Zeitaktuelle Gesellschaftskritik und dramatisches Einzelschicksal

Olivier Adam beschäftigt sich zeitkritisch mit Frankreichs Flüchtlingsproblematik

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Olivier Adam, geboren 1974 in einem Pariser Vorort, hat in den letzten Jahren das Bild der französischen Gegenwartsliteratur stark und nachhaltig geprägt. Er hat bisher bereits vier Romane und drei Jugendbücher veröffentlicht und wurde für den Erzählband "Passer l'hiver" ("Am Ende des Winters") mit dem Prix Goncourt de la nouvelle prämiert. Die Verfilmung seines Romans "Je vais bien, ne t'en fais pas" ("Keine Sorge, es geht mir gut") unter der Regie von Philippe Lioret wurde mit zwei Césars ausgezeichnet und das Buch avancierte in Frankreich zum Bestseller.

In seinem neuesten Roman "Nichts was uns schützt" (Originaltitel "A l'abri de rien") bleibt Olivier Adam seinem schlichten, sachlichen aber prägnanten Schreibstil und seiner thematischen Vorliebe für die einfachen, am Rande der Gesellschaft stehenden oder emotional stark beeinträchtigten Menschen treu. Geografisch angesiedelt ist das Geschehen einmal mehr in der Nähe des Meeres, dieses Mal in einer Kleinstadt in der Nähe von Calais in Nordfrankreich, wo der Autor selbst im Zuge einer Seminarveranstaltung vor einigen Jahren mit der ständig präsenten und unlösbaren Flüchtlingsproblematik dieser französischen Region konfrontiert wurde.

Im Mittelpunkt der Romanhandlung steht die arbeitslose und schwer depressive Marie, Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines einfachen, soliden Schulbusfahrers, die sich seit ihrer Entlassung als Kassiererin in einem Supermarkt freudlos und in einem andauernden psychisch labilen Gemütszustand durch den tristen, kleinbürgerlichen Alltag kämpft. Durch eine Autopanne gerät sie erstmals in direkten Kontakt mit einem illegalen Flüchtling, der ihr behilflich ist und ihr die Weiterfahrt ermöglicht. Es bedurfte offenbar dieses ersten Impulses, dass Marie nun wieder ihre Umwelt wahrzunehmen beginnt, und sie schließt sich einer Gruppe freiwilliger Helfer an, die die illegalen Einwanderer und Asylwerber mit Nahrung, Kleidung und Medikamenten in notdürftig eingerichteten Zelten in ständiger Angst vor brutalen Polizeirazzien und behördlichen Übergriffen versorgen.

In dieser karitativen Arbeit findet Marie wieder einen neuen Sinn im Leben, sie vermag allerdings ein Gleichgewicht zu ihren Verpflichtungen als Mutter und Ehefrau nicht herzustellen. Sie vernachlässigt die Kinder, den Haushalt und scheint letztendlich in ihrem verbissenen Kampf und mitunter krankhaft anmutendem Einsatz für die Illegalen sich und ihre Familie völlig und unwiderruflich zu verlieren. Marie droht daran beinahe zu zerbrechen, da sie ihrerseits nicht bereit ist, Hilfe anzunehmen und es erfolgt ein plötzlicher, dramatischer Wendepunkt im Geschehen.

Olivier Adams Buch ist einmal mehr ein höchst beeindruckendes und den Leser aufrüttelndes Werk französischer Gegenwartsliteratur, in dem er auf grandiose Weise ein dramatisches Einzelschicksal mit den zeitaktuellen Problemen der heutigen Gesellschaft verknüpft. Das Buch soll nach eigenen Angaben des Autors kein rein politisches Statement darstellen, dass allein den rigiden, brutalen und ungerechten Umgang des offiziellen Frankreichs mit der illegalen Zuwanderung und dem damit einhergehenden Anstieg der sozialen Spannungen im Land darstellt. Es intendiert vielmehr auch einen indirekten Aufruf zu mehr persönlichem Engagement jedes Einzelnen, um den Ärmsten und Hilfebedürftigsten der Gesellschaft zu helfen.


Titelbild

Olivier Adam: Nichts was uns schützt. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Oliver Ilan Schulz.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009.
208 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783608936063

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