Erfolgreicher Mittelweg

Joachim Radkaus Geschichte der "Technik in Deutschland" in einer neuen Fassung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nebeneinander gestellt sehen diese beiden Bücher nicht wirklich aus wie zwei Fassungen desselben Werks: Der schlichte rote Einband des Suhrkamp-Taschenbuchs, dessen eng gesetzte Seiten und die handliche Größe lassen die Fassung von 1989 bemerkenswert schlicht auftreten. Die neue Campus-Fassung tritt dagegen als großformatiges Werk mit großzügigem Schriftbild und zahlreichen Abbildungen schon ganz anders auf. Und dennoch, trotz des unterschiedlichen Äußeren und der weit reichenden Überarbeitung und Ausweitung - die Gemeinsamkeiten sind offensichtlich, und die Fortschreibung hat Radkaus Geschichte der Technik in Deutschland gut getan.

Dabei ist der Ansatz derselbe geblieben. Als Entdeckung der Langsamkeit habe ein Rezensent die erste Fassung bezeichnet, die in der verdienstvollen, von Ulrich Wehler herausgegebenen "Neuen Historischen Bibliothek" erschienen ist, die so manche stupende Studie zu präsentieren wusste. Und in der Tat ist Radkaus Technikgeschichte vor allem eins: ein Plädoyer für einen reflektierten Umgang mit der Technik und ihren Anwendungen. Technikeuphorie und Technikhypes führten, so Radkau, beinahe notwendig in den Crash. Die Abkopplung der technischen Entwicklung von konkreten Bedürfnissen habe ebenso desaströse Folgen wie die Versuche, technische Anwendungen ohne Absicherung ihrer wirtschaftlichen Umsetzung durchsetzen zu wollen. Die Ablösung von kulturellen Traditionen ist für Radkau nicht notwendige Bedingung für Innovationen, sondern ist - ganz im Gegenteil - seiner Ansicht nach in vielen Fällen der Grund, warum die Innovationsbereitschaft sinkt. Die "economies of scale" werden für ihn ebenso zur Ideologie, wie allerdings auch ein starrköpfiger Traditionalismus, der sich Chancen und Möglichkeiten, die sich ihm bieten, grundsätzlich verweigert. Nur wer "bedächtig die Mitte hält, bleibt oben, kommt voran und überlebt", ist Radkaus skeptischer Merksatz, mit dem er seine Studie schließlich enden lässt. Das bezieht er auch auf die Technikgeschichte selbst (die eben auch Unternehmensgeschichte ist), sei doch die kausale Verknüpfung von Industrialisierung und der Entstehung von Großunternehmen durchaus als beschränkte Wahrnehmung zu sehen: Denn neben den großen Unternehmensimperien (von denen wir nun einige fallen sehen können), sei auch eine ungemein lebendige und vielfältige Kultur mittlerer Unternehmen entstanden, die die Technikkultur und -geschichte nicht minder geprägt habe als die Großindustrie (ohne dass damit die Gefahren, die von unkontrollierten industriellen Konzernen oder von Unternehmensimperien, die dem Kapitalsektor zuzuschlagen sind, unterschlagen würden).

Welche Gefahren hingegen die unreflektierte Übernahme von Modeideologien (zu denen er im Übrigen auch den "shareholder value" zählt) berge, habe zuletzt noch der Crash der neuen Informationstechnologien (ebenso wie Großtechnologien des 19. Jahrhunderts) gezeigt. Nicht die sogenannten "first mover" setzen eine Technik durch, sondern die Unternehmen, die aus den Fehlschlägen von Entwicklungen bereits gelernt haben und die gröbste Schnitzer vermeiden. Nicht die Visionäre geben die Richtung technologischer Entwicklung an, sondern die gesellschaftliche Notwendigkeit und Praxis, mit anderen Worten, Erfahrung. Erfahrung aber geht nicht auf die gelungenen Schritte einer Technikgeschichte zurück, sondern auf die Fehlschläge. Aus Fehlern lässt sich immerhin lernen, dass neue Wege und andere Lösungen notwendig sind, die deutlich zurückhaltender mit Ressourcen und Anwendungen umgehen, aus Erfolgen hingegen folgt möglicherweise nur, dass man Glück gehabt hat. Das James-Bond-Prinzip ("Nr. 3 hat einen Fehler gemacht, Nr. 3 ist tot") bringt jede Gesellschaft um ihren Erfolg - auch Nr. 1 ist ja irgendwann einmal selber Opfer ihres eigenen Prinzips geworden, Fehler zu bestrafen, statt sie zu nutzen (was wir in diesem Fall begrüßen).

