Und es war alles, alles gut!

Zu Johannes Freumbichlers Roman "Philomena Ellenhub"

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Autor Johannes Freumbichler (1881-1949) war bislang nur einem kleinen Kreis literarisch interessierter Menschen bekannt und dann in der Regel im Zusammenhang mit seinem Enkel, dem großen österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard. Mit der im Insel Verlag erschienenen Neuausgabe des Romans "Philomena Ellenhub" aus dem Jahr 1937 könnte sich das jedoch ändern.

Die Ideen zu diesem Roman reichen bis in die frühen 1920er-Jahre zurück und es ist nur Freumbichlers Lebensgefährtin Anna Bernhard zu verdanken, dass der Roman überhaupt gedruckt wurde. Ohne sein Wissen schickte sie das fast eintausend Seiten umfassende Manuskript an den in der Nähe wohnenden berühmten Schriftsteller Carl Zuckmayer, der es nach anfänglichem Zögern begeistert aufnahm.

1937 erschien das Buch um die Hälfte gekürzt in einer Auflage von dreitausend Exemplaren im Wiener Paul Zsolnay Verlag und brachte dem mittlerweile 56-jährigen, notorisch erfolglosen Autor den Förderungspreis des Großen Österreichischen Staatspreises für Literatur ein.

Die Geschichte dieses "Ein Salzburger Bauernroman" untertitelten Buches ist im Salzburger Land um die Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt und spielt somit in einer Zeit der politischen Auf- und Umbruchstimmung, die schließlich in der Revolution von 1848 gipfeln sollte.

Im Mittelpunkt steht das zu Beginn der Erzählung bereits zwölfjährige Mädchen Philomena Ellenhub, kurz Mena genannt, aus dem angesehenen Bauerngeschlecht der Ellenhubers: "Stets umgab sie ein Hauch von Besonderheit, und der Herrgott, der die Blumen auf den Wiesen und die Disteln an den Feldrainen wachsen, die Nachtigallen schlagen und die Geier in den Lüften schreien läßt, wird wohl gewußt haben, was er plante, als er dies Geschlecht im Mutterboden Wurzel schlagen ließ".

Durch den frühen Verlust der Eltern ihrer Versorger beraubt, werden Mena und ihre zahlreichen Geschwister nach und nach an andere Höfe und Handwerksbetriebe gegeben, um ihre Existenz und ihre Ausbildung zu sichern, was zu dieser Zeit ein nicht unüblicher Vorgang war. Während das Schicksal der Geschwister im Folgenden nur noch am Rande thematisiert wird, ist der Fokus ganz auf Mena und ihre inneren Regungen und äußeren Lebensbedingungen gerichtet. Allein diese Tatsache, dass eine Frau als Protagonistin eines Romans auftritt, ist für die damalige Zeit eher ungewöhnlich. Mena wird von Beginn an als eine starke Persönlichkeit beschrieben, die allen Schicksalsschlägen zum Trotz ihren eigenen, geraden Weg geht und am Ende zu der Einsicht gelangt, "daß es vernünftiger war, weniger am Leben teilzunehmen und es mehr zu beschauen". Die klassischen Motive eines Bildungsromans also, die Auseinandersetzungen der Hauptperson mit den unterschiedlichen Bereichen der Wirklichkeit, an deren Ende das nach krisenhaften Erlebnissen gefestigte Ich steht. In dieser Hinsicht ist Freumbichlers "Philomena Ellenhub" durchaus ein solcher Bildungsroman.

Darüber hinaus ist dieses Buch aber auch ein "Loblied der Bauern" wie es Alice Zuckmayer im Zusammenhang mit einem anderen Roman Freumbichlers nannte. Aber diese Hommage an das einfache, bäuerliche Leben bleibt auch bei ihm nicht ungetrübt. So lässt der Autor an einer Stelle den Maler Peregrin - kurz vor seinem Opfertod - über die Dorfbewohner sagen: "Tiere, die von der Macht des Geistes keine Ahnung haben! Aufrecht gehende, dressierte Tiere!", und zeigt damit ganz offen den Konflikt zwischen dem Künstler und der dörflichen Bevölkerung, der Freumbichler selbst auch bewusst war und unter dem er gelitten hat. Und an anderer Stelle, hier allerdings entgegen seiner Absicht, eine Schlägerei zwischen Bauernburschen während eines Rekrutenballs als harmloses Kräftemessen Jugendlicher darzustellen, zeigt er in Wahrheit das ganze Ausmaß an Brutalität, Primitivität und Menschenverachtung der bäuerlichen Bevölkerung: "[M]an hörte wilde Schreie, sah geschwungene Maßkrüge und Sesselbeine und endlich blanke Messer im Licht der Kerzen. [...] die Hobeleisen verursachten stark blutende Wunden, ohne lebenswichtige Teile zu lädieren, die Schlagringe warfen die Gegner über den Haufen, und die zackigen Handhaben der zerbrochenen Krüge zeichneten tiefe, aber ungefährliche Runen ins Gesicht".

