Schussfahrt

Über Jean-Patrick Manchettes Krimiklassiker "Fatale"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Bedeutung Jean-Patrick Manchettes für die französische Krimiszene ist kaum zu überschätzen. Seine nun auch ins Deutsche übersetzten Kritiken, mit denen er den neuen französischen Krimi, den "Neopolar" förderte ("Chroniques. Essays zum Roman noir"), haben seine Nähe zum amerikanischen Hard-boiled-Krimi gezeigt, seine eigenen Krimis demonstrieren aber, dass Manchette nicht nur ein später und dann auch noch linksradikaler Erbe der amerikanischen Ur-Väter war, sondern auch ein harter und schneller Krimischreiber, der der knappen und filmgerechten Story verpflichtet ist. "Fatale" ist dafür der Beweis.

Keine unnötiger Satz, keine ausschweifenden Exkurse in das Vorleben der Helden, keine atmosphärischen Studien, keine Ablenkung von der Hauptsache, und die ist hier sehr mörderisch.

Schon der Anfang zeigt Manchette auf der Höhe seiner Meisterschaft. Ein Jäger wird von einer jungen Frau niedergeschossen, kein Unfall, sondern Mord. Danach verschwindet die Frau aus der Gegend, wechselt Aussehen und Namen. Die Sache hat sich gelohnt, denn im Zug, mit dem sie flieht, schwimmt sie halbwegs im Geld. Der Tod des Jägers war irgendetwas zwischen 25 und 30.000 Franc wert.

Die junge Frau fährt direkt zu ihrer nächsten Wirkungsstätte, einem kleinen Städtchen namens Bléville, wo sie sich Aimée Joubert nennt. Kaum angekommen macht sie sich an ihre Arbeit. Sie gibt vor, ein Haus kaufen zu wollen und kommt dabei mit einem Notar ins Gespräch. Der macht sie mit den anderen Mitgliedern der kleinen Welt von Blèville bekannt, die etwas zu sagen und zu verteilen haben. Ihr Ziel ist es, herauszubekommen, wer mit wem unter einer Decke steckt und welche Verbrechen und Heimlichkeiten hier vertuscht werden sollen, die sie nutzen kann. Es gibt immer etwas: ein schmutziges Geschäft, die Kollaboration mit den deutschen Besatzern, eine Abtreibung, ein Mord, eine Vergewaltigung. Irgendetwas gibt es immer.

So auch in Blèville. Einen Informanten findet sie in dem durchgedrehten Baron, der seit Jahren nichts anderes tut, als den Notar, den Unternehmer, den Journalisten, den Arzt, mit denen er allesamt verfeindet ist, zu beobachten und Informationen über sie zu sammeln. Aimée lernt ihn kennen, als er auf einem Empfang zur Eröffnung der neuen Fischhalle auf den Flur pinkelt. Ein, sagen wir, drastischer Auftritt, der die beiden Außenseiter verbindet.

Als Aimée droht, die Informationen zu veröffentlichen, die der Baron gesammelt hat, eskaliert die Situation. Aimée verliert die Kontrolle. Sie tötet den Baron und anschließend in einem grandiosen Showdown alle, die im Ort etwas zu sagen haben, einen nach dem anderen. Am Ende flieht sie, schwer verletzt, und niemand weiß, ob sie überleben wird.

Manchettes knapper, nur knapp 150 Seiten langer Roman, ist von gnadenloser Härte und Rasanz. Und gerade das macht seine Stärke aus, gerade das lässt seine Figuren besonders lebendig erscheinen. Die wenigen Seiten, auf denen Aimée gezeigt wird, wie sie trainiert, das Treffen mit ihrem Finanzberater, der glaubt, sie sei eine Prostituierte, der Besuch bei der Mutter, die sie verachtet, die Szenen, in denen die junge Killerin ihre Feinde, die ihr gleichgültig sind, tötet - es sind nur Skizzen, die Manchette vorlegt. Aber aus diesen Skizzen werden schnell äußerst vitale Figuren.

Manchette weicht nicht aus, er lenkt nicht von seinem Fall ab, er legt keine Spuren, die in die Irre führen, er macht uns seine Helden nicht sympathisch und die Bösen nicht unsympathisch, er baut keine Atmosphäre auf. Die kleinstädische Elite ist normal korrupt, nichts Besonderes, sie hat sich ihr Leben und ihre Stadt eben so zurecht gelegt, wie sie am besten von ihr profitieren kann. Sie legt Wert darauf, dass ihre kleinen Schweinereien nicht ans Tageslicht kommen, und zur Not ist sie auch bereit, sich ernsthaft dagegen zu wehren, dass man sie ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Spätestens dann sind ihre Komplizen auch dazu bereit, jemanden über die Klinge springen zu lassen.

Hier spricht wieder einmal - und das ist so selten geworden - die gute alte Habsucht, die - und davon ist Manchette überzeugt - die Welt vorantreibt. Und das auf beiden Seiten. Denn Aimée ist keineswegs jemand, der die Reichen beraubt, um alles an die Armen zu verteilen, niemand, der tötet, um Vergeltung für das große Unrecht zu üben. Aimée ist jemand, die gelitten hat und sich deshalb auf Kosten anderer bereichern will. Sie will das Geld der Reichen, weil die Armen keins haben. Und sie tötet, weil dafür am meisten bezahlt wird.

Man mag darin - ganz im Sinne Manchettes - eine Allegorie des Kapitalismus sehen. Gezeigt werden aber nur die normalen Raubtiere, die nicht beißen, solange sie satt sind und in Frieden gelassen werden. Sie erinnern sich an ihre wahren Fähigkeiten erst dann, wenn es notwendig wird. Manchette zeigt einen Fall, in dem das geschieht.


Titelbild

Jean-Patrick Manchette: Fatale. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Christina Mansfeld.
Distel Verlag, Heilbronn 2008.
148 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783923208814

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