Lederstrumpf und Natty Bumppo

Zu Lauren Groff Debütroman "Die Monster von Templeton"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Romanhandlung beginnt mit dem Tod des im Buchtitel vorgestellten "Monsters" - das eigentlich kein Monster ist. Es taucht tot an der Oberfläche des Flimmersees auf, dem See, an dem die Stadt Templeton liegt. Es ist eine prähistorische Amphibie, ein wenig Fisch, ein wenig Reptil - aber es ist vor allem eine sehr alte Legende, die die Geschichte des Ortes seit Ende des 18. Jahrhunderts begleitet hat. Dass diese Legende an der Oberfläche des Sees auftaucht, nimmt metaphorisch die Fabel des Romans vorweg. Dieser vereint eine Vielzahl von Geschichten um die eigentliche Familiengeschichte der Protagonistin des Romans, die gleichzeitig auch als Ich-Erzählerin fungiert: Willie "Sunshine" Upton.

Die Erzählerin hat nach einer gescheiterten Liebesbeziehung mit ihrem Professor, einer vermeintlichen Schwangerschaft und diversen persönlichen Frustrationen das Bedürfnis, sich in ihrer Heimatstadt zu regenerieren. Die Überschneidung des Eintreffens der Protagonistin in Templeton und des Funds des "Monsters" verweist auf die metaphorische Seite der Geschichte. Ausgangspunkt sind letztendlich die Streitigkeiten Willies mit ihrer Mutter. Diese zwingt sie zu einer Entdeckungsreise durch die eigene Familiengeschichte, um ihren vermeintlichen Vater in der Gegenwart ausfindig zu machen. Der Roman dokumentiert weitgehend die nachfolgende Recherchen zur Familiengeschichte.

Einer der Vorfahren in Willies Stammbaum ist der Schriftsteller Jacob Franklin Temple. Er ist Teil der erzählten fiktiven Biografie, die sich in weiten Teilen an realen Figuren und Orten orientiert. Groff hat ihre Heimatstadt zum Vorbild genommen, hat Cooperstown (New York) in Templeton umbenannt und die Familie Cooper in die Familie Temple verwandelt. Ebenso ist es auch dem Schriftsteller Jacob Franklin Temple in dem Roman ergangen. Sein Vorbild ist James Fenimore Cooper (1789-1851), Verfasser zahlreicher Seefahrer- und Abenteuerromane und bis heute bekannt durch seine fünf Lederstrumpf-Romane.

Die bekanntesten Figuren, die durch viele Kinderzimmer gestreift sind, waren wohl Natty Bumppo, der nach dem Vorbild des amerikanischen Waldläufers Daniel Boone gezeichnet wurde und die "edlen Wilden" Chingachgook und sein Sohn Uncas. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass man in dem Lederstrumpf-Roman "Die Ansiedler" genau die Figurenkonstellation findet, wie sie auch Groff verwendet: Stadtgründer von Templeton ist Marmaduke Temple und so weiter.

Groff bettet ihren Roman geschickt in die historischen Wahrheiten und fiktiven Geschichten von Cooper ein, nutzt die verschiedenen Erzählperspektiven, um auch historische Personen zu Wort kommen zu lassen und zeichnet damit ein für den Leser authentisches und dichtes Bild, in das auch die Mythen eingebunden werden: "Ich verlangte danach, nach Templeton zu fahren und den See zu sehen, von dem mein Vater mit solcher Wortgewalt sprach, die Einheimischen kennen zu lernen und auch den alten Natty Bumppo zu treffen, jenen lustigen und treffsicheren Jäger, von dem er mir schon so viel erzählt hatte. ich wollte das riesige Seeungeheuer sehen, das die Eingeborenen in ihrer Sprache den Alten Traurigen Geist nannten, obwohl mein Vater nur verächtlich schnaufte, wenn man die alte Legende ansprach, und behauptete, einzig Frauen und Tölpel würden es sehen."

Erkenntnisgewinn in der Geschichte geht letztendlich mit individueller Erkenntnis einher und Willie erfährt durch die entwicklungsgeschichtliche Reise, die sie mit der Recherche selbst durchlebt hat, einen eigenen Reifungsprozess: "Eigentlich war es gar nicht so wichtig, dass ich ihn endlich gefunden hatte. Es war nicht so wichtig, und doch empfand ich es so, in meinem unlogischen, unergründlichen herzen. ich war froh, diesen echten, atmenden Menschen zu haben, auf der langen Straße, die hinter mir lag. Und ich war froh zu wissen, dass es ihn gab." Wäre der Roman nicht so gut erzählt oder könnte man an der Übersetzung herumnörgeln, wäre die Lektüre nicht unterhaltsam und die Figuren nicht lebendig, würde die Geschichte aus der "amerikanischen Vergangenheit" nicht weiter bemerkenswert sein. Aber die Geschichten von Groff und die Übersetzung von Judith Schwaab greifen harmonisch ineinander und bescheren dem Leser eine sehr kurzweilige Lektüre, die ihn vielleicht sogar veranlasst, sich einmal wieder ein paar Seiten lang um Natty Bumppo zu kümmern.


Titelbild

Lauren Groff: Die Monster von Templeton. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Judith Schwaab.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
507 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783406583902

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