"Die Brecht-Slogans sind die besten"

Ein Spaziergang auf den "Wegen zu Brecht" mit Monika Buschey

Von Laura WilfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Wilfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Porträts sind ihre Spezialität. Bisher hatten es ihr vor allem Liebespaare angetan, drei Bände solcher Paar-Biografien hat sie schon gefüllt: "An jenem Tag im blauen Mond September"; der mittlere, erschienen 2000, führt schon einen "Brecht-Slogan" im Titel. Von Monika Buschey wissen wir um den coup de foudre, der Lotte Lenya und Kurt Weill in ihrem Ruderboot traf, warum sich Katharina von Bora für Martin Luther entschied und wann Johann Wolfgang Goethe seine Christiane zum ersten Mal traf.

Aber auch bedeutende Einzelschicksale aus allen Jahrhunderten hat sie dargestellt, darunter bevorzugt Kulturschaffende: Schriftsteller, Schauspieler, Komponisten. Ihre Methode: "das Mikro an die Kultur halten", so zitiert sie der WDR, für den sie das Ressort Kultur bedient. Denn die meisten ihrer Reportagen entstehen für den Hörfunk.

Aus diesem Fundus stammt auch das Material für die im vorliegenden Bändchen versammelten acht Porträts von Theaterleuten, sämtlich Protagonisten des Berliner Ensembles, die sie über ihre "Wege zu Brecht" befragt hat. Nicht alle hat sie mehr persönlich getroffen, so ist die früh verstorbene Sabine Thalbach durch ihre Tochter Katharina sowie deren Vater, Benno Besson, quasi mitvertreten - ihr Bild gerät damit, ergänzt durch Erzählungen der Geschwister, zu einem der umfassenderen und verleiht ihr in dieser Sammlung eine besondere Präsenz.

Weiterhin treten auf: Manfred Wekwerth, der Laienschauspieler aus Köthen, Regine Lutz, die ehrgeizige Professorentochter aus der Schweiz, Käthe Reichel, das Proletarierkind mit dem "Brecht-Altar", Egon Monk, Brecht-Verehrer der ersten Stunde, Benno Besson, der charismatische "Franzose", schließlich die Thalbachs, Annemarie Sabine und Tochter Katharina, deren "Theater-Gen" sich nun schon in der vierten Generation bemerkbar macht. Als letzte - das mag etwas verwundern - Barbara Brecht-Schall, die jüngere Tochter Brechts, die das Erbe verwaltet sowie in einer Gastrolle - warum wurde ihm kein eigenes Porträt gewidmet? -, Ekkehard Schall, der 2005 verstorbene Ehemann Barbaras, ebenfalls 1952 zum BE gekommen und dort bis 1995, am längsten von allen, tätig. Diese Auswahl scheint zwar durchaus umfassend, wenn auch nicht unbedingt erschöpfend; dies mag aber unter anderem der Quellenlage geschuldet sein - einige der Gespräche, die diesen Porträts zugrundeliegen, wurden schon in den 1990er-Jahren geführt, andere sind neueren Datums und stammen aus den Vorbereitungen zum 50. Todestag des Meisters im vergangenen Jahr. So sicherlich auch das Projekt mit dem hier nicht immer eingelösten Titel "Wege zu Brecht", zu dem dann etwa Peter Palizsch, der Ende 2004 verstarb, oder auch Ekkehard Schall nicht mehr beitragen konnten.

Die Karriere Manfred Wekwerths am Berliner Ensemble beginnt mit einer wunderbaren Episode: Eine Laienspielgruppe führt "Die Gewehre der Frau Carrar" auf mit einem "echten Arbeiter" in der Hauptrolle und erdreistet sich, zur Premiere die Anwesenheit des ihnen bisher unbekannten Autors zu verkünden. Sie schicken die Notiz aus dem Köthener Lokalblatt nach Berlin und denken sich: "Wenn der ein großer Mann ist, [...] hat er Humor und kommt." Dieser lässt statt dessen den Bus des BE kommen und lädt die ganze Truppe nach Berlin auf seine Bühne ein. "Sie müssen noch viel lernen", sagt er dann. "Und wenn Sie bei uns lernen wollen, beim Berliner Ensemble, dann bleiben sie gleich da." Das macht Werkwerth und lässt sich dort zu einem der prägenden Regisseure des BE ausbilden. Trotz der Differenzen mit den Brecht-Erben in den 1970er-Jahren beerbt er 1977 Ruth Berghaus und führt das Theater bis 1991.

