Ein Leben in drei Akten

Das Deutsche Historische Museum Berlin präsentiert eine Ausstellung zu Stefan Zweig

Von Nils KasperRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Kasper

Im Sommer 1933 richtet Albert Einstein an den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig die folgenden Zeilen: "Die Wahl meines Aufenthaltsortes aber ist für mich nicht mit Gefühlen belastet und das Bewußtsein, deutschen Boden nicht mehr betreten zu können, wiegt für mich nicht schwerer, als dem Quotienten des Flächeninhaltes dieses Landes und der Erdoberfläche entspricht. Es wird gewissermaßen ein psychisches Erdbeben auf jungkultiviertem Grunde konstatiert und weiter nichts."

Wie sehr sich Stefan Zweigs eigene Emigrationserfahrung von der nüchternen Einschätzung des Naturwissenschaftlers unterscheidet, bezeugt das im brasilianischen Exil entstandene Spätwerk des Schriftstellers "Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers". Darin nimmt er Abschied von einer mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und dem 'Anschluss' Österreichs an das Deutsche Reich endgültig versinkenden Epoche der Humanität, der Freiheit und bürgerlichen Konzilianz und zeigt zugleich, wie nah er selbst jeweils als Österreicher, als Jude, als Schriftsteller, als Humanist und Pazifist an den Epizentren jenes "psychischen Erdbebens" gestanden hat.

Mit jenem Erzählband, den er nur wenige Wochen vor seinem Freitod in Brasilien 1942 abschloss, erweist Stefan Zweig zugleich mit seinen Zeitgenossen und Freunden auch einem Geist seine Referenz, dem nicht zuletzt er selbst mit seinem Werk den Adel weltbürgerlichen, europäischen Denkens zumaß. Die Berliner Ausstellung folgt diesem stark autobiografischen Werk, für das ursprünglich der Titel "Drei Leben" vorgesehen war. Gerade indem die Kuratoren Klemens Renoldner und Oliver Matuschek Zweigs Selbstinterpretation und -inszenierung in ihr Konzept aufnehmen, vermögen sie der Schriftstellerindividualität besonders nahezukommen. So bleibt keins der Exponate beziehungslos-beliebiger Alltagsgegenstand: Eine Briefklammer für unbezahlte Rechnungen, ein Spazierstock mit Monogramm werden so etwa zu Requisiten aus Zweigs Leben, die seine Angst vor dem Bankrott im Exil wie seine Neigung, ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen, anschaulich machen.

Dank dieser übersichtlichen und beziehungsreichen Anordnung der präsentierten Gegenstände lässt die Ausstellung ihr Ordnungsprinzip erkennen. Übergroß fotokopierte handschriftliche Notizen aus den "Erinnerungen" leiten in Zweigs eigener Reflexion durch die Stationen seines Lebens: Wien, Salzburg, Brasilien. Eine Erstausgabe der "Silbernen Saiten", deren Abfassung noch in die Wiener Gymnasialzeit fällt, bezeugt seine früh erwachten literarischen Ambitionen. Daneben ein Schulzeugnis, das ihn trotz unguter Erinnerungen an den "kalten Lernapparat" als Musterschüler ausweist.

Im windstillen Milieu bürgerlicher Gemächlichkeit als Sohn eines wohlhabenden Textilfabrikanten aufgewachsen, suchte Zweig zeitig Anschluss an die Künstlerkreise seiner Geburtsstadt Wien. Da es dem älteren Bruder aufgegeben war, den väterlichen Betrieb weiterzuführen, war durchaus an eine Karriere als Schriftsteller zu denken. Schon während der Schuljahre an ein gewaltiges Arbeitspensum gewöhnt, schloss er sein Germanistik- und Romanistikstudium nach nur vier Jahren in Berlin mit der Promotion ab. Zahlreiche Reisen führten ihn durch die Länder Europas und ließen ihn schließlich, inzwischen mit Friderike Maria von Winternitz verheiratet, nach Österreich zurückkehren. In Salzburg erwarb er ein respektables Anwesen, das dem beizeiten zu Weltruhm gelangten Autor und Lebemann zustatten kam.

