Waffenschmuggel und Fliegen

„Ein Grab in Gaza“ von Matt Beynon Rees zeigt die Missstände im Palästinensergebiet

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In Gaza ist nichts, wie es zu sein scheint. Die Wahrheit liegt tief unter der Oberfläche. Man kann nicht abschätzen, wie tief das ist, aber mit Sicherheit wirst du auf weitere Opfer und mehr Verbrechen stoßen.“ Das muss auch Omar Jussuf erfahren, als er sich auf die Suche nach einem verschwundenen, palästinensischen Lehrer macht. Jussuf ist Direktor einer Bethlehemer UNO-Schule. Mit seinem schwedischen Vorgesetzten Magnus Wallender und dem schottischen UNO-Sicherheitsbeauftragen für Gaza, James Cree, sucht und findet er Teile der Wahrheit, warum der Lehrer gekidnappt und gefoltert wurde.Vor allem findet der aus Bethlehem stammende Lehrer die schreckliche Wahrheit bestätigt, dass der Gaza-Streifen, weit davon entfernt, ein funktionierender, kontrollierter Polizeistaat zu sein, eine korrupte Gesellschaft ist und das Palästina- und Israel-Problem weit davon entfernt ist, gelöst zu werden. Revolutionsrat, Nachrichtendienst und Eingreiftruppe, die Saladin-Brigaden aus Gaza-Stadt, Saladin-Brigaden aus Rafah: Sie alle bekämpfen sich gegenseitig, Waffenschmuggel, Folter, Korruption und Ämterkauf sind die pure Normalität wie Sandstürme, Fliegen und Flöhe. Hass und Ohnmacht halten sich so lange die Waage, bis die entrechteten Menschen zur Waffe greifen und irgendwo zuschlagen. So produziert man Terroristen. Und der Westen schaut zu, ohne sich klarzumachen, was da passiert. Es ist ja so weit weg.Israelische Krimis gibt es viele, aber Krimis, die in den Palästinensergebieten spielen, sind rar und in Deutschlang gänzlich unbekannt. So stürzt sich der Leser auch begierig auf diese Fortsetzung, die ihn einmal anders als in den politischen Reportagen über die Verhältnisse in diesem Gebiet aufklären. Schwierig ist sogar die Kommunikation mit den Ausländern: „‚Ich heiße nicht ‚Mister Jussuf‘. Mein Nachname ist Sirhan. Omar und Jussuf sind meine Vornamen. […] Sie verstehen nicht einmal arabische Namen. Trotzdem glauben Sie, die Doppelzüngigkeit von Leuten wie al-Fara zu verstehen.‘ – ‚Wollen Sie also, dass ich Sie jetzt als Mister Sirhan anspreche?‘ – ‚Nein, man sollte mich als Abu Ramis ansprechen, den Vater von Ramis. Aber von Ihnen möchte ich am liebsten überhaupt nicht mehr angesprochen werden.‘“Dabei kommt der Krimi zwar nicht zu kurz, ist aber auch nicht besonders ausgefeilt, wenn auch grundsolide erzählt, mit ein paar klischeehaften Auswüchsen: „Der Polizeichef von Bethlehem fuhr regelmäßig nach Gaza und behauptete, die Gegend sei derart heruntergekommen, dass man sie lieber ins Mittelmeer verfrachten und versenken sollte, zusammen mit allen bewaffneten Gangstern und korrupten Ministern, die Gaza beherrschten. Dennoch schien dieser schmale Streifen Land – eher als Bethlehem – die verzweifelte Wirklichkeit der Palästinenser zu repräsentieren: Gaza brüllte und taumelte wie ein verletzter Esel, während seine Herrscher die Rolle des wütenden Bauern spielten, der erbarmungslos auf das gestrauchelte Tier eindrosch, obwohl jeder wusste, dass es nicht mehr auf die Beine kommen würde.“ Ähnlich platt wird der Fiesling Oberst al-Fara beschrieben, und zu guter Letzt tobt ein symbolhafter Sandsturm über das Land.Es geht dem Autor wie den meisten Lesern doch vor allem um die Aufklärung über das fremde Land und die grausigen politischen und sozialen Verhältnisse, in der die Palästinenser gezwungen sind zu leben. Aber die schrecklichere Wirklichkeit ist die: „Dieses Land ist im Krieg. Nicht mit den Israelis – gegen die kämpfen nur noch die Islamisten. Wir sind im Krieg mit uns selbst.“

Titelbild

Matt Beynon Rees: Ein Grab in Gaza. Omar Jussufs zweiter Fall.
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Modick.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
352 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783406582417

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