Der Werdegang von Regine Lutz beginnt fernab vom Berliner Theaterleben. Das späte Kind eines Basler Arztes nimmt sich seine Mutter zum Vorbild und erobert schon als Kleinkind die Bühnen. Sie selbst zeichnet sich als ehrgeizig, humorvoll, kritisch: In die Prüfung vor dem großen Dichter, der selbst ins Zürcher Schauspielhaus kommt, um sie zu sehen, geht sie "als Prüfende" - und ist enttäuscht von dem kleinen, unrasierten Mann mit den ordinären Schuhen. Ob sie ihm deshalb, trotz vielfach belegter Werbungen, immer widerstanden hat, wird verschwiegen, doch das "Berliner Ensemble sei eine Ansammlung von Charakterschweinen gewesen", das müsse sie doch zugeben. Überhaupt speist sich das Porträt der Regine Lutz weitgehend aus dem indirekten Zitat ihrer eigenen Kommentare, es erscheint weit weniger literarisch als andere Texte des Bandes. Man merkt, sie hat viel zu sagen: "Wenn niemand da ist, der ihr zuhört, schreibt sie Briefe."

Anders Käthe Reichel, die ihr in diesem Porträtensemble in gewisser Weise antipodisch zugeordnet ist: In ihrer 'Geschichte' dominieren die beschreibenden Passagen der Autorin, die in ihr, trotz anfänglichen Widerwillens gegen das Interview, die Schauspielerin nachzeichnet: "Mikrofon an bedeutet Vorhang auf. [...] Da setzt man sich gerade hin, da fängt das Sprechen an. Ein Auftritt, ein Monolog, Zwischenfragen irritieren nur." Eine ärmliche Kindheit, vom Mund abgesparte Theaterbesuche, schließlich, zwischen 1949 und 1956, "das Paradies". Als Eintrittsgeld einige Zeilen Goethe, von dem "ollen Kerl" im Zuschauerraum ignoriert, von seiner "netten Frau" dann doch angenommen. Nach dem "Schock", dass Schauspielerei plötzlich kein theatralisches Fühlen, sondern kühles Denken verlangte, gibt es für sie kein Zurück mehr: "Brecht hat mein Leben bestimmt und wird es bestimmen bis zum Schluss." Davon zeugen zuletzt ihre "Windbriefe an den Herrn b.b.", erschienen 2005, zu ihren eigenen 80. Geburtstag.

Egon Monk, den Buschey noch kurz vor seinem Tod im Februar diesen Jahres traf, gehört zu den wenigen in diesem Kreis, für die der "Weg zu Brecht" keine Reise ins Unbekannte war. Als Schüler einer im zerstörten Berlin wiedereingerichteten privaten Schauspielschule verfolgt er die Rückkehr des Emigranten Brecht, ihm ist "ganz klar, dass dieser Brecht nach Berlin muss, wohin denn sonst". Noch vor der Gründung des BE macht er sich mit einem eigenen Brecht-Programm bemerkbar und 1949 tritt er ein in die 'Brecht-Schule'. Er dort beginnt als Regieassistent, wechselt 1953 zum Hörfunk, später dann zum Fernsehen und inszeniert lange und viel für den NDR.

Mit Benno Besson beginnt ein zweiter Teil dieser Porträtsammlung. Wenn auch nicht als solcher gekennzeichnet, so deutet sich doch eine engere, nicht zuletzt familiäre Verbindung der 'Protagonisten' an, die zwangsläufig auch ihre 'Geschichten' in einen größeren Zusammenhang stellt.

Dabei wird die Erzählung, so scheint es, virtuoser, das Verfahren mehr noch als zuvor an den assoziativen Charakter der wörtlichen Rede angelehnt. Dabei beschränkt sich die Darstellung Bessons zunächst auf Andeutungen über seine über das Berufliche hinausgegenden Beziehungen und entfaltet statt dessen eine Kindheit im schweizerischen Yverdon. Auch er ein spätes Kind, dafür früh theaterbegeistert, profiliert er sich mit eigenen Inszenierungen, Bearbeitungen, einem Studium - Besson kommt nicht als Laie ans Berliner Ensemble, doch sein Ehrgeiz provoziert nach Brechts Tod auch das Zerwürfnis.

Am BE trifft Besson, obzwar verheiratet, auf Annemarie Sabine Thalbach. 1954 wird er zum ersten Mal Vater. Die Thalbach-Familie nimmt besonderen Raum ein in diesem Porträtreigen: Nicht nur durch die zwei - beziehungsweise mit Besson drei - Personen, die am Berliner Ensemble 'ihre Bühne' fanden, auch durch die ausführliche und, zugegeben, recht bunte Familiengeschichte, die sich dazu erzählen lässt. Dabei nimmt das, was sich als eine Reihe literarischer Porträts vorstellt, beinahe 'epische' Züge an. Man lernt Sabines Großeltern, Onkels, Tanten und Geschwister kennen, begleitet sie durch die Kriegswirren bis zu jenem Nachmittag, an dem die jugendliche Annemarie mit ihrer buchstäblich tragi-komischen Vorstellung der Salome den großen Brecht zum Lachen brachte. So umfänglich sich die Geschichte der Thalbachs zunächst darstellt, so kurzweilig und detailreich wird sie erzählt, ja fast scheint sie über diese letzten Kapitel hin durchkomponiert, erfährt man doch, nach zweimaliger Andeutung, erst durch Barbara Brecht-Schall von den Umständen, unter denen Katharinas kleine Schwester Annette 1960 gestorben ist.

