Selbstironisches Lästermaul
„Aus dem Leben eines Lohnschreibers“ – neue Geschichten von Joseph von Westphalen
Von Werner Friebel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Am Rande des Literaturbetriebs, abseits der Tröge der Kulturförderung und des Preisvergabegemauschels lungert der Lohnschreiber herum und findet sein Auskommen.“ Und er erkennt, weil ihm die Hochkultur vergällt ist: „Wer für Geld schreibt, bekommt keine Literaturpreise. Wer keine Literaturpreise bekommt, muß für Geld schreiben.“ Naheliegend, dass ein Autor mit derart unambitioniertem Berufsverständnis prädestiniert ist, um auf einer „Tutzinger Tagung zur Lage der deutschen Gegenwartsliteratur“ über das Thema „Für Geld schreibe ich alles“ zu referieren und dabei in lustvoller Selbststilisierung den Makel der intellektuellen Prostitution eines „Lohnschreibers“ und die Gewissensnöte eines „für eine Handvoll Dollar“ gedungenen „Honorarcholerikers“ mit exhibitionistischem Vergnügen vor der „Literaturpolizei“ des feinen Feuilletons auszubreiten.
Und weil man als „literarischer Auftragskiller“ nicht nur amüsierte Leser finden und also Geld verdienen kann, sondern in den dunklen Ecken des Lit-Bizz auch manch Merkwürdiges erlebt, legt Joseph von Westphalen in diesen vierzehn neuen Kurzgeschichten zwar keine Generalabrechnung mit dem Literaturbetrieb vor, teilt aber doch, quasi en passant, einige dem Sujet angemessene Hiebe aus.
Dabei ist ein Geifern und Poltern á la Thomas Bernhard oder Marcel Reich-Ranicki nicht der Stil des „Blaublutanarcho“, sondern eher ein distanziert-amüsiertes, auch selbstironisches Beobachten und Reflektieren seiner Verstrickungen in die Erwerbszwänge eines unalimentierten Autors und die Liebesnöte eines bekennenden Erotomanen.
Auch wenn Westphalen gemäß seiner Selbsteinschätzung schon „altersmilde“ und nicht mehr böse genug ist – „die zivilisierte Gesellschaft hat andere Ohrfeigen verdient“ – hat sich der „goscherte Graf“ die aus den „Harry-von-Duckwitz“-Romanen oder aus „Die Memoiren meiner Frau“ gewohnte Scharfzüngigkeit erhalten.
Seinem „bösen Blick“ auf die hinter den alltäglichen Katastrophen versteckten Details, auf die Absurdität von Zeitgeisterscheinungen aller Art, entgehen auch diesmal weder die „Best-Menschen-Stereotypen“ noch die Rollenklischees auf dem neuesten Stand der Gegen-Emanzipation, weder die alimentierte Kulturhuberei der Goetheinstitute noch die unausgesprochenen Verhaltenscodizes der deutschen Journaille – seine short stories stemmt er mit wohltrainierter Leichtigkeit in den drei Gewichtsklassen „halb wahr“, „fast wahr“ und „ganz wahr“. Man muss ihm dabei nichts, darf ihm aber gern alles glauben, wenn er sich augenzwinkernd über Nächte mit Powerfrauen, wundersame Preisverleihungen, telefonische Schreib-Auftragsverhandlungen, den Dresscode auf Buchmessen, angehimmelte Supermarkt-Filial-Göttinnen und andere das Lohnschreiber-Dasein so begleitende Umstände amüsiert, weil in jedem G’schichterl sein Schreib- und Lebensmotto – „Ich will nicht erkannt und festgelegt werden“ – mitklingt.
Als „altmodischer Hedonist“ kokettiert Westphalen dabei auch gern mal mit seinen Lastern Nikotin und Alkohol, vor allem aber mit seiner Neigung zur Amour fou, die bei ihm nicht nur für die Geheimnisse der biologischen Geschlechterkonditionierung oder die ausgelebte Altmännerfantasie steht, sondern symbolisch für ein Lebens-Liebesgefühl gegenüber der Weiblichkeit, weil die Frauen ihm doch auch unverzichtbare Musen sind, da, „wenn ein Mann von den Frauen, so auch von allen guten Geistern verlassen wird“. Was sich unter anderem darin zeigt, dass „Moderne Architektur nur mit schönen Frauen zu ertragen ist“.
Manchmal scheint es aber nicht sonderlich gut um seine Schreiberseele zu stehen, wenn er etwa wieder mal für eine „Lebensgenußpostille“, einem „Blatt für fette Freßwichser“ eine Glosse über das „Verführungskochen“ zu verfassen hat, oder um einen „pro alternativ“-Gesinnungsessay angebettelt wird, alles nur für ein „Goodwill-Körnerhonorar“, angesichts dessen er grübelt, „ob man den Schmerzensgeldanteil des Honorars auch versteuern muß“.
Dass er überhaupt sein Auskommen finde als Lohnschreiber für Blätter, die er vormals verachtet habe und die ihn nun „ins Brot setzen“, lässt ihn vermuten, „daß der Kapitalismus an seinen äußersten Rändern eine Mildtätigkeit produziert, gegen die alle sozialen Einrichtungen des Wohlfahrtsstaats und der Kirche nichts sind“.
Und der „68er“ erinnert sich spöttisch an den früheren Ethos der „linken“ Autoren, nicht für Blätter aus den Häusern Springer, Burda & Co. zu schreiben, „damals, als Stilfragen noch ein ideologisches Fundament hatten und sich nicht belanglos zwischen cool und uncool hin und her bewegten“.
Aber wenn „der wahre Dichter nicht ans Honorar und Tantiemen denkt, sondern sich aus innerem Antrieb mitteilt“ ergeht es ihm wie Westphalen einst selbst: In der Geschichte „Mein schönster Mißerfolg“ wird der Autor angesichts kistenweise eingelagerter, unverkäuflicher Exemplare eines frühen „Gaga-Romans“ zum „Entsorgungskonzeptkünstler“, der dem literarischen Scheitern im Rahmen einer öffentlichen Kunstaustauschaktion noch einen Rest-Sinn abzugewinnen versucht.
In seinen semi-ironischen „Nachbemerkungen zu den Geschichten“ vermutet Westphalen, seine Schreibe sei „ein bißchen riskant, weil ironische Spiegeleien aus Zeitmangel oder Leseschwäche oft für bare Münze genommen werden“. Und also nicht ganz ungefährlich für seinen Arbeitsplatz als freier Autor: „Was, wenn die nächste Generation nicht mehr in der Lage ist, ironische Texte zu lesen? Dann kann ich einpacken.“
Das gehört aber wie manches bei Joseph von Westphalen zu den Gesten der Koketterie, mit denen er der potentiellen Leseintelligenz seiner Verehrerschar schmeichelt, denn so subtil ist seine Ironie dann doch nicht, dass man sie leicht überlesen oder missverstehen könnte. Manches schmeckt sogar ein wenig nach humoristischem Fast Food, doch vom pointenhetzenden Gag-Schreiber und Brachialsatiriker hebt sich Westphalen durch einen vielumfassenden Blickwinkel und sein auch im Lästern noch literarisches Feingefühl wohltuend ab.
Da gönnt man ihm und den Lesern gern das einträgliche Vergnügen, „für Geld schreibe ich alles“ zu sagen, zumal man in jeder seiner Geschichten mithört: „so wie ich es will.“