Marginal monkey

Cornelius Medvei's Debütroman "Mr. Thundermug" erzählt von einem sprechenden Pavian, dessen Fähigkeit bald schon Probleme mit sich bringt

Von Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Köther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die spektakulären Errungenschaften des Sprechens und hoher Intelligenz für einen Pavian auch zur Last werden können, erfährt Mr. Thundermug in Cornelius Medveis gleichnamigen Roman recht schnell. Anfangs sind es noch Vorurteile und Ignoranz, die er mit dem ihm eigenen Sarkasmus und zornigen Flüchen kontert; am Ende wird er sich vor Gericht gegen bürokratischen Irrsinn verteidigen müssen.

Aufgrund eines Mutationssprunges kann Mr. Thundermug nicht nur mit reichem Wortschatz sprechen, nicht nur mit ebenso simpler wie bestechend einleuchtender Logik streiten und diskutieren, er ist darüber hinaus Autodidakt, hat anfangs halb dösend zuerst den Einwohnern eines Pflegeheimes gelauscht, schließlich dem Fernseher im Aufenthaltsraum einer Polizeiwache. Hier hört er in einem Dokumentarfilm und in einer Fernsehserie auch die Namen, die er daraufhin sich und seiner Familie gibt - die bedauerlicherweise sein Talent nicht teilt und sich vollkommen unempfänglich für die Sprachlehrversuche des Familienoberhauptes zeigt. Und will Mr. Thundermug doch eigentlich nur in Frieden seinen Alltagsgeschäften wie dem Durchstöbern der nachbarlichen Mülltonnen, dem Entlausen und der trauten Zweisamkeit mit Mrs. Thundermug nachgehen - seine 'Mitmenschen' im Allgemeinen und die Bürokratie im Besonderen wissen dies zu verhindern.

Selbst als der Pavian krank wird und knapp vom Behandlungstisch des Tierarztes fliehen kann, der die Spritze schon mit Affengift gefüllt hat, ist dies kein großes Problem: Der aufsässige Affe, der doch nur "auf angemessener medizinischer Versorgung" besteht, macht in der Ambulanz des Krankenhauses unter Hinweis auf die "himmelschreiende Diskriminierung" so lange Radau, bis er sich eine große Papiertüte mit allen möglichen Medikamenten füllen darf. Nach einer Woche Bewusstlosigkeit ist "er rundum wiederhergestellt". Das größte und hartnäckigste Problem jedoch bleiben die leidigen Behörden: Die Affen wohnen seit ihrer Ankunft in der Stadt in einer Sozialwohnung - naturgemäß ohne auf einer Liste für Sozialwohnungsanwärter zu stehen, noch dazu in einem aufgrund einer Kakerlakenplage eigentlich unbewohnbaren Haus. Anlass genug, den Pavian schon aus Prinzip mit Auflagen und Briefen zu belegen. Am Ende kommt es, wie es kommen muss: Wenn der Affe auch versucht, den menschlichen Gesetzen zu folgen, zeigen sich dessen Vertreter doch bald ebenso penetrant wie überfordert. Da in seinem Haus seine Frau und Kinder leben, und er, entgegen der in dieser Hinsicht leicht irre führenden Umschlagsillustration und aus Angst, Fellwuchs und die Leuchtkraft seines Hinterteils könnten Schaden nehmen, niemals Kleidung trägt, wird er wegen unsittlicher Entblößung und Tierquälerei angeklagt.

Dabei steht er keineswegs mit allen Menschen auf Kriegsfuß: Mit der ehemaligen Grundschullehrerin seiner Kinder, die die Schule allzu bald wieder verlassen mussten, weil sie bei ihren Kameraden affenähnliches Verhalten auslösten, verbindet ihn große gegenseitige Zuneigung, man diniert und diskutiert - und nach der Entlassung Mr. Thundermugs sind beide nicht mehr unter ihren alten Adressen auffindbar.

