Klingsors erster Sommer
Im Briefwechsel mit Hermann Hesse zeigt sich Peter Weiss als gelehriger Schüler
Von Stefan Höppner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePeter Weiss und Hermann Hesse - auf den ersten Blick eine absurde Kombination. Hier ein Autor, mit dem man das radikale Theater von "Marat / Sade" (1964), das karge Dokumentarstück "Die Ermittlung" (1965) zum Frankfurter Auschwitz-Prozess oder den avantgardistischen Monumentalroman "Die Ästhetik des Widerstands" (1975-1981) verbindet; auf der anderen Seite steht ein als betulicher Jugendautor verschrieener "Gartenzwerg unter den Nobelpreisträgern" (so der "Spiegel" 1958), dessen Erbe noch immer darunter leidet, dass fragwürdige Nachfolger es für sich beanspruchen. Man denke nur an den abgehalfterten Udo Lindenberg, der 2008 eine Auswahl seiner Hesse-Lieblingstexte verantworten durfte, oder an das Duo Schönherz & Fleer, das nach drei Rilke-Projekten mittlerweile auch Hesse zweimal durch seinen Wohlfühl-Weichspül-Musikwolf gejagt hat.
So mag man kaum annehmen, dass gerade Weiss in seinen Anfängen als Schriftsteller und Maler dem Autor des "Steppenwolfs" sehr viel verdankt. Nur selten findet sich eine explizite Äußerung: Im autobiografischen "Abschied von den Eltern" (1961) ist einmal vom Autor Harry Haller und seinem Roman "Nur für Verrückte" die Rede, die den jungen Ich-Erzähler faszinieren. Dahinter verbergen sich, kaum verschlüsselt, Hesse und sein "Steppenwolf", dessen Protagonist Harry Haller heißt, und dessen Aufzeichnungen dort tatsächlich den Untertitel "Nur für Verrückte" tragen. Ebenfalls in "Abschied von den Eltern" schreibt der Erzähler an jenen Haller - und erfährt Zuspruch: "Jemand hatte meinen Namen auf einen Brief geschrieben, jemand glaubte an meine Existenz und richtete seine Stimme an mich."
Der 1916 geborene Peter Weiss ist gerade zwanzig Jahre alt, als er aus dem tschechischen Exil an Hesse schreibt, und der Kontakt besteht mit Unterbrechungen bis zu Hesses Tod 1962 fort. Beat Mazenauer und Volker Michels haben nun zum ersten Mal den vollständigen Briefwechsel zusammengetragen. Er erscheint als Teil einer ganzen Reihe von Briefwechseln, welche die neue, ebenfalls von Michels verantwortete Werkausgabe ergänzen. Anders als im Austausch mit Kollegen wie dem Dada-Mitbegründer Hugo Ball (2003) oder mit seinem Psychiater Joseph Bernhard Lang (2006) sind die Rollen zwischen Hesse und Weiss klar verteilt: Hier der Lehrer, dort der Schüler.
Nun hat Hesse in seinem Leben viele tausend Briefe von Lesern beantwortet, darunter selbstredend eine Vielzahl von Nachwuchsautoren. Auch der einundzwanzigjährige Arno Schmidt sandte "Dem Dichter des Steppenwolfes in hoher Verehrung" ein Gedicht zu - und war dann bitter enttäuscht, als der ihm nur den Druck eines Gedichtes "mit Gruß" zukommen ließ. Bei Weiss liegt der Fall jedoch anders - Hesse erkennt seine Begabung sofort und versucht ihn in den nächsten Jahren nach Kräften zu fördern. Nicht nur kommt es zu zwei ausgedehnten Besuchen in Hesses Wohnort Montagnola, der Ältere setzt sich bei Verlagen auch dafür ein, dass Weiss Illustrationsaufträge bekommt, und lässt ihn, als dies fehlschlägt, gegen Honorar die Privatdrucke von eigenen Erzählungen illustrieren.
Es ist bezeichnend, dass Hesse eher den Künstler als den Schriftsteller Weiss fördert. Denn während seine Zeichnungen und Gemälde bereits vielversprechend und eigenständig sind, ist der Autor Weiss noch weit davon entfernt. Das zeigt die lange, Hesse gewidmete Erzählung "Cloe", die hier erstmals vollständig abgedruckt ist und beinahe ein Drittel des Buches einnimmt. Nicht nur besucht der Erzähler hier den Autor Haller, und lässt die verstorbene Titelfigur aus Hesses Künstlererzählung "Klingsors letzter Sommer" (1919) als Teil der eigenen fiktionalen Welt Revue passieren. Die ganze Erzählung ist im Tonfall wie ein Text aus Hesses mittlerer Werkphase geraten und verrät keine Spur der immensen Sprachgewalt, die Weiss' späteres Schreiben auszeichnet. Wie stark die Identifikation zu diesem Zeitpunkt ist, zeigt sich auch darin, dass sich Weiss bei seinem ersten Besuch 1937 mit Hesses Erlaubnis in dessen früherem Wohnhaus, der Casa Camuzzi, einmietet. Dort bezieht er sogar jenes Zimmer, in dem Hesse seinen Maler Klingsor wohnen und arbeiten lässt. Dass Hesse ihn vornehmlich künstlerisch fördert, ist auch insofern typisch, als er in seinen Briefen wie in seinen Romanen stets die Auffassung vertritt, jeder Mensch müsse seinen eigenen, für ihn bestimmten Weg finden, nicht anderen nacheifern.
Im Januar 1939 bricht Weiss seinen zweiten Aufenthalt im Tessin überstürzt ab. Er folgt seinen Eltern, die zu Recht einen deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei fürchten, nach Schweden, wo er in den nächsten Jahrzehnten leben wird. Der Austausch besteht zunächst weiter, dünnt in den folgenden Jahren aber in dem Maße aus, in dem Weiss sich von den Einflüssen freischreibt. Der alte Mentor hat ausgedient. Erst 1962 kommt es, kurz vor Hesses Tod, noch zu einem letzten Besuch in Montagnola. Da Hesse in den Augen von Weiss' Kollegen, etwa in der Gruppe 47, zu dieser Zeit als reaktionär gilt, bezieht Weiss für ihn nicht offen Partei. Nur in seinen Briefen an das Ehepaar Hesse und posthum veröffentlichten Aufzeichnungen erkennt er die zentrale Rolle an, die der Nobelpreisträger und seine Bücher für seine Entwicklung gespielt haben.
Den - oft längeren - Briefen Weiss' ist anzumerken, dass sich hier jemand im Austausch mit dem Mentor freizuschreiben, seinen eigenen Ausdruck zu finden sucht. Im Rückblick ist ihre Sprache aber ebenso unaufregend wie Hesses Antworten. Dennoch konterkariert das Beispiel Peter Weiss bis heute geäußerte Vorwürfe, Hesse habe sich nach 1933 nicht um den Nationalsozialismus und seine Exilanten geschert. Was den Band schließlich lesenswert macht, ist die vielschichtige Kombination aus Briefen, Fotos, Kunstwerken und bislang so nicht veröffentlichten Erzähltexten, die den Austausch zwischen Weiss und seinem frühen Idol Hesse lebendig werden lassen. Es ist natürlich der Jüngere, der weit stärker profitiert. Ebenso wird auch dieser Band weniger bei Hesse-Lesern und -Forschern auf Interesse stoßen als bei denjenigen, die sich für die ersten Schritte des jungen Autors und Malers Peter Weiss interessieren - gerade, weil vieles davon bis vor kurzem kaum zugänglich war. Für diese Leser ist das Buch eine echte Entdeckung.
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