Ideologie oder Realität

Gibt es "real exisitierende" Verschwörungen?

Von Wolfgang WippermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Wippermann

Kritiker meines Buches über "Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute" haben moniert, dass ich ausschließlich auf Verschwörungsideologien und kaum auf real existierende Verschwörungen eingegangen bin. Doch welche sind oder sollen dies sein? Was ist überhaupt eine Verschwörung?

Definitionen

Der Brockhaus hat dazu keinen Eintrag, verweist aber auch nicht auf das Lemma "Konspiration", was dem deutschen "Verschwörung" am nächsten kommt, sondern auf "Komplott", was mehr Anschlag als Verschwörung bedeutet. Doch dies wird im Lexikon weder gesagt noch wird überhaupt erklärt, was ein "Komplott" sein soll. Statt dessen erfolgt ein Hinweis auf den § 30 Abs. 2 StGB, wonach sich derjenige "strafbar" macht, der "ein Verbrechen verabredet, sich zur Begehung eines solchen bereit erklärt oder das Anerbieten eines anderen zur Begehung eines Verbrechens annimmt." Dies ist ziemlich klar, doch keine Verschwörung, sondern die Vorbereitung eines Verbrechens.

Besser als dieses Lexikon ist zweifellos Wikipedia.de (Eintrag 1.6.2007). Danach ist eine "Verschwörung [...] ein geheimer Zusammenschluss mehrerer Personen zu einem illegalen oder illegitimen Zweck [...] Die Verschwörung ist strafbar nach § 30 Abs. 2 StGB, wenn es sich bei ihrem Gegenstand um ein Verbrechen handelt".

Dass nicht nur die Durchführung, sondern auch die Planung und Vorbereitung eines Verbrechens strafbar ist, ist noch einsehbar. Doch auch hier sind Grenzen zu ziehen. Wenn ich davon träume, einen meiner Kollegen zu verprügeln, ist dies ein vielleicht nicht netter Gedanke, aber es bleibt ein Wunschtraum und ist deshalb noch kein Verbrechen.

Immerhin wird bei Wikipedia.de zwischen "Verbrechen" und "Verschwörung" differenziert. Letztere ist aber immer noch nicht hinreichend definiert. Unter einem "Zusammenschluss mehrerer Personen" kann man sich noch etwas vorstellen. Doch was ist "geheim"? Die Daten auf meinem Computer zum Beispiel sind insofern geheim, als sie nicht allen Außenstehenden zugänglich sind oder offen stehen sollen. Doch dies sollen sie offenbar doch sein. Daher werde ich den Verdacht nicht los, dass hier die alte Bedeutung von "geheim" im Sinne von staatlich mitschwingt, wie sie noch in Begriffen wie "Geheimer Rat", "Geheimes Preußisches Staatsarchiv" oder auch "Geheime Staatspolizei" (Gestapo) zum Ausdruck kommt. Geheim ist hier offensichtlich das, was der Staat nicht mitbekommt, aber mitbekommen will. Der Staat oder sagen wir es etwas platt, die Herrschenden, bestimmen letzten Endes auch, was "illegale oder illegitime (politische) Zwecke" sind. Dem ist entgegen zu halten, dass es auch politische "Zwecke" gibt, die den Einsatz "geheimer" und selbst "illegaler" Mittel rechtfertigen. Zum Beispiel die Verhütung eines großen politischen Verbrechens und der Sturz eines verbrecherischen Regimes.

Die Begriffe "Verschwörung" (nach dem "Wörterbuch der deutschen Sprache" von Wahrig: "geheimer Plan, geheime Verbindung"), "Konspiration" oder (veraltet) Konjuration (von lat. coniurare = sich heimlich gegen etwas oder irgend jemandem verbünden) sind also sehr schwammig und dehnbar definiert und haben dennoch oder deshalb eine äußerst negative Bedeutung.

Sieht man von dem juristischen Tatbestand einer (kriminellen) Verschwörung ab, so bezeichnet man damit politische Ereignisse als Verschwörungen oder führt sie auf eine solche zurück, die a) geheim, b) geheimnisvoll und c) unerklärlich scheinen, weshalb sie mit und durch eine Verschwörung erklärt werden. Also die fast perfekte Tautologie oder die vollkommene Willkür. Denn was geheim ist oder bleiben soll, ist wirklich relativ: Es ist abhängig von Zeit und Ort und natürlich von dem Willen der Betroffenen. Geheimnisvoll mag manches so manchem vorkommen, dennoch kann man entweder dieses Geheimnis lüften oder es einfach sein lassen. Schließlich muss nicht alles, was man nicht erklären kann, unerklärlich beziehungsweise nur auf eine Verschwörung rückführbar sein.

