"Douceur terrifiante"

Ewout van der Knaap schreibt über die Rezeption des Dokumentarfilms "Nacht und Nebel"

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn sich der Mediennutzer heute Bilder des Holocausts ins Gedächtnis ruft - und dabei die fiktiven oder nachgestellten Bilder, von der Serie "Holocaust" bis zu Steven Spielbergs "Schindlers Liste", außen vorlässt - dann sind es meist Bilder aus Dokumentationen des Fernsehhistorikers Guido Knopp oder vielleicht noch Situationen aus Claude Lanzmans "Shoah". Weniger bekannt ist, dass bereits 1955 der Franzose Alain Resnais einen 30-minütigen Film, bestehend aus S/W-Material und farbigem Bildmaterial, aus stehendem und bewegtem Bild, produzierte, der einem breiten Publikum bekannt wurde und aus dessen Fundus bis heute immer wieder Szenen für andere Produktionen entnommen werden: "Nuit et Brouillard". Gerade auch durch die musikalische Untermalung Hanns Eislers und die Übertragung der Kommentare ins Deutsche durch niemand geringeren als Paul Celan handelt es sich um ein sowohl historisches als auch künstlerisches Dokument. Der Regisseur Francois Truffaut sprach angesichts des vom Film erzeugten Effektes von "Douceur terrifiante".

Seinen Titel erhielt der Dokumentarfilm, der auf dem Augenzeugenbericht Jean Cayrols und dem dokumentarischen Buch "Tragedie de la Deportation 1940-1945. Témoignages de survivants des camps de concentration allemands" von Olga Wormser und Henry Michel beruht, durch das Dekret Adolf Hitlers vom 7. Dezember 1941. Dieses Dekret besagte, dass alle Bürger, die in besetzten Gebieten Widerstand leisteten und über die nicht innerhalb einer Woche die Todesstrafe verhängt wurde, deportiert werden konnten.

Der niederländische Literatur- und Kulturwissenschaftler Ewout van der Knaap, der sich bereits zuvor ausführlich mit Erinnerungskultur und deutscher Literatur auseinander gesetzt hat, beginnt sein Buch mit einem etwas wichtigtuerischen Kapitel, indem er - wenn auch plausibel vorgeführt - eine Art Namedropping betreibt, angefangen bei den Koryphäen der Erinnerungstheorien (Aleida Assmann, Pierre Nora, Maurice Halbwachs) bis hin zu Susan Sontag, Roland Barthes, Vilém Flusser, und so weiter.

Interessant wird es erst mit der Rezeptionsgeschichte von "Nuit et Brouillard". Als der Film zu den Filmfestspielen in Cannes angemeldet wurde, erfolgte heftiger Protest der deutschen - christ-demokratischen - Regierung, die zu Zeiten forcierter Versöhnungspolitik Schaden für das Image des neuen deutschen Staates befürchtete. Trotz der Proteste deutscher Intellektueller unter Federführung Heinrich Bölls wurde der Film vom Festival-Programm gestrichen. Im Bundestag wurde heftig gestritten, die SPD - Wortführerin in der Debatte war Annemarie Renger - fand das Eingreifen der Regierung skandalös.

Die Protokolle der Debatte, aus denen van der Knaap ausführlich zitiert, geben einen guten Einblick in die Zeitgeschichte. Dennoch holten die Berliner Filmfestspiele den Film 1956 nach Berlin, und die Vorrede Willy Brandts - zu dem Zeitpunkt Bürgermeister Berlins - kann als Fortschritt in der parteipolitischen Diskussion gelten. Doch auch der Gesinnungswandel der Konservativen ließ nicht lange auf sich warten. Die Regierung bemühte sich um den Ankauf der Filmrechte, veranlasste eine Übersetzung des Kommentars (der Regisseur behielt dabei die Fäden in der Hand und engagierte Paul Celan) - und versehen mit dem Prädikat "besonders wertvoll" - begann die Rezeption des Films in Deutschland. Fortan konnte der Film beim Bundespresseamt ausgeliehen werden, wobei ausdrücklich Wehrdienstverweigerer von der Ausleihe ausgeschlossen waren. In vielen Ländern wurde der Film in die Schul-Curricula aufgenommen. Schriftsteller wie Uwe Johnson, Anne Duden und Friedrich Christian Delius zitieren in ihrem Werk den Film oder zeigen sich von ihm beeinflusst.

