Verwinkelt, verschlungen, verzweigt

Ein von Hans Richard Brittnacher und Rolf-Peter Janz herausgegebener Tagungsband führt uns durch das Labyrinthische

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schön liegt sie da, die Villa Vigoni, hoch über dem Comer See. Generalsekretär des 1986 gegründeten "Zentrums hoher deutsch-italienischer Kultur" ist derzeit der Marburger Altphilologe Gregor Vogt-Spira, der das zauberhafte Anwesen, bestehend aus zwei historischen Villen in einem prächtigen botanischen Garten, mit gutem Recht für "eines der schönsten Tagungszentren" hält.

Im Mai 2004 brachte die "NZZ" einen Bericht über die Villa Vigoni unter dem Titel "Wo Tagungen köstliches Vergnügen bereiten"; und im Herbst desselben Jahres fand sich hier eine interdisziplinäre Gruppe hochrangiger deutsch-italienischer Wissenschaftler, gefördert von der "Deutschen Forschungsgemeinschaft", zusammen, um sich über das Thema "Labyrinth und Spiel" auszutauschen. Vielleicht war es der noble Genius loci (Ille terrarum mihi praeter omnis angulus ridet, Horaz), welcher der Forschergemeinde anempfohlen hatte, jedem dekonstruktionsentschlossenen Partisanentum abzuschwören und das "Labyrinthische" wie auch das "Spielerische" distinguiert - auch methodologisch gleichsam mit Schlips und Kragen - anzugehen.

So erklären die Herausgeber in ihrer Einleitung zu den zwölf durch die Bank hochinformativen und bestorganisierten Aufsätzen: "Im Widerspruch zur kulturpessimistisch gefärbten Klage, alles und jedes werde gegenwärtig zum Labyrinth erklärt, in die gelegentlich auch Poeten einstimmen, zeigen die Beiträge in diesem Band, dass die Umbesetzungen im Personal des Labyrinth-Mythos und dessen Umdeutungen keineswegs wahllos erfolgen."

Weiter schreiben Brittnacher und Janz sodann: "Nach wie vor bietet sich die Architektur des Labyrinths als Deutungsmuster für eine Welt an, die mehr denn je als unüberschaubar, unentwirrbar und rätselhaft erfahren wird." Manfred Schmeling sieht in seinem Beitrag "Narrativer Konstruktivismus in den Labyrinthen der Postmoderne", der am Ende des Bands einen Fokus auf Undine Gruenters Roman "Das Versteck des Minotaurus") legt, eine durchs Moment der Selbstreferentialität gestiftete Verwandtschaft zwischen dem "ästhetische[n] Potential des Labyrinthischen" und dem, "was man postmodern De-konstruktion nennt", fragt dann aber sogleich: "Was heißt da postmodern? Diese ambivalenten, ja mitunter paradoxen Verfahren der erzählerischen Gestaltung, sind sie nicht in den Windungen des Mythos in bestimmter Weise vorgezeichnet?"

Rätselhaft und vieldeutig ist die schon in der griechischen Antike feststellbare Verbindung von Labyrinth und Tanz, die Martin Vöhler an der kretischen Sage um Theseus, Minotauros und Ariadne nachweist. Dass aber im Hochmittelalter Priester auf dem begehbaren Monumentallabyrinth in der Kathedrale von Auxerre an Ostern eine besondere paraliturgische Choreografie (das Pilota-Ballspiel) aufführten, wie Ulrike Zellmann berichtet, ist eine kulturgeschichtliche Delikatesse, die man mit vergnügtem Erstaunen zur Kenntnis nimmt.

Vom Umfang wie auch von der Intensität der Analyse her ragt Victoria von Flemmings schön bebilderter - dafür sei auch der Wallstein Verlag gepriesen - Text über Liebeslabyrinthe in Literatur und Kunst der frühen Neuzeit hervor. Eros trieb auch damals eben schon sein Verwirrspiel mit den Leuten; und wehe dem, dessen Sehnsucht in den goldenen Haarflechten der Venus verstrickt bleibe.

Wie die surrealistischen Künstler das Motiv des Labyrinths als Ideengeber für einen spielerisch-ironischen Umgang mit den hergebrachten musealen Bestaunungsritualen aktualisierten, erläutert Nike Bätzner am Beispiel der Amsterdamer Ausstellung "Dynamisches Labyrinth (Dylaby)" von 1962, und aus filmwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet Thomas Koebner die dramaturgische und visuelle Funktion des Labyrinths zur Evokation von Unheimlichkeit, Absurdität und existentieller Ausweglosigkeit.

Von den Beiträgen, die sich mit dem Symbol des Labyrinths in der modernen Literatur (bei Lewis Carroll, Robert Walser und Friedrich Dürrenmatt, Hans Erich Nossack und Kuno Raeber sowie Italo Calvino und Julio Cortázar) befassen, wäre vielleicht Hans Richard Brittnachers Lektüre von Umberto Ecos "Der Name der Rose" im Zeichen von Borges' Erzählung "Die Bibliothek von Babel" herauszustellen. Brittnacher identifiziert Eco "als einen Vertreter des pensiero debole [...], eines 'schwachen' Denkens". Dies sei ein Denken, in dem "Relativismen, Ambivalenzen und Bescheidenheit nicht geschichtsphilosophisch geächtet, sondern postmodernistisch begrüßt" werden.

Als einziger Italiener war Franco Buono aus Bari an den Comer See gereist und hatte es also genauso weit wie die hauptsächlich aus Berlin kommenden Deutschen. Buono hielt seinen Vortrag, eine assoziationsreiche Engführung von Walter Benjamins "Passagen-Werk" mit Hans Magnus Enzensbergers Balladen-Zyklus "Mausoleum", vergleichsweise knapp, aber dafür um so verwinkelter. Er erkannte in beiden Werken neben kompositorisch-strukturellen Affinitäten vor allem das Infragestellen der "Ideologie des Fortschritts" und erinnerte am Ende an den Selbstmord Walter Benjamins auf der Flucht vor den Nazis. So brach dann doch noch der Tod ein in die liebliche lombardische Weltabgeschiedenheit unter Palmen, Pinien und Zypressen. Et in Arcadia ego.


Titelbild

Hans Richard Brittnacher / Rolf-Peter Janz (Hg.): Labyrinth und Spiel. Umdeutungen eines Mythos.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
265 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783892449331

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