Grenzen des Wachstums

Über Wolfgang Königs "Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wolfgang König ist wohl unbezweifelt der Doyen der Konsumforschung in der Bundesrepublik. Seine Studien erschließen regelmäßig Neuland, und während Götz Aly beispielsweise mit seinen Thesen zum "Dritten Reich" heftigen Widerspruch erntet, bringt König - wenn auch mit einigen Verschiebungen - Belege dafür bei, dass das "Dritte Reich" nicht zuletzt auch deshalb auf eine so treue Gefolgschaft seiner Volksgenossen zählen durfte, weil seine Konsum- und Wohlstandsversprechen ernsthaft und belastbar genug waren.

"Konsum als Lebensform der Moderne" ist Königs "Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft" untertitelt, und in der Tat ist das Buch eine Kurzfassung seiner im Jahr 2000 erschienenen, rund 500 Seiten umfassenden "Geschichte der Konsumgesellschaft". Offensichtlich war es an der Zeit, die Ergebnisse der großen Studie, auf die sich König als Hauptquelle immer wieder bezieht, aufzuarbeiten, zu konzentrieren und auch zu popularisieren. Seine "Kleine Geschichte" hat jedenfalls das Zeug dazu.

Dabei ist die These, die im Untertitel steckt, einigermaßen explosiv. Denn König behauptet mit ihr - streng genommen - nicht weniger als das Primat des Konsums vor politischen oder anderen gesellschaftlichen Paradigmen. Nicht die Befreiung des Subjekts aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, nicht die Dynamisierung gesellschaftlicher Veränderung, nicht die Individualisierungsprozesse und nicht der zunehmende Legitimationszwang, dem die gesellschaftlichen Institutionen unterliegen, und nicht die Kapitalisierung der Gesellschaft, sondern eine auf Verschwendung, Wechsel und Verbrauch geeichte Gesellschaftsform soll im eigentlichen Sinn die Moderne konstituieren. So zumindest ließe sich Königs Ansatz radikalisieren.

Tatsächlich bleibt der Autor sehr viel bescheidener, deskriptiver und neutraler. Er konzentriert sich darauf, die Bedingungen zu schildern, unter denen der industrielle Produktionsapparat aufgebaut wird und damit die Konsumgesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Denn ohne Massenproduktion ist Konsum nicht denkbar. Die Selbstentfaltung des Subjekts im Konsum ist damit aufgehoben in der Nivellierung der Einzelnen in der Masse der Immergleichen oder der zumindest statistisch Gruppierbaren, je nach Konsumgewohnheiten und -möglichkeiten.

König baut seine Geschichte im Wesentlichen nicht chronologisch, sondern systematisch auf. So interessieren ihn vorrangig die Voraussetzungen der Konsumgesellschaft wie ausreichende Mittel und hinreichende Zeitressourcen ebenso wie Strukturen und Ausstattungen bei der Produktion der Konsumgüter und deren Distribution. Im zweiten Teil arbeitet König die zentralen Felder des Konsums ab, neben Ernährung und Bekleidung sind das Wohnen, Sexualität, Mobilität und Reisen sowie die Produkte der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie. Im Zentrum seiner Darstellung stehen dabei die Jahre zwischen 1890 und 1970, in denen sich die Konsumgesellschaft in den Industriestaaten durchsetzt. König versteht deshalb die Konsumgesellschaft als eigenständige Periode - die nicht ohne Grund mit der "Moderne" weitgehend übereinstimmt.

Der Vorsprung der USA, der in einigen Bereichen bis zu zwei Jahrzehnte zu beträgt, ist vor allem auf die hohe soziale Mobilität und auf den sich schneller entwickelnden Wohlstand der amerikanischen Gesellschaft zurückzuführen. Die flächendeckende Ausstattung mit Konsumgütern wie Automobilen, Fernsehern und Küchen ist in den USA deutlich früher erreicht als in Deutschland, den beiden Referenzländern, auf die sich König immer bezieht. Allerdings vermerkt er gelegentlich, dass nur die Hälfte der "konsumstarken" Bevölkerung in den Industrieländern lebt, die andere Hälfte werde von den wohlhabenden Minderheiten der Schwellen- und Entwicklungsländern gestellt. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage der Eingrenzung oder der Attraktivität eines Lebensstils, der im Luxussegment von Gesellschaften geführt werden kann.

Als allgemeine Lebensform ist die Konsumgesellschaft, wie König dagegenstellt, global nicht realisierbar, und das aus ökologischen Gründen. Ressourcen sind beschränkt, die Möglichkeiten, den Umsatz von Verbrauchsgütern umweltneutral zu gestalten sind zumindest vorerst noch begrenzt. Aber auch in dieser Hinsicht sind die Grenzen des Wachstums wohl erst noch auszuloten. Eine Herausforderung nennt König diese Aufgabe. Allerdings zeigt seine "Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft", dass Angebot und Nachfrage - von welcher Seite ihr Verhältnis auch gesteuert wird - Probleme dieser Art anscheinend ganz ordentlich lösen können. Bedürfnisse seien nämlich ein dynamisches, sich historisch wandelndes, gesellschaftlich-kulturelles System, das sich an alle Bedingungen, unter denen sie sich arrangieren müssen, anpassen kann und sie ihrerseits verändert.


Titelbild

Wolfgang König: Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008.
294 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783515091039

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