Mit einem solchen Begriff sollte man in der historisch-politischen Sprache äußerst vorsichtig und sehr sparsam umgehen. Doch dies wurde und wird vielfach nicht beachtet. So wird einmal zwischen so genannten kriminellen und politischen Verschwörungen nicht hinreichend unterschieden. Was zudem auch schwer möglich ist, werden doch terroristische Organisationen wie die RAF und Al Kaida mit kriminellen Vereinigungen wie der italienischen Mafia gleichgestellt.

Noch problematischer ist die (bei Wikipedia zu findende, durchaus repräsentative) Liste der "politischen Verschwörungen". Sie reicht von der (von Cicero aufgedeckten und beschriebenen) Catilinarischen Verschwörung über die Maria Stuarts und der serbischen Geheimorganisation "Schwarze Hand" - die für das Attentat auf den österreichischen Thronfolger 1914 verantwortlich war - bis hin zu der von Stalin halluzinierten "Ärzteverschwörung", dem Putsch Augusto Pinochets in Chile und dem "Watergate-Komplott" Richard Nixons.

Dazwischen werden drei Ereignisse aus der Geschichte des Nationalsozialismus erwähnt. Einmal die "Machtergreifung", die erstens keine war und zweitens wohl kaum, wie dies die Ankläger im Nürnberger Prozess vorbrachten, als "Verschwörung" anzusehen ist. Am 30. Januar 1933 wurde öffentlich und keineswegs geheim sowie völlig legal eine Koalitionsregierung aus Nationalsozialisten und Konservativen gebildet. Noch problematischer - und eindeutig die Sichtweise der nationalsozialistischen Verfolger wiedergebend - ist die Charakterisierung der (von der Gestapo so bezeichneten) "Roten Kapelle" als verschwörerische Organisation. Sie war statt dessen eine Widerstandsgruppe wie viele andere auch, die den Sturz des verbrecherischen nationalsozialistischen Regimes anstrebte. In einem ganz dezidierten Sinne und zudem fast erfolgreich haben dies auch die Männer und Frauen vom 20. Juli 1944 versucht. Umso erstaunlicher ist, dass der häufig als "Aufstand des Gewissens" apostrophierte Militärputsch als "Verschwörung" bezeichnet und damit - gewollt oder nicht gewollt - negativ charakterisiert wird.

Insgesamt ist also festzustellen, dass äußerst unterschiedliche und auch unterschiedlich bezeichnete Phänomene als "Verschwörungen" gelabelt werden. Einmal Gruppen und Handlungen des deutschen Widerstands, die nach unserem Rechts- und Verfassungsverständnis (Art. 20,4 GG) legitim und rechtens waren. Zweitens kriminelle, skandalisierte und zum Teil auch bestrafte Machenschaften wie die des amerikanischen Präsidenten Nixon. Drittens faschistische Putsche wie der Pinochets. Viertens wirklich existierende geheime Organisationen mit krimineller und/oder terroristischer Zielsetzung wie die italienische Loge "Popaganda Due" und die serbische "Schwarze Hand". Fünftens schließlich "Verschwörungen" wie die der Ärzte Stalins, die es überhaupt nicht gegeben hat und die statt dessen in bestimmter meist antisemitischer Absicht konstruiert wurden: also nicht Verschwörungen, sondern Verschwörungsideologien waren. Und von diesen Verschwörungsideologien gab es viele und gibt es immer mehr.

Daher ist es sinnvoller, zuerst und vor allem die Genese und Funktion, Träger und Adressaten dieser Verschwörungsideologien mit ideologiekritischen Methoden zu analysieren als zu prüfen, ob es wirklich eine Verschwörung war, was, wie dargestellt, schon begrifflich äußerst problematisch ist und faktisch immer auf Grenzen stößt. Denn wenn man nachweist, dass es die in Frage kommende Verschwörung gar nicht gegeben hat, wird dies von dem Verschwörungsgläubigen mit dem Argument zurück gewiesen, dass dies ja das Verschwörerische an der Verschwörung sei. Der Verschwörungs-Igel ist daher immer schon vor dem verschwörungskritischen Hasen am Ziel. Sich mit einem Verschwörungsgläubigen auf die Diskussion des Wahrheitsgehalts seiner Verschwörung einzulassen ist so als ob man dem Teufel den kleinen Finger reicht, denn der nimmt sofort die ganze Hand.

