Ein Baggersee am Ende der Welt

Gergely Peterfry webt in seinem Roman "Baggersee" ein surreales Geflecht

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Menschen, die an den Baggersee kommen, kommen um zu ertrinken, so der Wächter. Wächter ist er nur, weil er auf dem Stück Stoff auf seiner Jacke jedes Frühjahr die Schrift mit einem blauen Stift neu nachzieht. Die Farbe ist wichtig, denn wenn es grün gewesen wäre, hätten sie ihn vielleicht nicht zusammengeschlagen, vermutet er. Er, der den See bewacht, ist nur einer der Protagonisten in diesem Panorama der gestrandeten und von der Gesellschaft ausgestossenen Figuren, deren Mittelpunkt die Trinkstube am Baggersee ist. Dorthin kommt auch der Verehrer der Witwe Katalin, die er über eine Zeitungsannonce kennen gelernt hat und die er nun besuchen will. Er scheitert an der Unmöglichkeit eines Aufbruchs, und beide verschwinden wieder aus dem Bild, ohne dass sie einander begegnet sind. Ebenso die "böse" Vera, die sich ein Haus baut und mit einem Maler einen Sommer lang zusammen lebt. Anti, der Aussteiger, lehnt es, trotz der eindringlichen Versuche seiner Frau und seines Bruders ab, in die bürgerliche Existenz zurückzukehren und zieht ein Leben im ausrangierten Ikarus-Bus, umgeben von sich immer wieder verdoppelnden Stimmen vor.

Alles und jeder in diesem Panorama ist fremd und einsam, und keiner der Figuren gelingt es, aus diesem Dilemma zu entfliehen, denn nur hier, so scheint es, können sie eins mit sich sein und völlig eintauchen in ihre Existenz und deren Abgründe. So sind Verschwinden und Scheitern die einzigen Konstanten in dieser ruhigen und trägen Welt am Baggersee. Es ist ein magischer, fremder Ort. Ein Ort, der den Müll und Abfall der Gesellschaft anzieht und an seinem Grund sammelt. Die nicht mehr benutzen Förderbänder, Fahrräder, ausgefransten Tonbänder und löchrigen Waschschüsseln ebenso wie die toten und erstickten Schwimmer. Die Menschen, die diesen Alptraum bewohnen, sind Grenzgänger zwischen Leben und Tod, am Rande der Gesellschaft. Sie bewegen sich in ihren eigenen Grenz-Welten, die für die anderen unzugänglich bleiben. Ein Ort, an dem nichts Fruchtbares entsteht, sondern der für alles und jeden ein Ende bereithält.

Péterfry hat hier einen Roman geschrieben, der an Dichte und Komprimierung seinesgleichen sucht. Auf wenigen Seiten gelingt es ihm, dem Baggersee einen nahezu magischen Charakter zu verleihen. Das surreale Geflecht der Figuren und die Beziehung untereinander, die oftmals einen traumhaften und visionären Charakter und Blick annehmen, offenbart sich erst nach und nach und hinterläßt einen tiefen Eindruck.


Titelbild

Gergely Peterfy: Baggersee. Roman.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Agnes Relle.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008.
143 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054301

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