Cornelius Medveis Roman kombiniert eigentlich keine vollkommen unbekannten Motive: Es ist eine Geschichte vom Menschlichen im Affen, von einer tierisch genialen, grotesken Außenseiterfigur, die nicht nur in bester Tradition manch anderer literarischer Protagonisten der Romantik und des 19. Jahrhunderts steht, sondern auch ihr menschliches Umfeld überfordert und sich am Ende, ohne selbst den Konflikt gesucht zu haben, vor dem System verteidigen muss und scheitert.

Trotzdem - das Buch ist eine willkommene Abwechslung, und die Bilder in den knapp über hundert Seiten sind äußerst unterhaltsam: Etwa als Mr. Thundermug unter dem Nachthimmel über den Gibbon im Mond sinniert. Oder etwa, als der engstirnige Vertreter der Stadtverwaltung, Mr. Forrest, der stets die städtisch-administrative Autorität gewahrt wissen will, die Paviane in dem von ihnen angeblich besetzten Haus aufsucht und dem wohl bereits Böses ahnenden Mr. Thundermug vorhält, dass einer der drei Gründe, weshalb die Paviane eigentlich nicht dort wohnen können, sei, dass das Haus von einer Kakerlakenplage befallen und daher unbewohnbar sei: "'Keineswegs', sagte Mr Thundermug sehr zufrieden. 'Wir haben sie alle aufgegessen.' 'Erzählen Sie das jemand anderem', sagte Mr Forrest mit schlecht verhohlenem Ekel. 'Nichtsdestotrotz ist es so', erwiderte der Pavian und tätschelte sich bei der Erinnerung liebevoll den schrumpligen Bauch."

Liest man "Mr. Thundermug" als Parabel, dann ist es wohl eine, die die ewige, dem Menschen eigene Borniertheit und die stetig perfektionierte bürokratische Beschränktheit bloßlegt und persifliert. Als mutierter Affe hat man es in einer Gesellschaft mutierter Affen eben oft nicht leicht.

Der Stadtsoziologe Robert Ezra Park prägte in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts den Begriff des marginal man, als ein Phänomen, das er ursprünglich in den Einwanderergruppen der amerikanischen Großstädte identifizierte und das längst seinen Weg auch in gruppenpsychologische Diskurse gefunden hat: Der marginal man bewegt sich in einem Grenzbereich, gehört zwei grundverschiedenen Kulturen an und ist so eine Figur, die vom Nicht-mehr und Noch-nicht bestimmt wird. In dieser Kenntnis zweier Kulturen oder Gruppen - und einem erst so möglichen, objektiven, kritisch-vergleichenden und distanzierten Blick auf sie - hat er, so Park, die Fähigkeit zu Einsicht, Emanzipation und Kritik. Und so ist auch Mr. Thundermug in gewisser Weise ein marginal man, vielmehr ein marginal monkey, der sich im Grenzbereich zwischen Affe und Mensch bewegt und plötzlich in kein Raster und keine Ordnung mehr passt - erstaunlich und eine unerhörte Begebenheit.

In der Erzählung lässt Medvei den Leser über Zeit und Ort der Handlung im Unklaren. Die Geschichte spielt in der Moderne, das ist klar, es gibt U-Bahnen und Autos. Die Namen der Protagonisten sind zwar englisch, aber die Stadt als solche bleibt wunderbar undefiniert: Man könnte Südostasien vermuten, glaubt den Monsun zu erkennen über der Stadt, die von Tempeln, Melonen- und Ananastürmen in den Straßen, Fahrrädern und einer sich weit ausdehnenden Stadtmauer ebenso beherrscht wird wie von in ihrer Rechtsprechung wenig flexiblen Richtern in englischen Perücken. All dies scheint nur eines zu unterstreichen: Mr Thundermug ist überall.


Titelbild

Cornelius Medvei: Mr Thundermug.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
118 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783406570322

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