Leben in der Apartheid

Manfred Loimeier zeichnet J. M. Coetzees Werk von der frühen Lyrik bis zu "Tagebuch eines schlimmen Jahres" nach

Von Sylvia LangwaldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sylvia Langwald

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit John Maxwell Coetzee im Jahr 2003 den Literaturnobelpreis erhalten hat, ist der aus Südafrika stammende Schriftsteller eine feste Größe in der Weltliteratur. Doch nicht nur durch die Vielzahl von Preisen, mit denen er ausgezeichnet wurde - darunter bereits zwei Mal der renommierte Booker Prize - gilt Coetzee als Schriftsteller von Weltrang. Die unglaubliche Vielschichtigkeit seiner Werke sowie sein Mut, unbequeme Themen im Umfeld der südafrikanischen Apartheid aufzugreifen, machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der Gegenwartsliteratur. Trotzdem ist bisher keine deutschsprachige Monografie über den vielseitigen Autor veröffentlicht worden. Jetzt legt Manfred Loimeier, der sich auf afrikanische Literaturen in europäischen Sprachen spezialisiert hat, eine umfassende und gründlich recherchierte Studie zu Coetzees Gesamtwerk vor.

Den Fokus seiner Darstellung richtet Loimeier zwar auf Coetzees Romane, jedoch widmet er sich auch den Werken des Südafrikaners, die besonders im deutschsprachigen Raum noch nicht bekannt sind. Dazu zählen sowohl Coetzees Lyrik und Dramen als auch der Debütroman "Dusklands", die zum Teil noch nicht ins Deutsche übertragen wurden. Loimeier greift die roten Fäden, die Coetzees Texte durchziehen, auf und zeigt, dass bereits in den Gedichten die Themen angelegt sind, für die seine Romane bekannt sind. So reflektiert Coetzee Erfahrungen des Andersseins, der Marginalisierung, der Kolonialisierung und das Leben in der Apartheid in ihren unterschiedlichsten Facetten. Die psychische Deformation des Kolonisators ist ein solcher roter Faden, den Coetzee in "Dusklands" zu knüpfen beginnt und in Romanen wie "Im Herzen des Landes" oder "Schande" wieder aufnimmt, um die psychische Deformation dann in eine körperliche Versehrtheit umzuwandeln, die die Deformation der Gesellschaft widerspiegelt.

Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und der Apartheid findet Loimeier auch in Coetzees Erzählweise wieder. Er verwendet Techniken, die in postkolonialen Literaturen die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Macht auf der literarischen Ebene abbilden, wie das Herstellen von intertextuellen Bezügen zu kanonischen Werken der Weltliteratur oder das Rewriting.

Coetzee selbst hat sein Schreiben als dialogisch bezeichnet. Er tritt in einen Dialog mit sich selbst, seinem Leben, seinen Texten und mit den Werken anderer Autoren. Um Coetzees Schreibweise zu betrachten, hat Loimeier eine ebenso dialogische Herangehensweise gewählt: Er versteht es, Bezüge zwischen Coetzees Romanen und dessen literaturwissenschaftlichen Essays herzustellen, um diese in einen Dialog miteinander, aber auch mit Werken von Autoren wie Nadine Gordimer oder Wole Soyinka eintreten zu lassen. Die gründliche Beschäftigung mit den Intertexten fördert zwar interessante Erkenntnisse zu Tage, allerdings verliert Loimeier bei der Analyse der Bezugstexte Coetzees Romane doch oft aus den Augen.

Insgesamt gewährt Loimeiers Herangehensweise aber einen ebenso umfassenden wie erhellenden Einblick in Coetzees Schreiben. Denn dessen Vorliebe für Außenseiterfiguren und deren Marginalisierungserfahrungen weiß Loimeier auch mit der Biografie des Schriftstellers in Einklang zu bringen: Ob als Weißer in Südafrika, der sich für die englische statt für die afrikaane Kultur entschied, oder als Südafrikaner in Großbritannien - Coetzee hat die Position des Außenseiters selbst erfahren, die es ihm ermöglicht, das Leben in der Apartheid zu beschreiben, Kritik an der westlichen Zivilisation und Vernunft zu üben und sich mit dem Thema der Herrschermentalität literarisch auseinanderzusetzen.

Seine Analysen ergänzt Loimeier mit Fotos, Zeichnungen und äußerst interessanten Exkursen zu den wichtigsten Themen rund um Coetzee und das Schreiben im Kontext der südafrikanischen Apartheid. Die kleineren Artikel zur frühen Geschichte Südafrikas, der Zensur und zur Methode des Rewriting bereichern Loimeiers Analyse mit wertvollem Hintergrundwissen und machen die Lektüre seiner Arbeit besonders für die Leser, die sich mit Coetzee zu beschäftigen beginnen, äußerst interessant.

"J.M. Coetzee" ist derzeit die einzige, aktuelle, deutschsprachige Monografie, die sich ausschließlich mit Coetzees Werk beschäftigt - allerdings mit Schwerpunkt auf den Romanen. Es ist jedoch Loimeiers Verdienst, dass er sich auch mit Texten beschäftigt, die noch nicht in deutscher Sprache erschienen sind, und den Blick über die Romane hinaus richtet. Insgesamt bietet Loimeiers Monografie durch ihre multiperspektivische Betrachtungsweise eine gelungene Mischung aus Überblicken und Details und liefert somit, wie es der Klappentext verspricht, einen "einzigartigen Einblick in das Gesamtwerk Coetzees".


Titelbild

Manfred Loimeier: J. M. Coetzee.
edition text & kritik, München 2008.
290 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779164

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