Freumbichler wurde in Henndorf bei Salzburg geboren und wenn man weiß, welche unrühmliche Rolle gerade die Henndorfer Bauern, die für diesen Roman wohl Pate standen, während des Nationalsozialismus gespielt haben, liest sich diese Passage geradezu wie ein Vorspiel zu weit schlimmeren Brutalitäten.

So ist "Philomena Ellenhub" - nicht zuletzt auch durch einige frauenfeindliche Äußerungen - ein stellenweise erzreaktionäres Buch. Ein Beispiel soll hier genügen: "Man sagt zuweilen den Frauenzimmern böse Dinge nach, wie Untreue, Falschheit, Flatterhaftigkeit, aber dies zeigt [sic!] von einem geringen Verständnis für das weibliche Wesen, dem alles, außer der Mutterschaft, Spiel, Tanz und Wolkenritt ist, und sein muß [...]".

Doch trotz dieser reaktionären Ausfälle kann man sich als Leser dem Reiz dieses Buches nicht entziehen. Dieser besteht in der Darstellung des einfachen Lebens, das durch Arbeit, Demut und Lebenslust gekennzeichnet ist. So lässt sich der Roman unter diesem Aspekt betrachtet vielleicht und mit viel gutem Willen in die Nähe von Knut Hamsuns "Segen der Erde" oder Ernst Wiecherts "Das einfache Leben" stellen, ohne die Autoren sonst vergleichen zu wollen, denn gerade Hamsuns Prosa steht literarisch weit über der Freumbichlers.

So ist es eine merkwürdige Sache mit diesem Buch. Man liest es gerne und doch lässt es einen am Ende unbefriedigt zurück. So unaufgeregt die Handlung im stillen Fluss der Zeit dahin läuft, unbeeindruckt von allen äußeren Katastrophen, so wenig ist die erzählte Geschichte in der Lage, den Lesenden emotional - weder in der einen, noch in der anderen Weise - zu berühren. Man kann dieses Buch weder lieben noch hassen. Es ist ganz einfach da. Vielleicht liegt hier der Grund für dessen Erfolglosigkeit. Und wenn es am Ende des Romans heißt: "Erhebet eure Herzen und glaubet daran: das Leben ist einfach, liebreich und gut", dann erinnert das natürlich an den Schluss von Joseph von Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" ("und es war alles, alles gut!") und zeigt damit, dass dieses Buch nicht zuletzt auch in der Tradition der deutschen Romantik steht. Diese Parallele offen zu legen, um möglicherweise sogar eine Kontinuität des romantischen Einflusses bis in das Werk Thomas Bernhards aufzuzeigen, ist sicher noch ein interessantes Betätigungsfeld für die Germanistik.

Bernhard hat immer wieder mit dem Gedanken gespielt, den Roman seines Großvaters erneut zu veröffentlichen, dieses Vorhaben aber bis zu seinem Tode nicht realisiert, da er selbst bereits erkannte, wie problematisch die Stellung dieses Romans in der Literatur nach 1945 war. Sein Freund, der Realitätenhändler Ignatz Hennetmair, zitiert ihn in seinem Tagebuch "Ein Jahr mit Thomas Bernhard" mit den Worten: "Ach, [...] beim Weiterlesen habe ich schwache Stellen entdeckt. Alles ist viel zu schön, viel zu schön geschildert. Alles, was ich als scheußlich empfinde, findet mein Großvater schön". Es war Bernhards Aufgabe, das Werk seines Großvaters unter umgekehrtem Vorzeichen weiterzuführen. Im Gegensatz zu ihm sollte er Erfolg haben.


Titelbild

Johannes Freumbichler: Philomena Ellenhub. Ein Salzburger Bauernroman.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
590 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783458350606

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