Ein Schauspiel für die Königin der Nacht

Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid bringen nach und nach ihre Figuren um

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frankreich hat seine eigene harte Krimi-Tradition, die den Vergleich mit den amerikanischen Hard-boiled-Krimis nicht zu scheuen braucht. Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid haben dazu das Exempel geschrieben. Nach über dreißig Jahren ist ihr rasantes Schieß- und Abgangsspektakel auf Deutsch erschienen. Was in Frankreich den Kriminalroman revolutionierte, war den Deutschen anscheinend nicht besonders viel Aufmerksamkeit wert, auch wenn es hierzulande gelehrige Schüler gegeben zu haben scheint (die möglicherweise von ihren Lehrmeistern nichts gewusst haben): Carl Wille (alias Michael Wildenhain) gehört dazu (leider nur mit einem schmalen Text) oder Lars Becker, der sich zwischenzeitlich aber aufs lukrativere Filmemachen verlegt hat und eine deutsche Variante zu "24" unter dem Titel "Nachtschicht" gedreht hat.

Zu lernen ist von den französischen Altmeistern immer eine Menge: Ein klarer Plot, eine eindeutige Ansage, wer wohin gehört, und eine Handlung, die an Geradlinigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Dabei ist die Abschüssigkeit gleich inbegriffen. Denn wenn es eins gibt, das auch in Frankreich klar sein dürfte, dann ist es der Leitsatz, dass sich Verbrechen nicht lohnt.

Auch in diesem Fall, der als eine Art Gründungstext des französischen Neo-Polar gilt, werden diese Regeln befolgt, und das ohne großes Drumherum. Keine psychologischen Spielchen, keine Einführung in das Liebes-, Gefühls- und Alltagsleben der Figuren. Keine verdeckten Andeutungen, aus denen man entnehmen könnte, wer der oder die Täter wären - die sind von Anfang an klar. Keine atmosphärischen Spielchen. Keine Szenerie, die irgendwohin weist, ohne dass es irgendeine Bedeutung haben würde. Keine Überraschungen. Keine Irreführungen. Wir bekommen genau das, was wir sehen. Nichts anderes. Neue Neusachlichkeit, nur im Kriminalformat.

In einem aufgelassenen französischen Weiler, der an einem Abhang liegt und nach und nach abstürzt - nein, hier ist nicht vom Kapitalismus die Rede -, verbringt eine mittlerweile etwas derangierte, exzentrische Malerin ihre Sommermonate, und lädt die dazu ein, die ihr gerade über den Weg laufen oder nicht schnell genug nein sagen können. In diesem Fall sind es ein hyperventilierender Anwalt, ein ständig besoffener Autor und ein Trupp von drei Männern, die niemand wirklich kennt. Diese drei machen sich zu Beginn auf den Weg in die Stadt, um einzukaufen. Einen Hammel beim Fleischer und alles andere, was noch gebraucht wird. Und sie überfallen einen Goldtransport mit 250 kg des Edelmetalls, erschießen die Transportbegleiter kaltblütig und machen sich mit der Beute zurück in den idyllischen Ferienort. Auf dem Weg zurück picken sie noch zwei Frauen und ein Kind auf, die dasselbe Ziel haben. Eine der Frauen ist mit dem Autor verheiratet, von dem man nicht genau weiß, ob er sich an die Hochzeit wirklich noch erinnert. Bis dahin könnte alles gut sein. Die drei Gangster, die mit dem Anwalt verbündet sind, verstecken ihr Auto (einen DS-Kombi, göttlich) und wollen die restlichen zwei Sommermonate abwarten, um dann die Beute wie vereinbart zu teilen.

Das klappt natürlich nicht, denn wie es der Zufall will, erinnert sich in der Stadt ein Wirt an die beiden Frauen samt Kind, und zwei Polizisten machen sich auf die Suche nach ihnen, denn der Vater des Kindes hat es als entführt angezeigt.

Noch ist der Weiler idyllisch, einer der drei Gangster schläft mit der Malerin und der Autor liegt besoffen irgendwo herum, als die beiden Polizisten dort ankommen. Aber binnen weniger Sätze ist aus dem scheinbar friedlichen Feriendomizil ein Schlachtfeld geworden, das sich nach und nach alle Beteiligten nimmt. Einer der Gangster erschießt den einen der beiden Polizisten, der andere liefert sich mit den Gangstern ein Gefecht, das bis in die Nacht dauert, niemand denkt auch nur im geringsten daran, dass er fliehen oder überleben wollte, sondern nur daran, die anderen auszuschalten (merkwürdige Gedanken hat der vorerst überlebende Polizist - zum Beispiel, dass es schön ist, Polizist zu sein, vor allem wegen des Pensionsanspruchs. Er wird diese Pension nie beziehen). Die Fronten zwischen den Parteien bewegen sich durch die Trümmer des Dorfes, die ihren idyllischen Charakter schnell verlieren und zu den klassischen Kriegstrümmern werden. Unbeteiligte Figuren wie die jungen Frauen, deren Anwesenheit ja das Fiasko auslöst, irren zwischen ihnen hin und her, bleiben aber merkwürdig unbehelligt.

Unberührt von allem ist nur die Herrscherin über das Trümmerfeld, die den schönen Namen Luce trägt. Als sie halbwegs aus dem Alkoholdusel erwacht, richtet sie sich häuslich auf einem Beobachtungsposten ein und betrachtet das Schauspiel, das die Krieg spielenden Männer vor ihren Augen aufführen und dem sie nach und nach zum Opfer fallen. (Mit großem Finale schließlich, denn den Schluss macht der Chef der Gangster selbst, und das bei aller Größe beinahe beiläufig und unabsichtlich.) Eine denkwürdige Königin der Nacht, die versucht, sich die Langeweile zu vertreiben.


Titelbild

Jean-Patrick Manchette / Jean-Pierre Bastid: Lasst die Kadaver bräunen!
Übersetzt aus dem Französischen von Katarina Grän und Ronald Voullié.
Distel Verlag, Heilbronn 2007.
190 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783923208838

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