Die Ausstellung zeigt eine Fotografie von Beethovens Schreibtisch, der ihm neben zahlreichen anderen Sammlerstücken in der Salzburger Zeit zur Möblierung seines ganz auf Kunstgenuss und Schöpferkult gestimmten Daseins diente. Sein antiquarischer Enthusiasmus für alles Schöpferische offenbart sich überdies in einer rund 1.000 Stücke umfassenden Sammlung von Originalhandschriften - Goethes "Mailied" schmückte eine seiner häuslichen Wände. Eine Tonaufnahme vermittelt den Eindruck seiner Stimme - fest, klar, beinah schnarrend - und lässt, wie auch die präsentierten Fotografien, einen energischen Charakter vermuten.

Jedes der ausgestellten Bilder zeigt ihn im Bewusstsein der eigenen Wirkung stets mit wachem Blick und einem, unter seinem Schnurrbart angedeuteten, vielleicht ironischen Lächeln. Stefan Zweig betrieb die Vermarktung seines Werkes professionell. Das "Hauptbuch", eine großformatige, sorgsam geführte Registrierkladde, gibt Auskunft über Jahr, Sprache und die mit den Verlegern vereinbarten Konditionen, zu denen seine Arbeiten erschienen.

Nach der öffentlichen Verbrennung seiner Bücher im Jahr 1933 und von einer Hausdurchsuchung 1934 endgültig indigniert, verließ Zweig Salzburg und versuchte vergeblich, im südenglischen Bath Ruhe zu finden. Auf einer Fotografie aus dem Jahr 1935 begegnen wir ihm an Bord eines Schiffes: In selbstgewisser Pose, mit Sonnenbrille und modischem Anzug. Nichts deutet auf seine Notlage hin. Schräg neben ihm an Deck ein ausgewachsener Ochse, der Zweigs Ehefrau dazu reizte, auf die Rückseite des Bildes später boshaft zu notieren: "Zwei Prachtexemplare. Jeder in seinem Fach ein Held."

Als seine Ehe mit Friderike zu scheitern beginnt, entschließt er sich, das Salzburger Anwesen samt den Erinnerungsstücken zu verkaufen. Einen Schreibtisch, den er einzig zurückbehält, kommentieren die Aussteller mit einer an die Ehefrau gerichteten Briefzeile des Emigranten: "Ich hänge an gar nichts, will nur freien Kopf." In diesem letzten, wütenden Versuch, die eigenen Wurzeln zu durchtrennen, liegt schon Resignation, vielleicht Verbitterung. Weitere Reisen führen ihn durch Nord- und Südamerika schließlich nach Brasilien, wo er sich, inzwischen in fast vollständiger Isolation, gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Lotte Altmann am 23. Februar 1942 das Leben nimmt.

Soll in einer Ausstellung das Leben eines Schriftstellers präsentiert werden, so besteht immer die Gefahr, den Besucher mit hinter Glas verschlossenen Erstausgaben und endlosen Texttafeln zu ermüden oder ihn mit angehäuften Anekdoten und Belanglosigkeiten aus dem Leben des Künstlers zu langweilen. Den Organisatoren der Berliner Ausstellung ist es hingegen durch kluge Auswahl und Anordnung der Exponate gelungen, tatsächlich eine begehbare Biografie zu gestalten, die vielleicht den Funken überspringen lässt: Von Zweigs Begeisterung für das Schaffen Anderer zur Faszination des Besuchers an dessen eigenem Werk. Die Ausstellung ist bereits in mehreren Ländern Europas, Lateinamerikas sowie in Israel präsentiert worden. In Berlin wird sie unter dem Titel "Die drei Leben des Stefan Zweig" noch bis zum 12. Mai 2008 zu sehen sein. Der Katalog kostet 10 Euro.