Quatsch." Ja, stimmt.


Titelbild

Nicolas Fargues: Nicht so schlimm.
Übersetzt aus dem Französischen von Frank Wegner.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
190 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783498021177

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