Im Reich der Männer

Susanne Fischer schreibt über ihre "Frauen-WG im Irak"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Villa am Rande des Wahnsinns" - klingt das nicht wie eine Verballhornung des bekannten Wortes vom "Grandhotel Abgrund"? Tatsächlich haben beide Topoi noch weniger gemein als eine WG, wie sie etwa von der Zweckgemeinschaft Studierender bewohnt wird mit einem Grandhotel, in dem die Oberen Zehntausend ein- und ausgehen. Das Wort vom "Grandhotel Abgrund" hatte der zwar gerne, aber ganz zu unrecht dem "Westlichen Marxismus" zugeschlagene Apologet des orthodoxen Marxismus Georg Lukács in pejorativer Absicht auf die konkurrierende Frankfurter Schule gemünzt. Deren theoretischer Kopf Theodor W. Adorno war allerdings auch nicht gerade zimperlich und meinte, Lukács' dreibändiges Werk über "Die Zerstörung der Vernunft" zeuge vor allem von der Zerstörung der Vernunft seines Verfassers. Ganz im Gegensatz zu Lukács Schmähwort handelt es sich bei der Rede von der "Villa am Rande des Abgrunds" um eine scherzhafte Selbstbezeichnung. Sie stammt von einer der Bewohnerinnen besagter 'Villa' und stiftet zugleich den Untertitel ihres flott geschriebenen Buches über "[m]eine Frauen-WG im Irak", in der seine Autorin, Susanne Fischer, ziemlich genau ein Jahr verbrachte.

Die WG setzt sich in den ersten Wochen aus fünf Mitbewohnerinnen zusammen, die nicht nur aus ebenso vielen Ländern stammen, sondern zudem verschiedenen Religionen anhängen: eine Jüdin sowie Musliminnen und Christinnen je unterschiedlicher Ausrichtungen. Die Autorin selbst ist zwar getauft, changiert aber zwischen Agnostik und Atheismus.

Die fünf Frauen arbeiten für eine Nichtregierungsorganisation, das "Institute for War and Peace Reporting", und sind gekommen, um interessierten IrakerInnen das journalistische Handwerkszeug nahezubringen. Zwar spricht die Autorin gerne davon, sie habe Frauen ausbilden wollen. Tatsächlich sind aber auch Männer unter den SchülerInnen.

Ihr Domizil haben Schule und WG in Suleimania bezogen. An anderen Orten des von fast zum Bürgerkrieg herangewachsenen Terrorangriffen geschüttelten Landes wäre es für die Frauen zu gefährlich. Die Stadt liegt im Norden Iraks, im "gefühlten Kurdistan" und steht "im Ruf, die liberalste Stadt im ganzen Land zu sein". Wahrhaftig handele es sich auch "beinahe [um] eine normale Stadt". Nur eine Ausnahme gebe es: "Die Frauen fehlen." Tatsächlich fehlen sie nicht ganz. Es ist nur so, dass sie sich "an den Häuserwänden entlang [drücken]" und schnell über die Bürgersteige "huschen", "als sei ihr Aufenthaltsrecht nur geliehen", "[w]ährend die Männer mit der Unerschütterlichkeit derer, denen die Straße gehört, schreiten, schlendern oder breitbeinig rauchend vor den Teestuben verweilen".

Bald schon müssen die WG-Bewohnerinnen feststellen, dass sie in einem "Reich der Männer" leben, in dem es für sie unmöglich ist, auch nur eine kurdische Freundin zu finden. Denn kurdische Frauen sind entweder verheiratet oder sie leben bei ihren Eltern. Weder diese noch ein Ehemann würde es ihnen gestatten, die "Westlerinnen" zu besuchen. Auch klagt die Autorin über den allgegenwärtigen "Erwartungsdruck, alle mögen es allen gleichtun, als gäbe es nur einen möglichen Lebensweg". Doch auch ihr blieb schließlich kaum etwas anderes übrig, als sich im "schmalen Korridor der kurdischen Normen" zu bewegen. Zog der Frauentrupp zunächst noch öfter los, um eine Teestube oder ähnliches aufzusuchen und so "die herrschende Ordnung [...] ein wenig durcheinanderbringen", haben sie es sich schnell "angewöhnt, männliche Begleiter mitzunehmen", um "die anzüglichen Blicke [zu] reduzier[en]". Bei denen es allerdings auch dann nicht immer bleibt, selbst wenn sie mit Männern unterwegs sind. Wagt es eine von ihnen einmal in der Öffentlichkeit zu lachen, so kann die Bemerkung eines Fremden, sie müsse "gevögelt werden", nicht ausbleiben.