Nicht nur das öffentliche Bewusstsein wurde so über Generationen von dem Werk Resnais' geprägt, sondern auch andere bedeutende Filmemacher nutzten Szenen aus "Nacht und Nebel", so etwa Margarethe von Trotta in ihrem Film "Die bleierne Zeit" (1981), in dem sie das Verhältnis der zweiten Generation zu Holocaust und Terrorismus thematisierte und Christian Petzold in "Die innere Sicherheit" (2000), in dem "Nacht und Nebel" auf die Protagonistin aus der dritten Generation keinen merkbaren Eindruck mehr macht.

Zum seinem eigentlichen Thema kommt van der Knaap mit der Rezeption des Films in einzelnen Ländern. Neben der schon erwähnten Diskussion in Deutschland und der späteren Assoziierung mit RAF-Geschichten wurde der Film in Frankreich vor allem mit dem Algerienkrieg in Verbindung gebracht, was durchaus auch Resnais' Absicht entsprach, der in "Nacht und Nebel" bewusst kaum je Juden erwähnt und das Phänomen des Völkermords allgemein thematisiert. In der Tat wurden kurz nach dem Filmstart französische Folterpraktiken in Algerien diskutiert - und andererseits gab es Proteste gegen Szenen, in denen auf die französische Kollaboration mit den Nazis hingewiesen wird.

In Großbritannien erkannte man beim Filmstart 1960 die moralische Verantwortung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, allerdings mehr in allgemein-aufklärerischer Absicht als im Hinblick auf die jüdischen Opfer des Holocausts. Zudem wurde die Brisanz des Werkes entschärft, indem Aufnahmen von Leichen, sofern sie entstellt oder weiblicher Natur waren, durch die ,freiwillige Selbstkontrolle' entfernt wurden.

In den USA setzte erst verspätet eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust ein, hier - noch stärker als in England - erfolgte sie dann eher über Dramatisierungen wie "The Judgement at Nuremberg" und "The Diary of Anne Frank". Auch nachdem "Night and Fog" ab den 1960er-Jahren hin und wieder gezeigt wurde, blieb er dem breiten Kinopublikum unbekannt, zu wenig entsprach er der "Tradition der Hegemonie des Guten", wie sie Spielberg in "Schindler's List" bediente.

Die Rezeption in Israel wurde beeinflusst durch innenpolitische Debatten über die Entschädigungsabkommen in Deutschland, die Suez-Krise und die Bewertung der Rolle des Holocausts für das Selbstverständnis des Staates Israel. Irritierend war nahe liegender Weise die Absenz der jüdischen Perspektive im Film. Erst nach langen Querelen wurde er durch den Kontrollrat zur Vorführung freigegeben, doch zu einem Filmklassiker wurde er erst in der 1980er-Jahren.

Für den niederländischen Markt wurde eine Übersetzung angefertigt, bei deren Erstaufführung der deutschstämmige Kritiker H. Wielek einerseits vor Deutschland warnte, andererseits Hoffnungen in die jüngere Generation Deutscher setzte. Bemerkenswert in den Niederlanden ist vor allem das rege Interesse an deutschen Reaktionen wie bei den Festspielen in Cannes, der Förderung bei der Berlinale, der Zensur durch Kultusministerien verschiedener Länder.

Die Beschäftigung mit Ewout van der Knaaps Analyse ist in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Natürlich geht es zunächst um Dokumentation des Geschehenen und darum, einen Gegenpol gegen die Dramatisierungen des Holocausts zu bilden, die emotionalisieren, ohne das Grauen en détail zu zeigen. Aber es geht auch um eine ästhetische Umsetzung dieser traumatischen Erfahrung, die sich so noch tiefer ins Gedächtnis gräbt und wieder und wieder neu rezipiert werden kann und wird. Schließlich ist die komparatistische Dimension des Gedächtnisdiskurses, die der Autor hier anlegt, ein großer Gewinn. Seine detaillierte Analyse der Mechanismen, mit denen ein und dasselbe Kunstwerk in unterschiedlichen politischen Kontexten interpretiert und kritisiert wird, wirft ein erhellendes Licht auf die Ambivalenz von Erinnerung und Kunst.


Titelbild

Ewout van der Knaap: "Nacht und Nebel". Gedächtnis des Holocaust und die internationale Wirkungsgeschichte.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
287 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783835303591

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