Die Autorin hat die enge persönliche und emotionale Verflechtung dieses Arbeitskollektivs, denn als solches darf es zweifellos betrachtet werden, stilistisch nachempfunden, was vor allem in der zweiten Hälfte des Bandes den in mehrfacher Hinsicht 'familiären' Charakter dieses Berliner Ensembles deutlich macht. Gemeint sind damit beileibe nicht nur amouröse Verstrickungen, auch wenn Barbaras "Wer-mit-wem-Tableau" zu einer recht umfassenden Darstellung geraten sein muss. Dazu gehört jedoch auch, dass sie und Sabine auch neben der Bühne als "zwei spottbegeisterte Jungdrosseln" auftraten und ein so inniges Verhältnis pflegten, dass es ihr, wäre sie nicht krank gewesen, nach Sabines Tod selbstverständlich gewesen sei, Katharina zu sich zu nehmen. Helene Weigel, "in ihrer unausschöpflichen Mütterlichkeit", hatte sich der Zwölfjährigen dann angenommen, "dafür gesorgt, dass das Theater ihr zum Zuhause wurde" und sie mit 16 Jahren als Polly auf die Bühne gestellt.

Katharina Thalbach ist die jüngste in diesem Kreis und so auch die einzige, die den "Weg zu Brecht" auf jene doch mehr konkrete Weise wie die anderen nicht zu gehen brauchte, schließlich hatte sie ihm, so wird erzählt, schon als Kleinkind "mit kühner Geste und vom Arm ihrer Mutter aus [...] die Mütze vom Kopf geangelt". Als 'Kind' des BE geht sie jedoch, so scheint es, einen vorgezeichneten Weg. Berlin und das Theater (und eine Faszination für die Dynastien der ägyptischen Hochkultur) sind die Konstanten, um die sich diese recht eindringliche Charakterstudie der Schauspielerin und - in bester BE-Tradition - seit einiger Zeit auch Regisseurin Katharina Thalbach dreht. Monika Buschey widmet ihr die wohl ausführlichste Darstellung, die nicht zuletzt wohl auch von der Redseligkeit der Porträtierten zehrt.

Darin unterscheidet sie sich deutlich von Barbara Brecht-Schall, der letzten in dieser Serie. Auch für sie erscheint die im Titel platzierte Frage, 'wie sie zum Berliner Ensemble fand', eher unangebracht. Der Weg ans Theater der Eltern barg wenig Überraschungen, ebensowenig, wie der Weg der Thalbachs zur Schauspielerei: "Als Tochter hat man keine Wahl", stellt die Autorin daher einleitend fest und trifft in der jüngsten Tochter des Meisters schlicht "die Erbin". Das letzte Kapitel ist kurz und wenig aussagekräftig, denn es erzählt von einer Frau, die, so heißt es, nicht erzählen will. Es käme ja ohnehin nie jemand ihretwegen. Aber alle wollten sie wissen, wie das war mit Brecht - und die meisten schrieben dann ohnehin nur Mist. "Nu machen Se mal hinne!", wird sie zitiert, und ihr Porträt gerät wenig schmeichelhaft - es bleibt der Verweis auf ihre Töchter, die, auf ihre Art, auch einen "Weg zu Brecht", ihrem Großvater, gewählt haben: "Die eine als Schauspielerin und Regisseurin, die andere als Kostümbildnerin."

Tatsächlich ist es der Titel dieses ansonsten recht gelungenen (wenngleich nicht allzu sorgfältig redigierten) Bandes, der sich als wenn nicht irreführend, so doch etwas unpassend erweist. Kaum verkennbar ist das Büchlein eine Gelegenheitsarbeit, die ältere und neuere Dokumente zum personellen Kontext vor dem Hintergrund des Todestag-Jubiläums im vergangenen Jahr zusammenführt. Dennoch entsteht mit den aufgearbeiteten Gesprächsnotizen, die die Autorin atmosphärisch zu verdichten versteht, ein in dieser Art unkonventionelles 'Dokument', das ungewöhnliche, persönliche Einblicke in das Arbeitsumfeld am BE gibt. "Wege zu Brecht" eröffnet dieser gewandt erzählte Reigen nicht, aber ein Lesevergnügen, das nicht zuletzt auf Brecht selbst zurückweist. Ein "Brecht-Slogan" auf dem Titelblatt hätte sich vielleicht besser gemacht.


Titelbild

Monika Buschey: Wege zu Brecht.
Dittrich Verlag, Berlin 2007.
192 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717265

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