"Immer öfter" bleiben sie daher "einfach zu Hause." Nach einer Beschwerde aus der Nachbarschaft über eine in der WG gefeierte Party, erhalten sie von der in London ansässigen Zentrale ihrer Organisation die Anweisung, "sich 'wie die Nonnen' zu benehmen". Sie benehmen sich fortan nicht nur so, "wir dachten auch wie welche".

Schon nach kurzer Zeit verlässt die erste Mitbewohnerin Land und WG Richtung australischer Heimat - und nach einem halben Jahr ist die Frauen-WG soweit ausgedünnt, dass die verbleibenden Bewohnerinnen auf die Idee verfallen, doch zwei Iraker einziehen zu lassen und die Wohngemeinschaft in "ein gemischtes Doppel" zu verwandeln. Der Vorschlag wird in die Tat umgesetzt und so der Titel des Buches zugleich zur Hälfte Lügen gestraft.

Manchmal nimmt sich die Wahrnehmung der Journalistin, die immerhin für Blätter wie "Die Woche", "Der Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben hat, erstaunlich naiv aus. So fällt ihr dazu, dass die damals fünfzehnjährige Mutter ihres kurdischen Freundes nach dessen Geburt ihrem Mann davon und zurück zu ihren Eltern gelaufen war, nur ein, sie sei wohl "überfordert von der Verantwortung" gewesen. Ganz so, als habe eine Unzulänglichkeit bei dem Mädchen vorgelegen. So etwas wirkt denn doch arg unreflektiert. Auch Fischers Ausführungen zu der "unter Kurdinnen erschreckend häufigen Selbstmordmethode" sind befremdlich: "Wie oft hatten wir von Frauen gehört, die sich mit Kerosin übergossen und angezündet haben. Weil sie in ihrer Ehe unglücklich waren, den prügelnden Mann nicht mehr ertrugen, manchmal genügte angeblich schon ein Streit mit der Mutter für die Verzweiflungstat."

Bei Fischer liest sich das fast so, als seien diese Frauen einfach ein wenig zu zart besaitet. Auch hinterfragt sie nicht, ob denn wirklich immer ein Suizid vorliegt. Gerade mal, dass das Wörtchen "angeblich" einen leisen Zweifel an den genannten Gründen anklingen lässt. Dass eine ihrer Schülerinnen sich nur "vollverschleiert" 'sehen lässt', "fasziniert" Fischer. Darüber, dass diese Frau nie ohne ihren Mann - auch er einer ihrer Schüler - anzutreffen ist, macht die Autorin nicht viele Worte.

Fischer hat ein sehr persönliches Buch geschrieben, bei dem das ganz Private wie Freund- und Liebschaften mit kulturellen und religiösen also hochpolitischen Vorstellungen stets untrennbar vermischt. Besonders aufschlussreich ist der Abschnitt über die Mohamed-Karikaturen, über die es nicht nur zum Streit, sondern auch zum Bruch mit einem der muslimischen Mitbewohner kommt, dem sie Anlass sind, seinem brennenden Hass auf alles 'westliche' freien Lauf zu lassen. Inzwischen erfreut er sich eines Stipendiums an einer US-amerikanischen Universität.


Titelbild

Susanne Fischer: Meine Frauen-WG im Irak. Die Villa am Rande des Wahnsinns.
Malik Verlag, München 2006.
249 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3890293255

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