Technikgeschichte, so macht Radkau zudem deutlich, ist eben auch eine Geschichte der Arbeit, eine Geschichte der Lebenswelt, eine Gesellschaftsgeschichte. In diesem Zusammenhang wendet sich Radkaus Technikgeschichte konsequent von einer Geschichte der Erfindungen ab, aber überraschend einer Geschichte der Technikdiskurse zu. Dabei polemisiert er heftig gegen die Neigung, Diskurse von der historischen Entwicklung abzukoppeln. Eine Technikgeschichte ohne Berücksichtigung (und Kenntnis) technischer Entwicklungen könne nicht funktionieren - was wohl nicht zuletzt gegen die Geisteswissenschaftler gemünzt ist, die sich in den letzten Jahrzehnten in Scharen auf Technikthemen gestürzt und mehr oder minder kompetent darüber reflektiert haben.

Radkaus Entscheidung ist dabei plausibel, wie sein Abriss der Geschichte der Atomenergie zeigt, die er in zwei Phasen unterteilt: in die visionäre Propagandaphase und in die Phase ihrer Umsetzung in konkrete Projekte (von der ersten Phase weiß er zumal einige schnurrige Geschichten zu erzählen, die hellhörig machen). Technologische Visionen haben dabei offensichtlich die Funktion, Technologien überhaupt erst durchzusetzen, die ohne die gesellschaftliche Akzeptanz nicht realisiert werden könnten, weil schlichtweg das Geld dafür fehlt. Die Investitionen in die Atomenergie, die die Repräsentanten der Erneuerbaren Energien immer wieder vor allem dann aufbringen, wenn ihre (angeblichen oder tatsächlichen) Milliarden-Subventionen angeprangert werden, sind das schlagende Beispiel dafür; neue Technologien sind ohne Akzeptanz nicht zu fördern, ohne Förderung gehen sie nicht in die Erprobungsphase, ohne Erprobung fehlt ihnen die Chance, über die Serienfertigung und Massennutzung angemessen preiswert produziert zu werden. (Bemerkenswert ist es immerhin, dass Radkau zwar die Photovoltaik in seiner Technikgeschichte behandelt und auf die Renaissance des Holzes als Werk- und Energieressource zu sprechen kommt, die heute erfolgreiche Windenergie und die als Vision derzeit gehypte Wasserstoffwirtschaft jedoch nur beiläufig erwähnt. Insgesamt wären ja die Diskussionen um eine Umstellung der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien ein interessantes Thema für Radkaus Analyseinstrumentarium. Auch die Erfolge der Informationstechnologie und die daran anknüpfende Technikkritik eines Paul Virilio etwa, behandelt Radkau erstaunlich zurückhaltend.)

Im Kern von Radkaus Technikgeschichte steht allerdings die Frage, inwiefern es überhaupt eine "deutsche" Technikgeschichte geben könne. Technik sei spätestens seit der Moderne kein nationalstaatlich gebundenes und beschränktes Phänomen, sondern international verankert. Dennoch macht er für die Geschichte der Technik in Deutschland einige interessante Alleinstellungsmerkmale aus: So sieht er eine mittlerweile mehr als 100 Jahre alte Auseinandersetzung der deutschen Techniker und Ingenieure insbesondere mit amerikanischen Technikentwicklungen. Beim Transfer dieser Entwicklungen seien aber spezifische Modifikationen vorgenommen worden, die den Anwendungen, dem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext und der deutschen Techniktradition entsprochen hätten. Das habe zum einen zu einer Verlangsamung der Innovationsgeschwindigkeit geführt. Zum anderen seien die deutschen Ingenieure und Unternehmen mit den Adaptionen recht erfolgreich gewesen. Flexibilität und Kleinserienfertigung sei geradezu zu einem Ausweis deutsche Technologieunternehmen geworden.

Das wird ergänzt durch die Ablösung der "Meisterherrschaft" im 19. Jahrhundert durch die Herrschaft der Ingenieure. Deren Hauptargument sei (bis heute) die Notwendigkeit, technischen Fortschritt wissenschaftlich vorzubereiten. Die Bedeutung der "R&D-departments" und -Ausgaben ("research and development") etwa bei der Bewertung von Unternehmen heute, leitet sich nicht zuletzt davon ab. Dabei bleibe, so Radkau, es durchaus unentschieden, ob sich technischer Fortschritt mehr der Theorie denn der Praxis verdanke. Die Verlagerung der Forschung in die Unternehmen sei gar ein Hinweis darauf, dass nur praxisnahe Forschung am Ende eine ausreichende Relevanz aufweise.


Titelbild

Joachim Radkau: Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis heute.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
533 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783593386898

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