Auf den Spuren des Rechts

Uwe Wesels Gang durch die Geschichte des Rechts

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rechtshistorische Studien finden sich zu fast allen Bereichen der Geschichte, wie beispielsweise zur römischen oder mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Es gibt keine Epoche, die nicht durch den Grundriss eines Rechtshistorikers beleuchtet worden wäre. Auch einzelne bedeutende Prozesse - wie der Erich Honeckers - wurden in allen Einzelheiten aufgerollt. Die Trennung von Antike und Neuzeit ist dabei aber übliche Praxis. Werke, die die gesamte Geschichte des Rechts beinhalten, wurden nur zaghaft in Angriff genommen. William Seagles "Weltgeschichte des Rechts" - 1941 in den Vereinigten Staaten, 1951 als Übersetzung in Deutschland erschienen - hat solch einen Versuch gewagt. Ein Buch, das in erster Linie nicht nur für Juristen, sondern auch für Laien gedacht war. Um beiden Zielgruppen gerecht zu werden, müssen selbstverständlich Abstriche in Kauf genommen werden. Einschränkungen, die natürlich stellenweise zu Lasten wissenschaftlicher Substanz gehen und letzten Endes weder der einen noch der anderen Interessengruppe zum Vorteil gereichen und bei genauer Betrachtung einen eigentlich unmöglich zu bildenden Konsens ergeben sollen. Eigentlich - wäre da nicht das Buch Uwe Wesels.

Mittlerweile liegt die dritte Auflage seines Klassikers "Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart" vor. Wie der Titel bereits andeutet, wird unter Berücksichtigung von Anthropologie und Ethnologie ein Bogen vom unmittelbaren Beginn des Rechts in der Frühgeschichte über die Antike und das Mittelalter bis zur Neuzeit geschlagen.

Von den durch die Neolithische Revolution sesshaft gewordenen Jägern und Sammlern ist nicht viel überliefert. Unsere Kenntnisse beziehen wir aus den heute noch existierenden Naturvölkern. Ihre herrschaftslose Gesellschaft kannte kein Recht - jedenfalls nicht das, was wir heute darunter verstehen. Für das erste schriftlich überlieferte Recht muss ein Zeitsprung in das dritte Jahrtausend vor Christus in den Süden Mesopotamiens beziehungsweise in das zweite Jahrhundert vor Christus nach Babylon unternommen werden. Hier entstanden die ersten Kodifikationen, nämlich der sumerische Codex Urnammu und der aus dem babylonischen Recht stammende Codex Hammurabi.

Bei den Ägyptern fällt die Quellenlage dürftiger aus; die Entstehung einer staatlichen Ordnung zeitgleich mit der Mesopotamiens ist wesentlich zentralistischer organisiert - eine Tatsache, die womöglich auch das Fehlen ägyptischer Gesetze erklären könnte. Zwar wurde im Zuge von Ausgrabungen im Grab eines Wesirs der 18. Dynastie ein Bild gefunden, welches ihn während einer Gerichtsverhandlung darstellt. Beiliegend findet sich die Dienstanweisung des Pharao an den Wesir, bestehend aus 27 Paragraphen. Danach sollen bei jeder Amtshandlung neben anderen Voraussetzungen auch 40 Rollen ausgebreitet werden. Uneins ist sich die Wissenschaft, ob das Wort, das Rolle bedeuten soll, tatsächlich auch so übersetzt werden kann. Gewichtige Gründe sprechen dafür, dass es sich statt um vierzig Lederrollen um vierzig die Staatsgewalt symbolisierende Lederpeitschen handelt. Damit wäre der einzige "Beweis" für die Existenz von Gesetzen im alten Ägypten widerlegt oder zumindest zur Klärung der Frage unbrauchbar.

Dem hebräischen folgt das griechische Recht. Hervorzuheben ist die Skizzierung des Prozesses gegen Sokrates, die Auszüge aus Platons "Apologie" enthält, in der Sokrates' Verteidigungsrede wiedergegeben ist. Dem römischen Recht ist selbstverständlich ein langes Kapitel gewidmet. Die Schriften der klassischen Juristen sind zum größten Teil in der Kodifikation des oströmischen Kaisers Justinian erhalten, dem Corpus Iuris Civilis. Durch dessen Rezeption im 12. Jahrhundert wurde er für Europa die bedeutendste und einflussreichste Rechtsquelle. Zwar kam dem römischen Recht nur subsidiäre Bedeutung zu, doch änderte dies nichts daran, dass es aufgrund seines durch flächendeckende Verbreitung entstandenen Übergewichtes deutsches Partikularrecht größtenteils verdrängen konnte. Sein formales Ende fand das römische Recht durch das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches. 1871, im Jahr der Gründung des Deutschen Reiches, war ein einheitliches Zivilrecht noch nicht geschaffen worden, sieht man vom Handelsrecht und dem einheitlichen Pandektenrecht ab. Durch die lex Miquel-Lasker, die die gesetzgeberische Zuständigkeit des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht erweiterte, wurde der Weg für das Bürgerliche Gesetzbuch geebnet, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat.

Das "Dritte Reich" sowie die Deutsche Demokratische Republik bilden aus rechtsstaatlicher Sicht Tiefpunkte. Grundlegende Rechtsprinzipien und -garantien wurden in kurzer Zeit völlig außer Kraft gesetzt. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot Nulla poena sine lege - in Art. 116 der Reichsverfassung garantiert - wurde im Nationalsozialismus durch die "lex van der Lubbe" ausgehebelt und diese Vorgehensweise durch das Reichsgericht im Urteil des Reichstagsbrandprozesses letztlich bestätigt. Dem Todesurteil über van der Lubbe folgten zwar die Freisprüche der vier anderen Angeklagten. Aber die ohnehin beabsichtigte Reaktion - nämlich die Neugründung des Volksgerichtshofes in Berlin - ließ nach und nach auch die letzten Verteidigungsbastionen rechtsstaatlicher Prinzipien fallen.

Die Bundesrepublik Deutschland schließt das Kapitel der Rechtsgeschichte der Neuzeit. Das Grundgesetz, die Schwächung der Stellung des Bundespräsidenten bei gleichzeitiger Stärkung des Bundeskanzlers und ein mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattetes Bundesverfassungsgericht sollen eine Aushöhlung der Verfassung unmöglich machen. Neuere Vorstöße im Arbeits-, Miet- und Europarecht zeigen aktuelle Tendenzen und Entwicklungen auf.

Die 651 Seiten lange Tour d'Horizon durch die Geschichte des Rechts, vorbei an komplizierten Sachverhalten und Urteilen, ist für den Leser ein kurzweiliger Spaziergang. Mit seinem anschaulich-lebendigen Schreibstil, der nicht zu Lasten der Wissenschaftlichkeit seiner Ausführungen geht, gelingt es Wesel, ein Publikum anzusprechen, das sich nicht nur aus Juristen mit rechtshistorischem Interesse rekrutiert. Das Werk garantiert einen fundierten Einblick in die Geschichte des Rechts auf gewinnbringende und vor allem abwechslungsreiche Weise.


Titelbild

Uwe Wesel: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
651 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3406547168
ISBN-13: 9783406547164

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