Der Sohn reist, der Sohn schreibt

Zur Edition August von Goethes Reisetagebuch 1819

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

August von Goethe reist in Begleitung seiner Frau Ottilie im Mai 1819 in den Norden, nach Preußen und Sachsen. Es sollte die erste und letzte Reise mit seiner Frau sein. Während der Reise schreibt er Tagebuch. Die vorliegende Edition enthält nicht nur dessen Wortlaut, sondern ergänzt diesen durch eine Reihe bisher unveröffentlichter Briefe aus dem gesellschaftlichen Umfeld des Verfassers - jeweils die Reise betreffend. Dabei haben die Herausgeber sich entschlossen, die Briefe in den chronologischen Verlauf des Tagebuchs einzuordnen, was sehr zur Lesefreundlichkeit des Buches beiträgt.

Die Reise beginnt am 4. Mai 1819 und führt das Paar nach Potsdam, Berlin, Dessau, Torgau, Dresden und abschließend in die Sächsische Schweiz. Dabei war der im Zentrum der Reise stehende längere Aufenthalt in Berlin vor allem den repräsentativen Aufgaben geschuldet. August war von seinem Vater mit einem Bündel von Aufträgen versehen worden. August und Ottilie übernahmen für Johann Wolfgang Goethe die repräsentativen Aufgaben, die dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten konnte. Dabei waren die Beziehungen, die der Dioskur nach Berlin aufgebaut hatte, vielfältig - nicht zuletzt die enge Beziehung zu Carl Friedrich Zelter, der auch 1819 ein wichtiger Bezugspunkt für die Reise von August war.

Neben den unveröffentlichten Briefen unter anderem von Ottilie und Adele von Schopenhauer finden sich Ausschnitte der Korrespondenz von Ottilie mit ihrer Familie in dem vorliegenden Band. Die Herausgeberin hat eine spannende Collage geschaffen, die vielfältige Einblicke nicht nur in das Reisegeschehen und die gesellschaftlichen Kontakte in den Reiseorten erlaubt, sondern auch die persönlichen Beziehungen des Ehepaars untereinander und das durch und durch problematische Vater-Sohn-Verhältnis intensiv beleuchtet. Dabei hat die Herausgeberin in dieser inhaltlich stoffreichen Edition auch die formalen Aspekte nicht aus den Augen verloren. Hervorzuheben ist dabei die kompetente Einleitung, die Problemverläufe und Kontext harmonisch miteinander verbindet. Die Edition folgt neuesten Kriterien, wobei einige Angleichungen und Egalisierungen eigentlich nicht nötig gewesen wären: "Die zeitgenössisch üblichen Datumsmarkierungen [...] werden durch den heute gebräuchlichen Punkt ersetzt. Die Differenzierung in deutsche und lateinische Buchstaben in der Handschrift wird im Druck nicht wiedergegeben. [...] Die zahlreichen Absätze in der Handschrift werden gelegentlich getilgt [...]". Auf solche "gelegentlichen" Eingriffe hätte man verzichten sollen.

Nützlich ist der umfangreiche, mehr als ein Drittel des Bandes umfassende Anhang, der neben den Anmerkungen, annotiertem Register, einem Literaturverzeichnis und so weiter wichtige Leserinformationen enthält, die den Textteil ergänzen. Hierbei macht sich positiv bemerkbar, dass die Herausgeberin 1999 schon den Band "Auf einer Reise nach Süden" über August von Goethe vorgelegt hatte. Zusammenfassend eine sehr gut lesbare und ihrem eigenen Gegenstand gegenüber kritische Edition zum Umfeld Goethes, das auch von Kultur-, Sozial-, Geschichts- und Literaturwissenschaftlern berücksichtigt werden sollte.


Titelbild

August von Goethe: Wir waren sehr heiter. Reisetagebuch 1819.
Herausgegeben von Gabriele Radecke.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783351032098

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