Und wenn wir schon mal beim Teufel sind, so möchte ich in diesem Zusammenhang meine These bekräftigen, dass, wann immer von ihm und seinen "Agenten des Bösen", vor allem von Juden die Rede ist, wir es mit Sicherheit mit Verschwörungsideologien zu tun haben. Diabolisten gleich welcher Konfession und Antisemiten gleich welcher Couleur sind daher besonders anfällig für Verschwörungsideologien.

Hinzu kommen jedoch auch Linke oder betont links sein wollende Menschen, die bei jedem (und keineswegs nur wie die Antisemiten beim israelischen Mossad) Geheimdienst Verschwörungen vermuten. Ihre Geheimdienst-Kritik ist noch verständlich, ihre Geheimdienst-Phobie jedoch nicht. Vor allem dann wenn sie sich gegen den bösesten Geheimdienst aller bösen Geheimdienste richtet - dem CIA. Der CIA ist heute für die Linken das, was Tscheka und GPU für die Rechten und Faschisten war - geradezu ein Verschwörungsmonster, dem man aber nun wirklich alles Böse zutraut. Selbst das In-die-Luft-sprengen von Hochhäusern im eigenen Land.

Zu den gewöhnlichen Linken kommen noch die gewöhnlichen Menschen beiderlei Geschlechts und jeglichen Standes. Wenn die etwas Außergewöhnliches, Tragisches und scheinbar Unerklärliches sehen oder lesen, denken die auch gleich an eine Verschwörung. So etwa, als die sichtbar magersüchtige Prinzessin Diana von einem vermutlich angetrunkenen Fahrer gegen eine Pariser Betonwand geschmettert wurde, was natürlich unnötig und tragisch, aber kein Grund war, erstens Verschwörung zu wittern und zweitens in eine Massenhysterie zu verfallen. Diese erinnerte an diejenigen, welche in der Frühen Neuzeit wegen und gegen die "Hexen" veranstaltet wurden, die der teuflischen Verschwörung beschuldigt wurden.

Mit dem Wort Hysterie ist ein weitere Erklärung dafür genannt, warum so viele Menschen so gerne an Verschwörungen glauben. Haben wir es hier mit einem psychischen Defekt zu tun? Ich weiß es nicht, und so lange mir die Psychologen dies nicht weis machen können, glaube ich es auch nicht. Es sei denn, dass man wirklich eine psychische Verschwörungskrankheit finden oder ein Verschwörungs-Gen oder Gehirnteil ausfindig machen kann. Doch dies ist bisher genauso wenig geschehen wie die behauptete anthropologische Verschwörungs-Konstante bewiesen worden ist.

Alle bisher genannten Beispiele haben eins gemeinsam: Sie sind gemacht worden. Sei es als bewusste und auch so intendierte Verschwörungs-Ideologien; sei es als ehrlich geglaubte und gefürchtete Verschwörungs-Verdächtigungen; sei es aber auch als banale und alltägliche Verschwörungs-Geschichten. Dieses Konstruieren von Verschwörungen wird immer einfacher, je mehr wir wissen oder zu wissen scheinen. Mit diesem wachsenden Wissen kann man alles mögliche beweisen. Vor allem im und durch das Internet, das zu dem zentralen Medium der Verschwörungen geworden ist und in dem sich Verschwörungsideologen so richtig austoben können. Verschwörungen im Internet zu behaupten ist leicht, sie im und mit dem Internet zu widerlegen ist dagegen kaum möglich. Die traditionellen Methoden der Ideologiekritik versagen, weil sich die verschwörungsideologische Spur im Nirgendwo verliert.

Hinzu kommt noch etwas anderes. Die Bequemlichkeit. Warum soll man sich mit umfangreichen und schwierigen Erklärungen über die immer umfangreicher und schwieriger werdenden Probleme dieser Welt - Klima und Umwelt, Globalisierung und Terror et cetera - beschäftigen, wenn es eine einfache Erklärung und Lösung gibt - die Verschwörung.

Aufklärung war schon immer ein schwieriges Geschäft und setzte das Bohren von wirklich dicken Brettern voraus, doch Aufklärung in der heutigen (Schein-) Informationsgesellschaft zu betreiben ist mehr, ist das Bohren von Beton. Verschwörungen haben einen Fetischcharakter, dessen ideologischen Charakter mit ideologiekritischen, psychologischen oder sonstigen Methoden zu enthüllen immer schwieriger wird. Daher wird es weiterhin Verschwörungen geben, obwohl es sie eigentlich gar nicht gibt.